STUTTGART (dpa/lsw) — Masken­pflicht vieler­orts passé, Tests und Nachwei­se kaum noch nötig — die Politik fährt die Corona-Maßnah­men spürbar zurück. So kommt den Protes­tie­ren­den die Grund­la­ge für ihr Anlie­gen schritt­wei­se abhan­den. Doch sie haben andere Themen, wie der Verfas­sungs­schutz beobachtet.

Seit ein paar Tagen ist das Masket­ra­gen an vielen Stellen im Alltag eine freiwil­li­ge Angele­gen­heit. Selbst der sonst vorsich­ti­ge Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) hat die Locke­run­gen in der Corona-Pande­mie unter­stützt. Und so überrascht es nicht, dass auch der Protest gegen diese Politik im Südwes­ten zurück­geht. Wenngleich die sogenann­ten Querden­ker nicht ans Aufhö­ren denken und der Verfas­sungs­schutz beobach­tet, dass Extre­mis­ten neue Themen suchen. Das aller­dings ist ein zweischnei­di­ges Schwert.

Zwar gingen am Wochen­en­de und Montag wieder Tausen­de Menschen in Baden-Württem­berg auf die Straßen, um ihren Unmut über die Corona-Politik zu äußern. Doch sinken nach Angaben des Innen­mi­nis­te­ri­ums seit Wochen sowohl die Zahl der Demons­tra­tio­nen an sich als auch jene der Teilneh­me­rin­nen und Teilnehmer.

Rund 18 180 Menschen versam­mel­ten sich demnach am Montag bei landes­weit 186 Versamm­lun­gen, um gegen die Corona-Maßnah­men zu demons­trie­ren. Bei vier Versamm­lun­gen kamen nochmals rund 80 Teilneh­men­de zusam­men, um für die Corona-Schutz­maß­nah­men zu demons­trie­ren. «Damit hält der Trend an, dass sich landes­weit die Zahl der Teilneh­men­den bei Versamm­lun­gen zum Thema Corona verrin­gert», teilte ein Sprecher mit. Zum Vergleich: In den ersten Monaten des Jahres gingen zeitwei­se mehr als 50 000 Menschen auf die Straße — wegen Versamm­lungs­ver­bo­ten als «Spazier­gän­ge» deklariert.

Doch obwohl die Politik die Einschrän­kun­gen zurück­fährt, sieht etwa der Gründer der Protest­be­we­gung «Querden­ken» keinen Anlass zum Aufhö­ren. Im Bundes­tag werde über eine Impflicht disku­tiert, Liefer­ver­trä­ge über Impfstof­fe sollten bis 2029 abgeschlos­sen und es solle ein Impfre­gis­ter einge­führt werden, teilte Micha­el Ballweg der Deutschen Presse-Agentur mit. «Gleich­zei­tig melden sich immer mehr Menschen, die aufgrund der Impfung gesund­heit­li­che Schäden haben. Deshalb sehen wir hier keine Gründe, den Protest einzustellen.»

Die «Querdenken»-Demonstrationen seien auch keine Anti-Corona-Demons­tra­tio­nen, sondern «Demos für die vollstän­di­ge Wieder­her­stel­lung unserer Grund­rech­te», beton­te Ballweg. Zudem seien es keine monothe­ma­ti­schen Demons­tra­tio­nen. Kritik äußer­te er beispiels­wei­se am aktuel­len Finanz­sys­tem. «Weiter­hin ist ein wichti­ges Thema, die immer weiter steigen­de Macht der Digital­kon­zer­ne», erklär­te Ballweg. Und er beton­te: «Wir sind eine Friedens­be­we­gung und lehnen jegli­che Form von Krieg ab.»

Das Landes­amt für Verfas­sungs­schutz (LfV) klingt da anders. Nach Einschät­zung der Exper­ten versu­chen extre­mis­ti­sche Akteu­re, die bisher zu Protes­ten rund um die Corona-Pande­mie und die staat­li­chen Maßnah­men aufge­ru­fen haben, neue Themen­fel­der zu beset­zen. «Ihr Ziel ist es, das Protest­ge­sche­hen thema­tisch zu verschie­ben, mindes­tens aber anzurei­chern», teilte ein Sprecher mit. Und dabei spiele der Angriff Russlands auf die Ukrai­ne sehr wohl eine Rolle: Extre­mis­ten instru­men­ta­li­sier­ten diesen für ihre Zwecke.

Hierbei verbrei­ten sie überwie­gend pro-russi­sche Positio­nen und propa­gie­ren alter­na­ti­ve Medien­ka­nä­le wie den russi­schen Staats­sen­der RT — früher Russia Today — als vermeint­lich glaub­wür­di­ge Alter­na­ti­ve zu den so bezeich­ne­ten «Mainstream-Medien», wie der Sprecher erläu­ter­te. Von Akteu­ren aus einem Spektrum, zu dem die Behör­de auch die «Querdenken»-Initiativen zählt, werde der russi­sche Angriffs­krieg unter anderem als Insze­nie­rung darge­stellt. «Diese soll angeb­lich von den staat­li­chen Maßnah­men zur Corona-Pande­mie­be­kämp­fung ablenken.»

Seit Ende 2020 beobach­tet das LfV die Initia­ti­ve «Querden­ken 711» und ihre baden-württem­ber­gi­schen Ableger wegen verfas­sungs­feind­li­cher Ansich­ten, Verschwö­rungs­ideo­lo­gien und antise­mi­ti­schen Tendenzen.

Die Verfas­sungs­schüt­zer haben den Angaben nach Anhalts­punk­te, dass die pro-russi­sche Positio­nie­rung das Mobili­sie­rungs­po­ten­zi­al extre­mis­ti­scher Akteu­re verrin­gern könnte: «Die Verla­ge­rung der Themen­schwer­punk­te und die unter­schied­li­chen Ansich­ten zum Russland-Ukrai­ne-Krieg führen nach Einschät­zung des LfV zu einer (weite­ren) Spaltung der ohnehin hetero­ge­nen Protestbewegung.»

Neben dem Krieg gegen die Ukrai­ne eignen sich den Fachleu­ten zufol­ge auch die damit zusam­men­hän­gen­den steigen­den Energie­kos­ten für eine Verein­nah­mung durch extre­mis­ti­sche Akteu­re der Protest­sze­ne, wie der Sprecher erklär­te. «Langfris­tig könnten auch Themen wie der Klima­wan­del instru­men­ta­li­siert werden, um die Anschluss­fä­hig­keit an breite­re Gesell­schafts­schich­ten zu erhöhen.»

Von Marco Krefting, dpa