WIESBADEN (dpa) — Das Leben in Deutsch­land hat sich in den vergan­ge­nen Monaten spürbar verteu­ert. So hoch war die Infla­ti­ons­ra­te Jahrzehn­te nicht mehr. Kurzfris­tig sollten Verbrau­cher nicht mit Entspan­nung rechnen.

Kräfti­ge Preis­stei­ge­run­gen für Energie und Lebens­mit­tel haben die Teuerungs­ra­te in Deutsch­land auf den höchs­ten Stand seit fast 50 Jahren getrie­ben. Volks­wir­te machen Verbrau­che­rin­nen und Verbrau­chern wenig Hoffnung, dass die Preise rasch wieder sinken werden.

Im Mai lagen die Verbrau­cher­prei­se um 7,9 Prozent über dem Niveau des Vorjah­res­mo­nats, wie das Statis­ti­sche Bundes­amt errech­net hat. Damit verharr­te die Infla­ti­ons­ra­te in Europas größter Volks­wirt­schaft im dritten Monat in Folge über der Marke von 7 Prozent. Im März war die Teuerungs­ra­te auf 7,3 Prozent gesprun­gen, im April lag sie bei 7,4 Prozent. Von April auf Mai zogen die Preise um 0,9 Prozent an. Die Statis­ti­ker bestä­tig­ten am Diens­tag ihre vorläu­fi­gen Angaben.

Infla­ti­ons­ra­ten auf dem derzei­ti­gen Niveau gab es im wieder­ver­ei­nig­ten Deutsch­land noch nie. In den alten Bundes­län­dern muss man bis in den Winter 1973/1974 zurück­bli­cken, um ähnlich hohe Werte zu finden. Damals waren die Energie­prei­se infol­ge der ersten Ölkri­se gestie­gen. Höhere Infla­ti­ons­ra­ten schmä­lern die Kaufkraft. Verbrau­cher können sich für einen Euro dann weniger leisten.

Infol­ge des russi­schen Angriffs auf die Ukrai­ne hatten die Energie­prei­se in den vergan­ge­nen Monaten auf hohem Niveau deutlich angezo­gen. Russland ist ein wichti­ger Liefe­rant von Erdöl und Erdgas. Doch nicht nur die angespann­te Lage auf dem Weltmarkt treibt die Energie­prei­se, sondern auch die deutsche CO2-Abgabe: Seit Jahres­be­ginn sind 30 Euro je Tonne Kohlen­di­oxid fällig, das beim Verbren­nen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht.

Energie­prei­se ziehen kräftig an

Im Mai mussten die Menschen in Deutsch­land für Energie 38,3 Prozent mehr zahlen als vor Jahres­frist. Heizöl war fast doppelt so teuer wie im Mai 2021. Erdgas verteu­er­te sich um mehr als die Hälfte. Auch die Preise für Kraft­stof­fe (41 Prozent) und Strom (21,5 Prozent) zogen deutlich an.

Liefer­eng­päs­se sorgen zudem dafür, dass Preise für viele Waren anzie­hen. Lebens­mit­tel verteu­er­ten sich um 11,1 Prozent. Damit verstärk­te sich der Preis­auf­trieb nach 8,6 Prozent im April noch einmal kräftig. Die Preise für Waren insge­samt erhöh­ten sich im Mai zum Vorjah­res­mo­nat um 13,6 Prozent. Es gebe «Preis­er­hö­hun­gen in fast allen Berei­chen», stell­ten die Statis­ti­ker fest. Die Bundes­re­gie­rung versucht, die Menschen unter anderem durch einen befris­te­ten Tankra­batt zu entlasten.

Entspan­nung ist kurzfris­tig nicht in Sicht. Die Verkaufs­prei­se im Großhan­del, die auf die Verbrau­cher­prei­se wirken, waren nach Berech­nun­gen des Bundes­am­tes im Mai um 22,9 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Damit war der Anstieg zwar etwas schwä­cher als im April 2022. Von April auf Mai dieses Jahres aller­dings stiegen die Großhan­dels­prei­se um 1,0 Prozent.

Die Bundes­bank erwar­tet für das Gesamt­jahr in Deutsch­land eine Teuerungs­ra­te von 7,1 Prozent gemes­sen am sogenann­ten harmo­ni­sier­ten Verbrau­cher­preis­in­dex (HVPI). Diesen zieht die Europäi­sche Zentral­bank für ihre Geldpo­li­tik heran. Im Mai lag der HVPI in Deutsch­land um 8,7 Prozent über Vorjahresniveau.

Die EZB peilt für den Währungs­raum der 19 Länder mittel­fris­tig stabi­le Preise bei 2 Prozent Infla­ti­on an. Angesichts der rekord­ho­hen Teuerung hat die Noten­bank nach langem Zögern den Ausstieg aus ihrer seit Jahren ultra­lo­cke­ren Geldpo­li­tik beschlos­sen: Die milli­ar­den­schwe­ren Anlei­hen­zu­käu­fe werden zum 1. Juli beendet. Am 21. Juli will der EZB-Rat die Leitzin­sen erstmals seit elf Jahren wieder erhöhen, zunächst um jeweils 0,25 Prozent­punk­te. «Die Geldpo­li­tik ist aufge­ru­fen, die Teuerung durch konse­quen­tes Handeln zurück­zu­füh­ren», mahnte jüngst Bundes­bank­prä­si­dent Joachim Nagel.