MÜNCHEN (dpa) — Woher kommen die Kampf­pan­zer? Was ist mit Kampf­jets? Streu­mu­ni­ti­on? Die Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz hat etwas von Waffen­bör­se. Aber ein Teilneh­mer mischt die Solida­ri­täts­kund­ge­bung für die Ukrai­ne auf.

Am späten Samstag­abend hat Russland dann doch noch seinen Auftritt auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz. Im Bayeri­schen Hof sitzen der frühe­re Schach­welt­meis­ter Garry Kaspa­row, der Kreml­geg­ner Michail Chodor­kow­ski und andere russi­sche Opposi­tio­nel­le auf dem Podium.

Es ist das andere Russland, das kaum noch wahrge­nom­men wird. Das Russland derer, die ins Exil gegan­gen sind und jetzt mit der Ukrai­ne und ihren westli­chen Verbün­de­ten darum bangen, dass der russi­sche Präsi­dent Wladi­mir Putin seinen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne nicht gewinnt. «Ein Sieg der Ukrai­ne ist die Voraus­set­zung für jeden Wandel in Russland», sagt Kasparow.

Solida­ri­täts­kund­ge­bung des Westens für die Ukraine

Putins Russland muss dagegen diesmal draußen bleiben — erstmals seit den 90er Jahren. Er wolle den «Kriegs­ver­bre­chern im Kreml» kein Forum für ihre Propa­gan­da geben, laute­te die Losung des neuen Konfe­renz­lei­ters Chris­toph Heusgen, dem frühe­ren Berater von Ex-Kanzle­rin Angela Merkel (CDU). Damit war von vorne­her­ein klar, was aus der Konfe­renz in diesem Jahr in erster Linie werden würde: Eine Solida­ri­täts­kund­ge­bung des Westens für die Ukraine.

Und Solida­ri­tät bedeu­tet in der jetzi­gen Kriegs­si­tua­ti­on für die in München versam­mel­ten westli­chen Verbün­de­ten vor allem eins: militä­ri­sche Unter­stüt­zung. «Jetzt ist nicht die Zeit für Dialog», stell­te der franzö­si­sche Präsi­dent Emmanu­el Macron gleich zu Beginn klar. Damit war der Ton gesetzt. Wie weit diese Unter­stüt­zung gehen soll und wie schnell sie erfol­gen muss, bleibt unter den Bündnis­part­nern aller­dings umstritten.

Sorgfalt oder Risiko: Waffen-Kurs des Westens umstritten

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) versi­cher­te in München, die Balan­ce zwischen bestmög­li­cher Unter­stüt­zung der Ukrai­ne und der Vermei­dung einer ungewoll­ten Eskala­ti­on werde weiter­hin gewahrt. Es gelte: «Sorgfalt vor Schnell­schuss, Zusam­men­halt vor Solo-Vorstellung.»

Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg warnte dagegen vor falscher Vorsicht. «Manche sorgen sich, dass unsere Unter­stüt­zung für die Ukrai­ne Eskala­ti­ons­ri­si­ken birgt», sagt der Norwe­ger. Das größte Risiko sei ein Sieg Putins. Risiko­freie Optio­nen gebe es nicht.

Was hat sich daraus nun konkret in München ergeben?

- Die Bildung einer Kampf­pan­zer­al­li­anz bleibt schwie­rig. Scholz, sein neuer Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Boris Pisto­ri­us (SPD) und Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) suchten in München zwar weiter nach liefer­ba­ren Leopard-2-Panzern bei den Verbün­de­ten — aber ohne zählba­res Ergeb­nis. Immer­hin haben einige Länder wie Finnland und Schwe­den auch noch nicht Nein gesagt. Die Hoffnung, dass es am Ende doch noch funktio­niert, bleibt also.

- Die Diskus­si­on über die Liefe­rung von Kampf­jets wurde in München eher abmode­riert. Der briti­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Ben Wallace sagte dem «Spiegel», es sei «Konsens unter den westli­chen Partnern», dass es da keine schnel­le Liefe­rung geben werde. «Ganz sicher nicht in dieser Kriegs­pha­se, ziemlich sicher auch nicht in einem halben Jahr.» Die Debat­te dürfte trotz­dem weiter­ge­hen, auch das ist klar.

- Die Ukrai­ne kam wieder mit einer neuen Forde­rung: Sie will nun Phosphor-Brand­waf­fen und Streu­mu­ni­ti­on. Begrün­dung: Russland setze diese Waffen auch ein. Streu­mu­ni­ti­on wird aller­dings von Deutsch­land und von mehr als 100 Staaten geäch­tet. Deswe­gen erfolg­te prompt eine Absage von Nato-General­se­kre­tär Stoltenberg.

Einer will dann doch noch über Diplo­ma­tie reden

Die Sicher­heits­kon­fe­renz hatte also etwas von Waffen­bör­se. Es gab dann aber doch noch einen, der über Diplo­ma­tie redete: der obers­te chine­si­sche Außen­po­li­ti­ker Wang Yi. China hat Putin im ersten Jahr des Krieges Rücken­de­ckung gegeben — auch wenn die Warnung vor dem Einsatz von Atomwaf­fen im Westen als Zeichen der Bereit­schaft Pekings gesehen wurde, den russi­schen Präsi­den­ten zumin­dest etwas zu bremsen.

Nun sagte Wang Yi etwas in München, das hellhö­rig macht: «Wir werden etwas vorle­gen. Und zwar die chine­si­sche Positi­on zur politi­schen Beile­gung der Ukrai­ne-Krise.» Es wird erwar­tet, dass dieser Plan bereits zum Jahres­tag der russi­schen Invasi­on am Freitag vorge­legt wird. Zu den Inhal­ten machte Wang Yi nur vage Andeu­tun­gen. Das Chaos und die Konflik­te, die die Welt im Moment schmer­zen ließen, seien hervor­ge­ru­fen worden, weil die Prinzi­pi­en der UN-Charta nicht aufrecht­erhal­ten worden seien.

Nutzt China die Ukrai­ne-Frage für seinen Anspruch auf Taiwan?

Von westli­chen Diplo­ma­ten wird das so gelesen, dass China auf die sogenann­te terri­to­ria­le Integri­tät der Ukrai­ne pochen könnte, also auf die Unver­letz­bar­keit von Grenzen. Dabei müsste China dann aber auch die Frage beant­wor­ten, welches Verständ­nis es von den Grenzen der Ukrai­ne hat. Also ob es wie Putin die Krim als Teil Russlands betrach­tet, oder die Annexi­on der Halbin­sel 2014 als illegal sieht.

Es könnte auch sein, dass China den «Friedens­plan» dazu verwen­det, seinen Anspruch auf die demokra­ti­sche Insel­re­pu­blik Taiwan zu unter­mau­ern, was den Westen in eine Zwick­müh­le bringen könnte. Fest steht: Es wird ein Plan sein, mit dem sich die westli­chen Verbün­de­ten ausein­an­der­set­zen müssen. Denn China gilt als einzi­ges Land, dem noch Einfluss auf Putin zugetraut wird.

Und jetzt? Wann kommt die russi­sche Großoffensive?

Die Woche verspricht aber nicht nur deswe­gen spannend zu werden, was den weite­ren Kriegs­ver­lauf angeht. Putin hat für Diens­tag eine größe­re Rede angekün­digt. Zur selben Zeit wird US-Präsi­dent Joe Biden in Polen sein und der Ukrai­ne von dort aus den Rücken stärken — kurz vor dem Jahres­tag der russi­schen Invasi­on am Freitag.

Die Sicher­heits­kon­fe­renz 2022 endete mit der offenen Frage: Kann ein russi­scher Angriff gegen die Ukrai­ne noch abgewen­det werden? Vier Tage später folgte die bitte­re Antwort: Russi­sche Truppen marschier­ten in Richtung Kiew. Auch in diesem Jahr dürften die meisten Teilneh­mer mit einem mulmi­gen Gefühl abgereist sein. Vielleicht startet schon in ein paar Tagen eine neue russi­sche Großof­fen­si­ve. Und eine Progno­se, wann dieser Krieg enden könnte, wagte an den drei Konfe­renz­ta­gen in München ohnehin niemand.

Konfe­renz­lei­ter Heusgen beende­te die Veran­stal­tung am Sonntag mit Zweck­op­ti­mis­mus. Er verwies darauf, dass der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj, der die Eröff­nungs­re­de per Video­schal­te aus Kiew gehal­ten hatte, in Friedens­zei­ten auch wieder persön­lich nach München kommen würde. «Wir hoffen alle, dass er nächs­tes Jahr wieder persön­lich hier sein wird. Das würde bedeu­ten, der Krieg ist vorbei.»

Von Micha­el Fischer, Jörg Blank, Ansgar Haase, Carsten Hoffmann, Marco Hadem, dpa