BRÜSSEL (dpa) — Die Überhit­zung der Erde stoppen: Die EU will dazu einen wichti­gen Beitrag leisten. Nach langem Hin und Her steht nun endgül­tig das Etappen­ziel bis Ende dieses Jahrzehnts.

Unter­händ­ler der EU-Staaten und des Europa­par­la­ments haben sich endgül­tig auf eine Verschär­fung des Klima­ziels für 2030 geeinigt.

Bis dahin sollen die Treib­haus­ga­se der Europäi­schen Union um mindes­tens 55 Prozent unter den Wert von 1990 gesenkt werden. Dies teilten mehre­re Vertre­ter des Europäi­schen Parla­ments und des Rats der Mitglieds­staa­ten der dpa in Brüssel mit. Bisher galt ein Ziel von minus 40 Prozent.

Die Unter­händ­ler des Europa­par­la­ments akzep­tier­ten nach mehr als 15-stündi­gen Verhand­lun­gen letzt­lich die Marke, die die EU-Staats- und Regie­rungs­chefs Ende 2020 vorge­ge­ben hatten. Dabei wollte das EU-Parla­ment eigent­lich viel mehr: eine Senkung der Klima­ga­se um 60 Prozent sowie eine schär­fe­re Berech­nungs­me­tho­de. Die Abgeord­ne­te erreich­ten nur Zugeständ­nis­se in Details.

Haupt­streit­punkt war neben dem Prozent­wert vor allem die Frage, ob und inwie­weit die Mengen Kohlen­di­oxid einge­rech­net werden sollen, die Wälder, Pflan­zen und Böden speichern. Abgeord­ne­te bemän­geln, dass eine Einbe­zie­hung dieser sogenann­ten Senken das Einspar­ziel abschwächt. Statt bei 55 Prozent lägen die tatsäch­li­chen Einspa­run­gen nur bei 52,8 Prozent, monier­ten unter anderem die Grünen.

Die Parla­men­ta­ri­er handel­ten zumin­dest heraus, dass die Anrech­nung der Senken auf 225 Millio­nen Tonnen Kohlen­di­oxid begrenzt wird. Die EU-Kommis­si­on soll durch Auffors­tung die Binde­kraft der Wälder auf 300 Millio­nen Tonnen Kohlen­di­oxid erhöhen, so dass netto mehr als 55 Prozent Treib­haus­ga­se einge­spart werden könnten. Durch­set­zen konnte das Parla­ment die Gründung eines Klima­rats mit 15 Exper­ten, der die Umset­zung der Ziele beglei­ten soll. Zudem wird ein Treib­haus­gas-Budget für die nächs­ten Jahrzehn­te ermit­telt, aus dem sich ein Etappen­ziel für 2040 ablei­ten lässt.

Die Grünen zeigten sich enttäuscht. «Mit diesem Klima­ziel und Klima­ge­setz verliert die Europäi­sche Union ihre Vorrei­ter­rol­le im Klima­schutz», kriti­sier­te der Europa­ab­ge­ord­ne­te Micha­el Bloss. «Das Pariser Klima­ab­kom­men wird so kaum einzu­hal­ten sein, der Klima­wan­del wird uns das nicht verzei­hen.» Sein Frakti­ons­kol­le­ge Sven Giegold monier­te, mit einem «Rechen­trick» sei das Klima­ziel geschrumpft worden. Dies sei ein schwe­rer Fehler, und auch die Bundes­re­gie­rung habe dazu beigetragen.

Der CDU-Politi­ker Peter Liese beton­te hinge­gen, das neue Ziel sei sehr ambitio­niert: «Die Einigung ist histo­risch. Das Ziel der Klima­neu­tra­li­tät wird jetzt gesetz­lich festge­schrie­ben. Zum ersten Mal war das Europäi­sche Parla­ment an der Festset­zung der Klima­zie­le direkt beteiligt.»

Liese verwies darauf, dass in den 30 Jahren von 1990 bis 2020 die Klima­ga­se der EU nur um 25 Prozent verrin­gert worden seien; binnen zehn Jahren bis 2030 müssten sie um weite­re 30 Prozent­punk­te sinken. Auch der Bundes­ver­band der Deutschen Indus­trie bezeich­ne­te das 55-Prozent-Ziel als «extrem ehrgei­zig». Das Parla­ment und der Rat der EU-Staaten müssen dem Verhand­lungs­er­geb­nis noch formal zustimmen.

Vor dem virtu­el­len Klima­gip­fel von US-Präsi­dent Joe Biden am Donners­tag und Freitag war der politi­sche Druck hoch, ein verbind­li­ches EU-Ziel festzu­zur­ren und damit das EU-Klima­ge­setz unter Dach und Fach zu bringen. Es wird erwar­tet, dass auch die USA ein ehrgei­zi­ge­res Klima­ziel für 2030 ankündigen.

Biden hat sein Land ins Pariser Klima­ab­kom­men von 2015 zurück­ge­führt, das sein Vorgän­ger Donald Trump aufge­kün­digt hatte. Ende des Jahres sollen bei einer Weltkli­ma­kon­fe­renz in Glasgow alle Vertrags­part­ner ihrer Klima­zie­le nachschär­fen. Andern­falls würde das Vertrags­ziel verfehlt, die globa­le Erwär­mung bei unter 2 Grad — und möglichst bei nur 1,5 Grad — zu stoppen. Vergleichs­maß­stab ist die vorin­dus­tri­el­le Zeit.

Das verschärf­te Ziel für 2030 ist eine Etappe auf dem Weg, die EU bis 2050 klima­neu­tral zu machen. Dann sollen fast alle Treib­haus­ga­se vermie­den oder gespei­chert werden. Nötig ist dafür in den nächs­ten 30 Jahren ein umfas­sen­der Umbau der Wirtschaft hin zu erneu­er­ba­ren Energien und Produk­ti­ons­me­tho­den ohne Abgase. Wie das konkret gehen soll, will die EU-Kommis­si­on in einem Geset­zes­pa­ket «Fit for 55» im Juni erklären.