Ein ehema­li­ger Flücht­ling aus Eritrea knackt den deutschen Marathon-Rekord. Amanal Petros bleibt in Valen­cia gleich gut eine Minute unter der bishe­ri­gen Bestmar­ke von Arne Gabius, der aus der Ferne gratu­liert: «Super! Klasse gemacht, Chance genutzt.»

Der 25-Jähri­ge vom TV Watten­scheid 01 rannte in seinem erst zweiten Marathon in 2:07:18 Stunden als deutscher Rekord­hal­ter ins Ziel. Damit blieb der aus Eritrea stammen­de Leicht­ath­let gleich 1:15 Minuten unter der bishe­ri­gen Bestmar­ke von Routi­nier Arne Gabius, der die 42,195 Kilome­ter am 25. Oktober 2015 in 2:08:33 Stunden gelau­fen war.

Ganz neben­bei erfuhr Petros, dass er Richtung Rekord rannte. «Nach einigen Kilome­tern merkte ich, dass das doch ein ziemlich schnel­les Tempo ist und erkun­dig­te mich bei einem Begleit-Motor­rad­fah­rer», erzähl­te er. «So habe ich erfah­ren, dass ich in der Gruppe für eine 2:06-Zeit laufe.» Neben Tempo und Ausdau­er bewies Petros auch Humor: Man habe die drei Tempo­ma­cher gefragt, ob sie noch bis Kilome­ter 35 durch­hal­ten würden — und ihnen verspro­chen: «Wir laden euch dann später zum Kaffee­trin­ken ein!» Die Taktik ging auf.

«Super! Klasse gemacht, Chance genutzt», sagte Gabius der Deutschen Presse-Agentur über seinen 14 Jahre jünge­ren Nachfol­ger. «Amanal wird sich in den nächs­ten Jahren weiter verbes­sern. Er hat ein super Niveau, ist ein super Talent. Ich traue ihm mal eine Zeit von 2:05 Stunden zu», meinte Gabius, der wie Petros noch auf eine Olympia-Start­chan­ce 2021 in Tokio hofft.

Auch Trainer Tono Kirsch­baum zog den Hut vor seinem Schütz­ling, der in der vorigen Woche noch im Trainings­la­ger in Kenia war — und sich im Hochland in Topform brach­te. «Das war sehr coura­giert, als ich die Zwischen­zeit gesehen hab, war ich kurz vor dem Herzstill­stand», gab Kirsch­baum zu. «Ich dachte: Au weia — wie will er das durch­hal­ten? Dazu war es sehr windig — aber Aman konnte sich gut in einem Pulk halten. Er ist sowie­so ein Typ, der, wenn es rollt, sich nicht scheut, Risiko zu gehen.»

Seit Wochen bangt «Aman», wie ihn Freun­de gerne rufen, um seine Familie, die aus ihrem Heimat­land Eritrea nach Äthio­pi­en geflüch­tet war, als er zwei Jahre alt war. Als 16-Jähri­ger kam Petros ganz allein nach Deutsch­land; seine Mutter und seine Schwes­tern leben noch immer in der Region Tigray. Seit Wochen wüten hefti­ge Kämpfe zwischen Äthio­pi­ens Streit­kräf­ten und der Führung der Region.

«Ich kann meine Familie seit vier Wochen nicht errei­chen», hatte Petros zuletzt auf Insta­gram berich­tet und dazu einen bedrü­cken­den Lagebe­richt veröf­fent­licht. Mit dieser Ungewiss­heit war Petros in seinen zweiten Marathon gestar­tet — aber auch mit der Gewiss­heit: «Ich werde ihn mutig angehen und an mein Volk denken, das ohne Grund gestor­ben ist oder fliehen musste.»

Seinem Gastland ist der neue Laufstar, der seine ersten Meriten über 5000 oder 10 000 Meter auf der Bahn errang, sehr dankbar. «Der Sport hat es mir nicht nur erleich­tert, die Sprache zu lernen. Die Kontak­te mit den Deutschen waren auch wichtig, um Menta­li­tät und Kultur zu verste­hen», hatte Petros als junger Flücht­ling gesagt. Der Durch­bruch kam am 1. Dezem­ber 2019: Auf Anhieb erfüll­te er die Olympia-Norm für Tokio (2:11:30 Stunden): in 2:10:29 Stunden — und ebenfalls in Valencia.