ZÜRICH (dpa) — Da versucht die einsti­ge Rock-Diva Tina Turner ihr halbes Leben lang, ihre Geschich­te von der lieblo­sen Mutter und dem misshan­deln­den Ehemann hinter sich zu lassen. Aber man lässt sie nicht.

«Es war kein gutes Leben» — diese nüchter­ne Bilanz von Rockidol Tina Turner steht gleich zu Beginn des Dokumen­tar­films «Tina» über das Leben. Das war Ende der 80er Jahre, Turner war fast 50 Jahre alt.

Da hatten ihre besten Jahre aber gerade erst begon­nen, mit einer Solo-Weltkar­rie­re und ihrer großen Liebe, dem deutschen Musik­pro­du­zen­ten Erwin Bach. Die beiden sind seit rund 35 Jahren zusam­men und leben seit vielen Jahren in der Schweiz, am Zürichsee.

Der Film läuft in Deutsch­land ab 13. Juni in ersten Kinos. Tina-Fans kommen auf ihre Kosten. Die Regis­seu­re haben viel Materi­al ausge­gra­ben, das noch nie gezeigt wurde: alte Filmauf­nah­men und viele Fotos aus Privat­be­sitz, dazu jede Menge Konzertausschnitte.

Sechs, sieben Stunden stand Tina Turner für den Film Rede und Antwort, wie die Regis­seu­re Dan Lindsay und TJ Martin der Deutschen Presse-Agentur erzäh­len. Natür­lich habe jeder, der mit ihr spricht, zunächst die Ikone vor Augen, den Weltstar. «Aber wir haben den Menschen kennen­ge­lernt», sagt Lindsay. Turner sei boden­stän­dig und habe keine Staral­lü­ren. «Es gibt einen großen Unter­schied zwischen der Bühnen­fi­gur und der Frau, die einfach vor ihrem Haus am See sitzt.» Als das Inter­view für den Film 2019 entstand, war Turner fast 80. Ihre Augen funkeln nach wie vor voll Lebens­lust, trotz Krank­heit — Bach spende­te ihr 2017 eine Niere — und trauma­ti­schen Erlebnissen.

Das Trauma, ein ewiges Thema: Der Dokumen­tar­film zeigt die gebür­ti­ge Ameri­ka­ne­rin mit Schwei­zer Pass in vielen frühe­ren Inter­views mit dem sehnli­chen Wunsch, die leidvol­le Geschich­te ihrer ersten 30, fast 40 Lebens­jah­re hinter sich zu lassen. 1981 enthüllt sie in der Zeitschrift «People» erstmals die Misshand­lun­gen durch ihren Ex-Mann, den Musiker Ike Turner. Sie will damit einen Schluss­strich ziehen.

Aber statt­des­sen wird sie nun ständig ausge­fragt und soll Einzel­hei­ten nennen. Sie legt 1986 mit einer Biogra­fie nach, die 1993 verfilmt wird. Es sei alles gesagt, meinte sie, aber die bohren­den Fragen gehen weiter. «Es ist wie ein Fluch, dass diese Sachen immer und immer wieder zur Sprache gebracht werden», sagt Turner.

«Sie hat die Nase voll davon, in diesem einen Aspekt ihres Lebens zemen­tiert zu werden», sagt Martin. Und doch rührt auch dieser Film lange in der Vergan­gen­heit und widmet der dunklen Zeit in ihrem Leben mehr Raum als den 40 Jahren danach.

Da waren die Eltern, die abhau­en, und Tina, die eigent­lich Anna Mae Bullock heißt, mit ihren Geschwis­tern einer Cousi­ne überlässt. Sie zeigen dazu ein armse­li­ges, dunkles Haus mit abblät­tern­der Farbe, das dem einsti­gen Wohnhaus der Familie nachemp­fun­den ist.

Da ist die Mutter, die wieder auftaucht, als die Tochter Ruhm und Geld hat. Turner versorgt sie mit großer Villa und elegan­ten Roben. In einem alten Inter­view­aus­schnitt stellt Zelma Bullock unter Beweis, dass sie ihre Tochter kaum kennt. «Sie wollte mich nicht, sie wollte nicht um mich sein, aber sie wollte meinen Erfolg», sagt Turner.

Und dann ist da Ike Turner, über dessen Schlä­ge und Verge­wal­ti­gun­gen Turner und ihr Sohn Craig zu Bildern aus dem einsti­gen Schlaf­zim­mer mit rundem Bett und Spiegel an der Decke berich­ten. Die Aufnah­men entstan­den, als das Haus verkauft werden sollte.

Eine Inter­viewe­rin fragt Ike Turner im Jahr 2000 nicht direkt nach den Missbrauchs­vor­wür­fen, aber wie er es empfand, dass sie so unglück­lich war. «Ich kann ehrlich gesagt nicht sagen, wie ich empfun­den habe, weil ich nie wusste, wie sie sich fühlte», sagt er darauf. «Ich weiß nicht, warum sie Selbst­mord­ver­su­che unter­nahm.» Sie sei wohl unglück­lich gewesen, weil er Affären hatte.

«Es sieht vielleicht aus wie ein Film über Trauma, aber in Wirklich­keit ist es ein Film über das Streben nach Liebe», sagt Lindsay. Die fand Turner bei Erwin Bach, der aber erst eine halbe Stunde vor Ende des zweistün­di­gen Films ins Bild kommt. Er ist 16 Jahre jünger als Turner und erzählt liebe­voll von der nach wie vor knistern­den Bezie­hung. Die beiden haben sich einst am Flugha­fen in Düssel­dorf kennen­ge­lernt. Nach 27 gemein­sa­men Jahren heira­te­ten die beiden 2013 in ihrem Haus am Zürichsee.

Eine Art Abschied sei der Dokumen­tar­film, sagen die Regis­seu­re. Turner wolle keine Kameras mehr in ihrem Leben. Der Abspann sagt alles: Tina Turner singt «Simply the Best» — einfach die Beste.

Von Chris­tia­ne Oelrich, dpa