ROM (dpa) — Mit einem locke­ren 4:0 gegen die Ukrai­ne zieht England ins EM-Halbfi­na­le ein. Gegen Dänemark dürfen die Three Lions nun wieder auf dem heili­gen Rasen in Wembley spielen.

Wenn die Englän­der diese Chance jetzt nicht nutzen, wann denn dann? Der 4:0‑Spaziergang ins Halbfi­na­le der Europa­meis­ter­schaft lässt Kapitän Harry Kane von einer einma­li­gen Gelegen­heit schwär­men, die Zeitun­gen träumen schon vom ganz großen Coup.

«Noch zwei Spiele vom Ruhm entfernt», titel­te der «Sunday Express» nach dem locke­ren Viertel­fi­nal-Sieg gegen die überfor­der­te Ukrai­ne. 55 Jahre nach dem WM-Gewinn im eigenen Land hofft eine ganze Nation mehr denn je auf eine erneu­te Krönung im Wembley-Stadi­on am 11. Juli. Schon für das Halbfi­na­le am Mittwoch gegen Dänemark kehren die Three Lions zu ihren Fans in den Fußball-Tempel zurück.

«Es wird unglaublich»

«Es wird unglaub­lich. Was für ein Moment für uns als Team, als Nation. Viele von uns werden so eine Gelegen­heit bei einem großen Turnier in Wembley nicht nochmal bekom­men», sagte Starstür­mer Kane. «Wir müssen diese Chance mit beiden Händen greifen und genie­ßen. Hoffent­lich können wir die Energie am Mittwoch noch einmal nutzen.»

Bis zu 67.500 haupt­säch­lich engli­sche Anhän­ger werden die Mannschaft von Trainer Gareth South­ga­te gegen die Dänen nach vorne brüllen, dänische Anhän­ger können aufgrund der Corona-Pande­mie kaum in der Arena sein. Wann also, wenn nicht jetzt? Das Halbfi­na­le soll für die Englän­der nur ein Zwischen­schritt sein.

«Wir waren noch nie in einem EM-Finale. Das ist die nächs­te Gelegen­heit für uns, Geschich­te zu schrei­ben», sagte South­ga­te. «Es ist wunder­schön, Teil von diesem Spiel sein zu können. Als Team in Wembley zu spielen ist beson­ders, in einem Halbfi­na­le noch mehr. Wir wollen gewin­nen, wir spielen zuhau­se und haben eine großar­ti­ge Chance.»

Von Rom zurück nach Wembley

Wie eine perfekt geölte Maschi­ne rollt seine Mannschaft bislang durch dieses Turnier, das sie nach dem kurzen Rom-Ausflug im Viertel­fi­na­le nun zurück nach London führt. South­ga­te hat ein Team entwi­ckelt, das nicht immer begeis­tert, aber funktio­niert: Noch immer haben die Three Lions nicht ein Gegen­tor bei der EM kassiert.

EM-übergrei­fend sind sie nun sogar seit sieben Partien ohne Gegen­tref­fer, was zuvor noch nie einem engli­schen Team gelun­gen ist. Aber nicht nur die Abwehr überzeugt, auch der hochka­rä­tig besetz­te Sturm kommt in der entschei­den­den Phase des Turniers immer besser in Schwung. Der in der Vorrun­de noch torlo­se und stark kriti­sier­te Kane steht nach zwei K.o.-Spielen bei drei Treffern. Gegen die Ukrai­ner erziel­te der 27-Jähri­ge einen Doppel­pack (4./50. Minute), für die weite­ren Treffer sorgten Abwehr­chef Harry Magui­re (46.) und der kurz zuvor einge­wech­sel­te Jordan Hender­son (63.). Sogar Dortmunds Jadon Sancho durfte erstmals bei der EM von Beginn an spielen.

Der kurz vor einem Wechsel zu Manches­ter United stehen­de Sancho dient gewis­ser­ma­ßen als Sinnbild für das Offen­siv­po­ten­zi­al der Englän­der, auch wenn er im Viertel­fi­na­le weitge­hend unauf­fäl­lig blieb. Weite­re Top-Spieler wie Phil Foden oder Jack Grealish wurden dagegen nicht mal einge­wech­selt, Bukayo Saka stand leicht angeschla­gen nicht im Kader. South­ga­te kann aus einem riesi­gen Pool schöp­fen, was sein Team auch für die bisher so starken Dänen schwer ausre­chen­bar macht. Dass der 50-Jähri­ge erstmals Sancho von Beginn an wirbeln ließ, dürfte einige Fans überrascht haben. Dass er gegen Dänemark wieder eine andere Aufstel­lung wählt, wäre dagegen keine Überraschung.

Nun gegen unerschüt­ter­li­che Dänen

Aber wen auch immer South­ga­te aufstellt: England wird gegen Dänemark an seine Grenzen gehen müssen. «Dänemark ist viel stärker als die Ukrai­ne», schrieb der portu­gie­si­sche Star-Trainer José Mourin­ho in einer Kolum­ne für die Zeitung «The Sun». «Sie haben das Gefühl, dass der Titel nach Hause kommen kann. Aber das wird ein großes Halbfi­na­le.» Nach dem Drama um Spiel­ma­cher Chris­ti­an Eriksen, der im ersten EM-Spiel zusam­men­ge­bro­chen war und wieder­be­lebt werden musste, sind die Dänen zu einer schein­bar unerschüt­ter­li­chen Einheit zusam­men­ge­wach­sen. «Sie reiten auf einer Welle der Emotio­na­li­tät nachdem, was mit Chris­ti­an passiert ist», sagte Southgate.

Diese Welle soll die Three Lions aber nicht stoppen. Im Gegen­teil: Mit der Energie der bis zu 67.500 Fans in Wembley soll nach Jahren der Titel-Sehnsucht nun auch der letzte Schritt gelin­gen. «Wir hatten großar­ti­ge Nächte, aber auch schmerz­haf­te Nächte. Wir haben daraus gelernt», sagte South­ga­te auch mit Blick auf den bitte­ren Halbfinal‑K.o. bei der Weltmeis­ter­schaft 2018 in Russland. Das wollen die Englän­der diesmal mit aller Macht verhin­dern. Oder wie Abwehr­chef Magui­re sagt: «Wir sind nicht zufrie­den mit dem Halbfi­na­le. Wir wollen weiter kommen.»

Von Nils Bastek und Miriam Schmidt, dpa