LONDON (dpa) — Einst hechte­te sich Boris Becker in London in die Herzen der Tennis­fans. Nun droht ihm in der briti­schen Haupt­stadt im schlimms­ten Fall sogar eine Haftstra­fe. Wie konnte das passieren?

Boris Beckers Schick­sals­or­te trennen nur rund zwölf Kilome­ter Luftlinie.

Hier der Centre Court von Wimble­don, genannt Beckers «Wohnzim­mer», wo er drei Mal das wohl wichtigs­te Tennis­tur­nier der Welt gewann. Dort der fenster­lo­se Saal Nummer 3 im Gericht Southwark Crown Court, in dem seit Tagen über das Schick­sal des mittler­wei­le 54-Jähri­gen verhan­delt wird.

In London spiegeln sich Glanz und Tristesse des ehema­li­gen Ausnah­me­sport­lers wider. Nun beginnt der Entschei­dungs­satz: Am Diens­tag werden die Plädoy­ers erwar­tet, zudem fasst Richte­rin Deborah Taylor den Sachstand zusam­men — und dann muss die zwölf­köp­fi­ge Jury eine Entschei­dung treffen.

Hochkon­zen­triert und sicht­bar angespannt zeigt sich Becker seit Prozess­be­ginn am 21. März. Jeden Tag beglei­tet ihn seine Lebens­ge­fähr­tin Lilian De Carval­ho Montei­ro, händchen­hal­tend taucht das Paar morgens auf. Während seine Partne­rin dem Verfah­ren T20200384 am Rande des Saals lauscht, muss Becker als Angeklag­ter in einem gläser­nen Kasten Platz nehmen.

Spätes­tens hier wird klar: Dies ist kein Spiel. Becker könnten theore­tisch bis zu sieben Jahre Haft drohen. Die Ankla­ge wirft ihm vor, dem Insol­venz­ver­wal­ter Geld, Wertge­gen­stän­de wie Trophä­en und Immobi­li­en verschwie­gen zu haben. Das weist der Ex-Tennis­star zurück.

Drei Siege in Wimbledon

Crown Court statt Centre Court: Trotz der kurzen Distanz war es lange undenk­bar, dass Beckers Leben ihn einmal hierher führen würde. Über 15 Jahre hechte­te der Blond­schopf über die Tennis­plät­ze, sein Spiel riss Millio­nen mit — und er war erfolg­reich. Dreimal gewann er Wimble­don, noch immer ist er der jüngs­te Sieger in der Geschich­te des Turniers. Zwei Mal siegte er bei den Austra­li­an Open, ein Mal bei den US Open. Gemein­sam mit Micha­el Stich holte er 1992 im Doppel Gold bei den Olympi­schen Spielen, das deutsche Team führte er zum Sieg im Davis Cup. Zwölf Wochen lang war Becker Erster der Weltrang­lis­te. Gut 25 Millio­nen US-Dollar sammel­te er als Preis­geld ein — dazu, so schätzt er selbst, die gleiche Summe mit Werbeeinnahmen.

Nun ist alles weg. Mehr noch: Becker hat Schul­den. Beim Versuch, Geld zurück­zu­zah­len, nahm er Kredi­te auf, teils zu enormen Zinsen. Das Verfah­ren in London zeigt auch, wie schwie­rig das Leben für umjubel­te Sport­ler jenseits der Öffent­lich­keit ist. Als Becker sensa­tio­nell 1985 zum ersten Mal in Wimble­don siegte, wurde der 17-jähri­ge Leime­ner über Nacht zum Wunder­kind — und reich. Es folgte ein kometen­haf­ter Aufstieg. Dank Becker — und dem weibli­chen Pendant Steffi Graf — stand Tennis plötz­lich in der Gunst der Deutschen weit oben.

Seine Affären sorgen für Spott

Gleich­zei­tig stiegen die Erwar­tun­gen und das Inter­es­se, auch und beson­ders an seinem Privat­le­ben, wo Becker zwar ähnlich unbeküm­mert aufzu­tre­ten schien wie auf dem Tennis­platz, aber deutlich unglück­li­cher agier­te. Dass er in seiner Wahlhei­mat Großbri­tan­ni­en als TV-Kommen­ta­tor mit Sachver­stand und gutem Englisch nach wie vor geschätzt wird, hilft ihm in Deutsch­land wenig. Dort findet er fast nur noch in Klatsch- und Tratsch­nach­rich­ten statt, seine Bezie­hun­gen und Affären sorgen seit Jahren auch für Spott. Als Geschäfts­mann hatte er ebenfalls offen­bar kein glück­li­ches Händchen.

Schonungs­los legt das Verfah­ren nicht nur Beckers Privat­le­ben offen. Immer wieder erzählt der einsti­ge Super­star von der Scham der Privat­in­sol­venz, die er 2017 anmel­den musste. «Peinlich» sei es gewesen, dass sein Fall weltweit in den Nachrich­ten kam. Die «Marke Becker» sei beschä­digt, Werbe­part­ner winken ab, Immobi­li­en muss er unter Wert verkaufen.

Keinen Überblick über Finanzen

Aber dass er seinen Insol­venz­ver­wal­ter getäuscht habe, wie es die Ankla­ge im Fall «The Queen v Boris Franz Becker» behaup­tet? Nein, das stimme nicht, betont der 54-Jähri­ge im Gericht mit Nachdruck. Er habe einfach keinen Überblick über seine Finan­zen gehabt. Er sei nicht gewohnt, Verträ­ge auszu­han­deln und abzuschlie­ßen. Er lese seine Post nicht. Er habe nicht gewusst, dass Konten auf seinen Namen angelegt wurden, dass ihm Immobi­li­en wie sein Eltern­haus in Leimen überschrie­ben wurden. Erklä­rung: «Ich war damit beschäf­tigt, um die Welt zu reisen und Tennis zu spielen.»

Auch nach seinem Karrie­re­en­de 1999 änder­te sich daran wenig. Berater seien für sein Geld verant­wort­lich gewesen. Nur dass sein Einkom­men deutlich sank. Geld gab Becker dennoch aus. Vor Gericht beklagt er die «teure Schei­dung» von Ex-Frau Barba­ra, für Tochter Anna Ermako­wa zahlt er Millio­nen an Unter­halt. Dennoch leistet er sich ein Luxus­an­we­sen in Wimble­don und einen entspre­chen­den Lebensstil.

In London kämpft Becker nun um seine Freiheit — und das, was von seinem Ruf noch übrig ist. Staats­an­wäl­tin Rebec­ca Chalk­ley hat deutlich gemacht, dass sie der Vertei­di­gungs­li­nie, Becker sei einfach von Grund auf naiv gewesen, keinen Glauben schenkt. «Alle haben Schuld, nur Sie nicht», spottet sie. «Lassen Sie sich nicht von der Promi­nenz des Angeklag­ten ablen­ken», hatte Richte­rin Taylor den Geschwo­re­nen zu Prozess­be­ginn auf den Weg gegeben. Was das für ihn bedeu­tet, wird Boris Becker bald wissen.

Von Benedikt von Imhoff, dpa