ATHEN (dpa) — «Könnten plötz­lich eines Nachts kommen»: Mit dieser Drohung hatte Erdogan den Streit mit Griechen­land um Mittel­meer­in­seln angeheizt. Scholz bezieht nun klar Stellung — und macht ein Vermittlungsangebot.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hat Griechen­land gegen türki­sche Drohun­gen im Streit um griechi­sche Inseln im östli­chen Mittel­meer in Schutz genommen.

«Es ist nicht akzep­ta­bel, wenn ein Nato-Partner die Souve­rä­ni­tät eines anderen infra­ge stellt», sagte Scholz der griechi­schen Zeitung «Ta Nea» vor seinem Treffen mit dem griechi­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Kyria­kos Mitso­ta­kis in Athen. «Das gilt auch für mehr oder weniger verschlüs­sel­te militä­ri­sche Drohungen.»

Die Türkei stellt die Souve­rä­ni­tät Griechen­lands über zahlrei­che bewohn­te und unbewohn­te griechi­scher Inseln im östli­chen Mittel­meer infra­ge und fordert den Abzug aller griechi­schen Truppen von diesen Inseln. Zurzeit ist die Lage zwischen den beiden Nato-Partnern in der Ägäis äußerst angespannt. Der türki­sche Präsi­dent Recep Tayyip Erdogan hatte Griechen­land in den vergan­ge­nen Wochen wieder­holt mit dem Satz gedroht: «Wir könnten plötz­lich eines Nachts kommen.»

Scholz bietet deutsche Vermitt­lung an

Scholz rief beide Länder auf, den Konflikt im Dialog zu lösen. «Gute, nachbar­schaft­li­che Bezie­hun­gen zwischen Griechen­land und der Türkei sind nicht nur für beide Länder, sondern für ganz Europa bedeut­sam», sagte er. «Die Bundes­re­gie­rung setzt sich dafür ein, dass die offenen Fragen zwischen beiden Ländern im Dialog und auf der Grund­la­ge des Völker­rechts gelöst werden.»

Der Kanzler bot auch eine deutsche Vermitt­lung in dem Streit an. «Unser gemein­sa­mes Ziel, unsere Vision sollte doch sein, das ganze wirtschaft­li­che Poten­zi­al der östli­chen Mittel­meer-Region auszu­schöp­fen. Zum Wohle aller Länder», sagte er. «Sofern das von den Betei­lig­ten als nützlich betrach­tet wird, kann sich Deutsch­land hier einbringen.»

Auch Baerbock hatte sich mit Türkei angelegt

Der Terri­to­ri­al­streit zwischen Griechen­land und der Türkei dürfte zu den Haupt­the­men des Gesprächs zwischen Scholz und Mitso­ta­kis zählen. Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) hatte sich bereits im Juli bei einem Doppel­be­such in Athen und der Türkei klar auf die Seite Griechen­lands gestellt und damit die türki­sche Regie­rung gegen sich aufgebracht.

«Griechi­sche Inseln sind griechi­sches Terri­to­ri­um und niemand hat das Recht, das infra­ge zu stellen», hatte Baerbock gesagt und war dafür anschlie­ßend von ihrem türki­schen Kolle­gen Mevlüt Cavuso­glu scharf kriti­siert worden. In dem Streit geht es auch um Erdgas­vor­kom­men im östli­chen Mittelmeer.

Erste deutscher Marder-Panzer in Griechen­land eingetroffen

Scholz traf am Mittwoch­abend nach seinem Besuch in Paris in Athen ein. Mitso­ta­kis wollte ihm am Donners­tag zunächst die Akropo­lis zeigen, die größte Touris­ten­at­trak­ti­on in ganz Griechen­land. Anschlie­ßend finden die politi­schen Gesprä­che statt.

Dabei könnte es auch um Rüstungs­ko­ope­ra­ti­on gehen. Die Bundes­re­gie­rung hatte einen Ringtausch mit Griechen­land verein­bart, um die Ukrai­ne mit 40 Schüt­zen­pan­zern sowje­ti­scher Bauart des Typs BMP‑1 zu versor­gen, die Athen einst aus DDR-Bestän­den erhal­ten hatte. Die griechi­schen Streit­kräf­te bekom­men dafür 40 deutsche Marder-Schüt­zen­pan­zer. Die ersten sechs sind vor wenigen Tagen in Griechen­land eingetroffen.

Scholz weist Repara­ti­ons­for­de­run­gen zurück

Auch die griechi­schen Repara­ti­ons­for­de­run­gen für die im Zweiten Weltkrieg von deutschen Besat­zern verur­sach­ten Kriegs­schä­den könnten wieder auf den Tisch kommen. Scholz wies sie in dem «Ta Nea»-Interview zurück. «Juris­tisch und politisch ist die Repara­ti­ons­fra­ge abgeschlos­sen», sagte er.

Er beton­te aber, dass ihm Aufar­bei­tung und Erinne­rung an die grausa­men Verbre­chen wichtig seien. «Ich bin sehr dankbar dafür, dass Griechen und Deutsche heute in Freund­schaft und Partner­schaft in Europa vereint sind.»

Nazi-Deutsch­land hatte Griechen­land am 6. April 1941 überfal­len. Bis 1944 verüb­ten SS und Wehrmacht dort zahlrei­che Massa­ker. Zehntau­sen­de griechi­sche Zivilis­ten kamen im Krieg ums Leben. Eine griechi­sche Parla­ments­kom­mis­si­on schätz­te die Summe für die von Deutsch­land verur­sach­ten Kriegs­schä­den auf mindes­tens 289 Milli­ar­den Euro — inklu­si­ve einer Zwangs­an­lei­he, die Griechen­land der Deutschen Reichs­bank während des Krieges gewäh­ren musste.

Die Regie­rung von Minis­ter­prä­si­dent Mitso­ta­kis hat mehrfach betont, dass sie an den Repara­ti­ons­for­de­run­gen festhal­te. Deutsch­land hält das Thema juris­tisch für abgeschlos­sen und beruft sich dabei auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außen­po­li­ti­schen Folgen der deutschen Wieder­ver­ei­ni­gung von 1990.