FRANKFURT/MAIN (dpa) — Die Entrüs­tung über DFB-Präsi­dent Keller nach dessen Nazi-Vergleich ist riesig. Der Spitzen­funk­tio­när aus Freiburg versucht dennoch, seinen Posten zu retten. Wieder einmal sorgt der Verband für eine Affäre. Die DFL geht auf Abstand.

DFB-Präsi­dent Fritz Keller hat sich mit einer verba­len Entglei­sung selbst ins Abseits gestellt, klammert sich aber trotz des öffent­li­chen Entset­zens über seinen Nazi-Vergleich an seinen Posten.

«Einen Rücktritt schlie­ße ich aus», sagte der 64 Jahre alte Freibur­ger der Deutschen Presse-Agentur. Keller hofft offen­sicht­lich, sich zumin­dest bis zu einem vorge­zo­ge­nen DFB-Bundes­tag im Amt retten zu können.

Keller hatte seinen Vizeprä­si­den­ten Rainer Koch bei einer Präsi­di­ums­sit­zung am 23. April nach überein­stim­men­den Berich­ten von «bild.de» und «Der Spiegel» mit Nazi-Richter Roland Freis­ler vergli­chen. Der DFB äußer­te sich nicht zu Einzel­hei­ten, bestä­tig­te aller­dings die Entschul­di­gung Kellers. Entge­gen den Aussa­gen des Verbands­chefs hat Koch die Entschul­di­gung bisher jedoch nicht angenommen.

Die Vertre­ter der Deutschen Fußball Liga im DFB-Präsi­di­um, unter anderen ist das DFL-Chef Chris­ti­an Seifert, distan­zier­ten sich «deutlich und in aller Form» von der Wortwahl Kellers gegen­über Koch. «Eine solche Äußerung ist absolut inakzep­ta­bel», twitter­te die Dachor­ga­ni­sa­ti­on der 36 Proficlubs.

Im besten DFB-Duktus ließ Keller mittei­len: «In Zeiten gesell­schaft­li­cher Zerris­sen­heit sollten wir uns als Fußbal­ler nach meinem Foul die Hände reichen und ein gemein­sa­mes Zeichen der Versöh­nung geben. Ich freue mich, dass Rainer Koch zu gemein­sa­men Gesprä­chen bereit ist.»

Wegen des seit Monaten schwe­len­den Führungs­streits waren schon vor diesem Vorfall für den Spätsom­mer dieses Jahres Neuwah­len im Gespräch, die eigent­lich erst 2022 anste­hen. Amateur­ver­tre­ter im Sieben-Millio­nen-Mitglie­der-Verband mucken gegen das Chaos an der Spitze immer mehr auf und distan­zier­ten sich jetzt deutlich von Keller.

Der Präsi­dent des Berli­ner Fußball-Verbands (BFV), Bernd Schultz, erhofft sich auf dem anste­hen­den Regio­nal­tref­fen der Landes­ver­bän­de eine Klärung des Sachver­halts. Nach seinen Angaben nehmen daran auch Keller und DFB-General­se­kre­tär Fried­rich Curti­us teil. Ein «weiter so» dürfe es nicht geben. Ob ein außer­or­dent­li­cher Bundes­tag die richti­ge Lösung ist, bezwei­fe­le er allerdings.

Der Deutsche Olympi­sche Sport­bund (DOSB) äußer­te sich zunächst nicht über den Präsi­den­ten seines größten Fachver­ban­des. Es ist ein unheil­vol­les Schwei­gen für Keller, der nach unruhi­gen Jahren beim größten Fachsport­ver­band der Welt 2019 als Refor­mer antrat, sich in inter­nen Macht­kämp­fen verstrick­te. Nach seinem öffent­lich gewor­de­nen Fehltritt steht er nun allei­ne da.

«Mit Entset­zen und völli­gem Unver­ständ­nis» reagier­te das Präsi­di­um des Süddeut­schen Fußball-Verban­des auf die Wortwahl Kellers. «Dies ist eine Äußerung, die völlig inakzep­ta­bel ist (…)», heißt es in einem Schrei­ben, das auch von DFB-Vizeprä­si­dent Ronny Zimmer­mann unter­zeich­net ist. Gerade weil Koch Richter am Oberlan­des­ge­richt München ist, sei es völlig abwegig, ihn «auch nur ansatz­wei­se in die Nähe des höchs­ten Reprä­sen­tan­ten der unsäg­li­chen und menschen-verach­ten­den Willkür­jus­tiz des Dritten Reiches zu rücken».

Der 1945 gestor­be­ne Freis­ler war als Teilneh­mer an der Wannsee­kon­fe­renz einer der Verant­wort­li­chen für die Organi­sa­ti­on des Holocaust und später Präsi­dent des berüch­tig­ten Volks­ge­richts­ho­fes, wo er etwa 2600 Todes­ur­tei­le verhäng­te, darun­ter auch gegen die Wider­stands­grup­pe «Weiße Rose».

Das Präsi­di­um des Bayeri­schen Fußball-Verban­des traf sich in einer kurzfris­tig einbe­ru­fe­nen Video­kon­fe­renz ohne ihren Verbands­chef Koch. Das Gremi­um sei entsetzt über «die von Fritz Keller ausge­lös­te neuer­li­che Eskala­ti­on inner­halb des DFB und seiner Regio­nal- sowie Landes­ver­bän­de», hieß es. «Fritz Keller disqua­li­fi­ziert sich, er vertieft so weiter die Gräben und betreibt Polarisierung.»

Zuvor hatte der BFV mitge­teilt, dass der 62 Jahre alte Koch die Entschul­di­gung Kellers bislang nicht angenom­men habe, weil dieser den gesam­ten Vorgang mit zeitli­chem Abstand zunächst in einem persön­li­chen Gespräch mit dem DFB-Präsi­den­ten aufar­bei­ten wolle.

Keller hatte zunächst erklärt, dass er sich schrift­lich bei Koch entschul­digt und dieser «die Größe» gehabt habe, «die Entschul­di­gung anzuneh­men». Diese Einschät­zung, revidier­te er nun, sei falsch, sagte der DFB-Präsident.

In der vom DFB zunächst bestä­tig­ten Erklä­rung sagte Keller zudem: «Manch­mal fallen in Kontro­ver­sen Worte, die nicht fallen sollen und nicht fallen dürfen (…). Insbe­son­de­re auch im Hinblick auf die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus war der Vergleich gänzlich unange­bracht. Ich bedaue­re dies sehr und werde meine Worte künftig weiser wählen.»

Auch bei der Vorsit­zen­den des Sport-Ausschus­ses im Deutschen Bundes­tag, Dagmar Freitag, stieß das Verhal­ten Kellers auf völli­ges Unver­ständ­nis. «Unabhän­gig davon, dass ich den Kontext nicht kenne, in dem die wohl unbestrit­te­ne Äußerung von DFB-Präsi­dent Keller gefal­len ist: Verglei­che mit einem der furcht­bars­ten Richter der Nazi-Zeit sind nicht entschuld­bar», sagte die SPD-Politikerin.

«Ich bin schon fassungs­los. Wie kann der DFB-Präsi­dent in diesem gesell­schaft­lich so wichti­gen Amt solch einen Naziver­gleich einfüh­ren?», kriti­sier­te der frühe­re DFB-Präsi­dent Theo Zwanzi­ger bei «Bild». Die Recht­fer­ti­gungs­be­mü­hun­gen Kellers seien unange­bracht: «Es geht um glaub­wür­di­ge Einsicht für eine völlig verfehl­te Aussa­ge. Und bei Keller ist keine Einsicht zu erkennen.»

Der Gastro­nom und Winzer Keller, der jahre­lang an der Spitze des Bundes­li­gis­ten SC Freiburg stand, wurde im Septem­ber 2019 beim DFB zum Nachfol­ger von Reinhard Grindel gewählt. Dieser war zurück­ge­tre­ten, nachdem bekannt gewor­den war, dass er eine Luxus­uhr von einem ukrai­ni­schen Oligar­chen angenom­men hatte.

Die jetzi­ge DFB-Spitze gilt schon länger als zerstrit­ten. Seit Monaten tobt ein Macht­kampf zwischen Keller und Curti­us, der Kellers Verfeh­lung «Spiegel»-Angaben zufol­ge bei der Ethik­kom­mis­si­on des Verban­des angezeigt hat. «Wir haben großes Vertrau­en darauf, dass diese mit ihrer Entschei­dung die Glaub­wür­dig­keit des DFB wieder­her­stel­len wird», teilten der General­se­kre­tär und DFB-Schatz­meis­ter Stephan Osnabrüg­ge mit. Das Duo distan­zier­te sich in schar­fen Worten von seinem Chef. Der DFB steht seit Jahren durch Führungs­schwä­che, anhän­gi­ge Steuer­ermitt­lun­gen und den immer noch nicht vollstän­dig aufge­klär­ten «Sommermärchen»-Skandal um die WM 2006 in der Kritik.

Von Ulrike John, Chris­toph Lother und Chris­ti­an Kunz, dpa