BERLIN (dpa) — Mehr als 50 Millio­nen Impfdo­sen wurden in Deutsch­land schon gespritzt. Aber Millio­nen Menschen warten noch. Auch mit dem Ende der Priori­sie­rung wird sich daran wenig ändern. Geduld bleibt gefragt.

Gut fünf Monate ist es her, dass die erste Sprit­ze gegen das Corona­vi­rus in Deutsch­land gesetzt wurde. Nach reich­lich Ärger und Frust zu Beginn haben die Impfun­gen immer mehr Fahrt aufgenommen.

Und jetzt startet die nächs­te große Etappe: An diesem Montag (7. Juni) fallen für Millio­nen Menschen Hinder­nis­se weg, an begehr­te Termi­ne zu kommen. Dann endet die Priori­sie­rung, die einen Vorrang für beson­ders gefähr­de­te Gruppen sichern sollte. Zugleich wird das Impfnetz noch größer, und Beschäf­tig­te können sich auch direkt über die Firma impfen lassen. Ärzte und Politik bitten trotz­dem um Geduld.

Was ändert sich ab Montag genau?

Am 7. Juni tritt eine geänder­te Impfver­ord­nung in Kraft, in der keine feste Reihen­fol­ge nach «höchs­ter», «hoher» und «erhöh­ter» Priori­tät mehr steht. Im Entwurf hieß es erläu­ternd: «Ein Anspruch auf eine Schutz­imp­fung gegen das Corona­vi­rus SARS-CoV‑2 besteht für alle Perso­nen, unabhän­gig von ihrem Alter, ihres Gesund­heits­zu­stan­des sowie ihrer beruf­li­chen Tätig­keit und eines damit zusam­men­hän­gen­den signi­fi­kant erhöh­ten Risikos für einen schwe­ren oder tödli­chen Krank­heits­ver­lauf.» Die Länder können die Priori­sie­rung für ihre regio­na­len Impfzen­tren zwar noch beibe­hal­ten, wenn sie wollen. In den Praxen ist sie aber passé. Und generell gilt: der Anspruch für alle besteht «im Rahmen der Verfüg­bar­keit der vorhan­de­nen Impfstoffe».

Können sich ab Montag alle impfen lassen?

Theore­tisch ja — doch für die aller­meis­ten dürfte es noch Wochen bis zur Impfung dauern. Tatsäch­lich können sich nun aber alle um Termi­ne bemühen, die dann über den Sommer hinweg einge­tak­tet werden sollen. Denn die Impfstoff­men­gen nehmen zwar zu, gelie­fert wird aber weiter nur nach und nach. Laut Progno­sen der Herstel­ler sollen kommen­de Woche fast 2,6 Millio­nen Dosen des Präpa­rats von Biontech/Pfizer an die Praxen gehen, dazu gut 300.000 von Astra­ze­ne­ca und 514.000 von Johnson & Johnson. Daneben sollen die Impfzen­tren 2,5 Millio­nen Dosen bekom­men. Die Öffnung für alle fällt aller­dings in eine Phase, in der gerade sehr viele Zweit­imp­fun­gen mit dafür reser­vier­ten Dosen laufen.

Was passiert in den Praxen?

Nach dem Start auf breiter Front nach Ostern sind 75.000 Haus- und Facharzt­pra­xen dabei, darun­ter künftig auch etwa 2000 Privat­ärz­te. Praxen sollen nun täglich auch die Zahl der Geimpf­ten unter 18 Jahre melden, neben der über 60. Aber die deutschen Hausärz­te dämpf­ten die Erwar­tun­gen an das Ende der Impfprio­ri­sie­rung. «Denn letzt­lich ist der Impfstoff noch immer zu knapp für die hohe Nachfra­ge und wird auch weiter­hin zu unzuver­läs­sig gelie­fert», sagte Ulrich Weigeldt, Vorsit­zen­der des Deutschen Hausärz­te­ver­ban­des, den Zeitun­gen der Funde Medien­grup­pe. Gleich­zei­tig werde mit der Aufhe­bung der Priori­sie­rung und der Ankün­di­gung der Kinder- und Jugend­imp­fun­gen die Nachfra­ge noch zuneh­men. «Aber das Setting wird das Gleiche bleiben: Wir impfen, so viel wir eben können.»

Was ist mit Impfun­gen für Kinder?

Auch alle Kinder ab zwölf Jahren können sich nun impfen lassen. Das Biontech-Präpa­rat ist dafür europa­weit zugelas­sen. Doch es dürfte in Deutsch­land vorerst keine generel­le Empfeh­lung dazu geben. Mitglie­der der Ständi­gen Impfkom­mis­si­on (Stiko) hatten schon gesagt: Es fehlten noch Daten, um das Risiko einer Covid-19-Erkran­kung bei Kindern exakt gegen das mögli­che Risiko einer Impfung abwägen zu können. Erwar­tet wird für die kommen­den Tage aber eine einge­schränk­te Empfeh­lung der Stiko — etwa erstmal für Kinder mit Vorerkrankungen.

Hängt der Schul­be­such nach den Sommer­fe­ri­en von einer Impfung ab?

Nein. Spahn betont, eine Impfung der Kinder solle eine indivi­du­el­le Entschei­dung der Betrof­fe­nen und ihrer Eltern und Ärzte sein. «Wir werden defini­tiv keine verpflich­ten­den Impfun­gen haben, auch nicht an Schulen oder Kinder­gär­ten.» Als Krite­ri­en für eine Impfent­schei­dung nannte der Minis­ter Vorer­kran­kun­gen, die persön­li­che und familiä­re Situa­ti­on, und Risiken auch einer Covid-19-Infek­ti­on. Ziel ist, bis Ende August allen Kindern ab 12 Jahren Impfun­gen anzubieten.

Wie wollen die Betriebs­ärz­te loslegen?

Für Beschäf­tig­te sollen nun auch Impfun­gen in tausen­den Unter­neh­men möglich sein. Mehr als 6000 Betriebs­ärz­te haben Impfstoff geordert, wie das Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um mitteil­te. In der ersten Woche sollen sie 702.000 Dosen bekom­men. Damit kämen nun «nicht mehr die Menschen zum Impfstoff, sondern der Impfstoff kommt zu den Menschen», formu­lier­te es der Haupt­ge­schäfts­füh­rer der Bundes­ver­ei­ni­gung der Deutschen Arbeit­ge­ber­ver­bän­de, Steffen Kampe­ter. Impfen lassen können sich so auch viele, die sich nicht extra um Termi­ne kümmern wollen.

Wie schnell geht es nun mit der Immuni­tät in Deutschland?

Bundes­re­gie­rung und Robert Koch-Insti­tut (RKI) erwar­ten, dass es noch Wochen dauert, bis so viele Menschen einen Immun­schutz haben, dass die Corona-Beschrän­kun­gen weitge­hend aufge­ho­ben werden können. RKI-Präsi­dent Lothar Wieler lobt den Impffort­schritt. Doch er betont auch: «Um weitge­hend auf Maßnah­men verzich­ten zu können, müssen aber mehr als 80 Prozent der Menschen in unserem Land einen Impfschutz haben oder einen Immun­schutz haben — entwe­der durch eine vollstän­di­ge Impfung oder durch eine Infek­ti­on plus Impfung.» Und den vollen Impfschutz hat derzeit erst etwa jeder Fünfte.

Von Sascha Meyer und Basil Wegener, dpa