WANGEN — Bundes­weit wird in diesem Jahr das Jubilä­um 50 Jahre Städte­bau­för­de­rung began­gen. Zum Tag der Städte­bau­för­de­rung am Samstag, 8. Mai 2021, veröf­fent­licht die Stadt Wangen einen Film über die Verän­de­run­gen in der ERBA und die Menschen, die das Leben dort ausmachen. 

Sehr gerne hätte die Stadt Wangen – wie in den vergan­ge­nen Jahren – das Ereig­nis mit einer Veran­stal­tung gewür­digt. Weil das nicht möglich ist, nimmt Oberbür­ger­meis­ter Micha­el Lang alle Inter­es­sier­ten in einem Film mit ins Gelän­de. Mit der Kamera wurde er beglei­tet von Steffen Oester­le, der bereits zu Neujahr einen sehens­wer­ten Film über verschie­de­ne Entwick­lun­gen in der Stadt gedreht hat. Abruf­bar sind die Filme auf dem YouTube-Kanal der Stadt Wangen im Allgäu oder über www.wangen.de/erba2021

OB Lang besuch­te für den Film Steffi Schnei­der in ihrer Stein­ma­nu­fak­tur. Sie arbei­tet dort bereits im Vollbe­trieb und baut sich quasi neben­her die oberen beiden Stock­wer­ke zur Wohnung um. Mit OB Lang spricht sie über das Leben und ihre Arbeit in der ERBA. Die beiden Vorsit­zen­den des Portu­gie­si­schen Kultur­ver­eins und des Türki­schen Vereins, Teresa Fernan­des und Hakan Abis, erzäh­len davon, wie ihre Eltern in der ERBA arbei­te­ten und was sie bis heute mit dem Gelän­de verbin­den. Teresa Fernan­des hat zum Beispiel mit ihrem Mann den ERBA-Garten von den Eltern übernom­men, die inzwi­schen ihren Ruhestand in Portu­gal genie­ßen. 2022 feiert ihr Verein sein 50-Jahr-Jubilä­um. 1966 kamen die ersten 28 „Gastar­bei­ter“ aus dem Land auf der iberi­schen Halbin­sel, weil sie gesuch­te Fachleu­te in der Textil­pro­duk­ti­on waren. Heute leben in Wangen rund 350 Menschen mit portu­gie­si­schen Wurzeln, wie Fernan­des berich­tet. Oder Hakan Abis, der mit seinen Eltern und Geschwis­tern 1981 aus Erlan­gen nach Wangen kam, weil sein Vater in der Wange­ner ERBA ein Joban­ge­bot hatte. Der Türki­sche Verein wurde 1984 gegrün­det und ist Heimat, zweier Herren-Fußball­teams und zweier Kinder­mann­schaf­ten. Hakan Abis sagt: „Wir möchten, dass das hier auch nach uns weiter­geht.“ Der Linden­hof, in dem beide Verein neben­ein­an­der unter­ge­bracht sind, wird auch mit Hilfe der Stadt saniert. Hakan Abis ist sich sicher: „Durch die Landes­gar­ten­schau wird die ERBA der schöns­te Stadt­teil von ganz Wangen.“

Der Weg führte OB Lang auch zu Guisep­pe Cassa­no. Der freund­li­che Mann – ursprüng­lich aus Itali­en — ist jeden Tag in der ERBA. Er trifft sich mit Freun­den zum Erzäh­len und zum Boccia spielen. Viele verschie­de­ne Natio­na­li­tä­ten gehören laut Karl Laible dem Freun­des­kreis an. Auch Laible schaut häufig in der ERBA vorbei. „Wir sind kein Club und kein Verein, sondern Freun­de“, sagt er. Seit 1973 wird in der ERBA das Spiel mit den Kugeln gepflegt. Das wird auch weiter so sein, wenn die Bahn samt Häuschen in die Schre­ber­gär­ten umzie­hen wird. Denn schon jetzt kommen die neuen Nachbarn vorbei, die ihre Wohnun­gen bezie­hen. Wie zum Beispiel die Mitglie­der der Genos­sen­schaft Wohnen+. Auch dort geht es inter­na­tio­nal zu: In den derzeit sechs bezoge­nen Einhei­ten leben fünf verschie­de­ne Natio­na­li­tä­ten, wie Ulrike Tröbst berichtet. 

Bis es so weit ist, dass die Familie Schnei­der-Campil­lo ihr künfti­ges Domizil am Spinn­e­rei­gar­ten bezie­hen kann, ist noch viel Arbeit nötig. Das Haus, das ungefähr so alt ist wie die Alte Spinne­rei und auch ihr tatsäch­lich nachemp­fun­den wurde, wird derzeit von der Familie im wörtli­chen Sinne grund­le­gend saniert. Am Ende werden hier drei Genera­tio­nen unter einem Dach leben.

In der Alten Spinne­rei besucht OB Lang den ERBA-Museums­ver­ein, der das Erbe des Textil­be­triebs bewah­ren möchte. Die Vorsit­zen­de Helga Mayer erzählt als Tochter des frühe­ren Spinne­rei­lei­ters Helmut Spriss­ler von ihren familiä­ren Verbin­dun­gen in die ERBA, aber auch von deren Entwick­lung, die sich an vielen schönen Stücken in der Sammlung des Vereins nachvoll­zie­hen lässt.

Auf der anderen Seite des Hochka­nals sind Bagger unter­wegs und schaf­fen die Grund­la­ge für den Bau von mehr als 200 Wohnun­gen. Noch bewegen dort auch die Reiter ihre Pferde. Sie werden aber bald in den Süden der ERBA ziehen und dort ein neues Gebäu­de errich­ten. Andrea Bietsch vom Vorstand des Reit- und Fahrver­eins sieht es als Chance, einen Neubau mit ebenfalls neuer Außen­an­la­ge nutzen zu können, wie sie sagte.

Natür­lich führt der virtu­el­le Rundgang auch zu den städti­schen Baustel­len, die vom Bund über das Programm „Natio­na­le Projek­te des Städte­baus“ und auch vom Land über die Städte­bau­för­de­rung mitfi­nan­ziert werden: das Pfört­ner­ge­bäu­de, wo der Film beginnt; auf den Platz beim Schorn­stein, wo der Geschäfts­füh­rer der Landes­gar­ten­schau GmbH, Karl-Eugen Eberts­häu­ser, und die Landschafts­ar­chi­tek­tin Katha­ri­na Bernt darüber plaudern, wie es ihnen drei Jahre vor der Landes­gar­ten­schau in Wangen geht. Vorbei an der Festwie­se, auf der es Veran­stal­tun­gen geben kann, und durch die Unter­füh­rung Richtung Auwie­sen geht es. Ebenfalls Teil der Bundes­för­de­rung sind der Vorplatz und die Umgebung der künfti­gen Energie­zen­tra­le, die zu einer attrak­ti­ven Freiflä­che mit Spiel­platz erschlos­sen werden. Dort können dann Kinder das Thema Energie erleben. Stadt­wer­ke­lei­ter Urs Geuppert berich­tet von den Anstren­gun­gen des städti­schen Unter­neh­mens, die ERBA mit nachhal­ti­ger Energie zu versorgen.

Die Städt­bau­för­de­rung ermög­licht auch in Wangen viele Entwicklungen

Hinter der bundes­wei­ten Erfolgs­ge­schich­te der Städte­bau­för­de­rung, die gemein­schaft­lich von Bund, Land und Kommu­nen umgesetzt wird, steht ein ganz beson­de­rer Ansatz, wie es im Aufruf zur Betei­li­gung am Jubilä­um heißt: „Die Städte­bau­för­de­rung ist ein quartier­be­zo­ge­nes und integrier­tes Programm.“ In Wangen ist das ables­bar an drei großen Projek­ten: Der Altstadt, deren Sanie­rung seit 1979 geför­dert wird. Dem Adler­are­al, dessen Förde­rung für den Umbau von der frühe­ren Käserei zum Wohnge­biet mit Gewer­be 2009 begann und dem ERBA-Gelän­de, wo die verlas­se­ne Baumwoll­spin­ne­rei und ‑weberei zum bunten Stadt­quar­tier umgebaut wird, in dem gewohnt, gearbei­tet und gelebt wird. Die Förde­rung für den Umbau der ERBA läuft seit 2010.

In den rund 40 Jahren, in denen es in Wangen die Städte­bau­för­de­rung gab, wurden rund 350 Gebäu­de saniert und energe­tisch ertüch­tigt. Das Geld dafür wurde über die Landes­re­gie­rung zur Verfü­gung gestellt. In dieser Zeit sind Zuschüs­se in Höhe von rund 25 Millio­nen Euro in die Stadt­sa­nie­rung geflos­sen. Die priva­ten Inves­ti­tio­nen liegen heute in der Regel um das zwölf- bis 15-fache höher als die Zuschüsse.

Wangen im Allgäu hat das Glück, dass viele Eigen­tü­mer in ihren Häusern in der Altstadt leben und dort ihre Geschäf­te betrei­ben. Deshalb haben sie auch ein persön­li­ches Inter­es­se, die Bausub­stanz in einem guten Zustand zu erhal­ten und das äußere Erschei­nungs­bild anspre­chend zu gestal­ten, sagt der Sanie­rungs­be­auf­trag­te Martin Schwenger. 

Dies alles trug dazu bei, dass die Altstadt bis heute eine gute Einzel­han­dels- und Dienst­leis­tungs­viel­falt mit 180 Einzel­han­dels­ge­schäf­ten, über 20 Gastro­no­mie­be­trie­ben und ca. 20 Cafés bietet. Dieses attrak­ti­ve Angebot lockt viele Touris­ten in die Stadt, die hier Dienst­leis­tun­gen in Anspruch nehmen, einkau­fen und einkeh­ren. 2019 wurden in Wangen rund 220 000 Übernach­tun­gen und etwa 500 000 Tages­gäs­te verzeichnet.

Gelun­ge­ne Beispie­le aus jüngs­ter Zeit

Aus der Vielzahl der gelun­ge­nen Objek­te seien hier nur ein paar wenige aus der jüngs­ten Vergan­gen­heit erwähnt. Das Haus Reimer in der Schmied­stra­ße, das mit drei großzü­gi­gen Wohnun­gen und einem Café im Erdge­schoss, von 2006 an fünf Jahre lang saniert wurde.

Im Haus Seitz in der Herren­stra­ße 13, dessen Umbau über zwei Jahre lief und 2020 abgeschlos­sen wurde, entstan­den vier moder­ne Wohnun­gen. Der Gewöl­be­kel­ler wurde ebenso saniert wie das Laden­ge­schäft im Erdge­schoss. Histo­risch inter­es­sant ist das Gebäu­de unter anderem, weil es als aussa­ge­kräf­ti­ges Beispiel für die Archi­tek­tur des Wieder­auf­baus nach dem Stadt­brand von 1539 gilt. 

Als „Kultur­denk­mal von beson­de­rer Bedeu­tung“ ist das „Haus Rose“ am Markt­platz einge­stuft, das von 2011 bis 2016 saniert wurde. Auch dieses Gebäu­de wurde im Folge­jahr des großen Stadt­brands von 1539 wieder­auf­ge­baut. Das Haupt­ge­bäu­de in der Herren­stra­ße wurde denkmal­ge­recht aufwen­dig saniert. So entstan­den zwei großzü­gi­ge Wohnein­hei­ten sowie ein Büro für die notari­el­le Nutzung. Das hinte­re Gebäu­de zur Braugas­se wurde für eine moder­ne Wohn- und Arbeits­nut­zung saniert. Erhal­ten geblie­ben und erneu­ert wurde im ersten Oberge­schoss eine Holzta­fel­de­cke aus der Renais­sance sowie im zweiten Oberge­schoss eine histo­ri­sche Stuck­de­cke mit Ornamen­ten und histo­ri­schem Raumtei­ler. Erschlos­sen ist das Gebäu­de neben einem moder­nen Treppen­haus durch einen behin­der­ten­ge­rech­ten Aufzug über alle Etagen. Zu den vielen Überra­schun­gen, die mit dieser Sanie­rung einher­gin­gen, gehör­te auch die histo­ri­sche Farbfas­sung zum Markt­platz hin mit einer einzig­ar­ti­gen spätba­ro­cken Fassa­den­ma­le­rei. Sie wurde wieder­her­ge­stellt und verleiht dem Gebäu­de ein beson­ders attrak­ti­ves Gesicht.