SAINT-LOUIS-DU-SUD (dpa) — Haiti ist bitter­arm, politisch insta­bil — und wurde schon 2010 von einem schwe­ren Beben erschüt­tert. Nun reißt ein neues Beben Menschen in den Tod. Die Ausma­ße der humani­tä­ren Notla­ge sind noch unklar.

Nach dem verhee­ren­den Erdbe­ben in Haiti mit mindes­tens 304 Toten und über 1800 Verletz­ten hat die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft Hilfe angekündigt.

Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) drück­te den den Menschen ihr «tief empfun­de­nes Beileid» aus. «Mein beson­de­res Mitge­fühl gilt den Angehö­ri­gen der Opfer und all jenen, die ihr Hab und Gut verlo­ren haben. Den Verletz­ten wünsche ich eine schnel­le Genesung», hieß es in einer Mittei­lung am Sonntag.

UN-General­se­kre­tär António Guter­res erklär­te, er habe mit großer Betrof­fen­heit von den tragi­schen Verlus­ten an Menschen­le­ben und Verlet­zun­gen erfah­ren. Die Verein­ten Natio­nen unter­stütz­ten die Bemühun­gen der Regie­rung, den von dem Erdbe­ben Betrof­fe­nen zu helfen. Auch Papst Franzis­kus äußer­te Anteil­nah­me: «Ich möchte meine Nähe zu diesen liebens­wer­ten Einwoh­nern zum Ausdruck bringen, die so hart von dem Erdbe­ben getrof­fen wurden», sagte das Oberhaupt der katho­li­schen Kirche nach dem tradi­tio­nel­len Angelus-Gebet am Sonntag in Rom.

Frank­reich hat unter­des­sen seine Hilfe angebo­ten. «Frank­reich bleibt an der Seite von Haiti und von dessen Volk und hält sich bereit, um zu unter­stüt­zen», erklär­te Frank­reichs Präsi­dent Emmanu­el Macron am Sonntag­abend auf Twitter. «Unsere Gedan­ken sind bei denen, die einen Angehö­ri­gen verlo­ren haben oder die ihre Häuser und einen Teil ihres Lebens haben einstür­zen sehen.»

Das Erdbe­ben, dessen Stärke die US-Behör­de USGS mit 7,2 angab, ereig­ne­te sich am Samstag­mor­gen gegen 8.30 Uhr nahe der Gemein­de Saint-Louis-du-Sud im Süden Haitis in einer Tiefe von rund zehn Kilome­tern. Es zerstör­te zahlrei­che Gebäu­de, weite­re Opfer wurden befürch­tet. In den Stunden nach dem Unglück bargen Rettungs­kräf­te und Bürger viele Menschen aus den Trümmern. Am Wochen­en­de erschüt­ter­ten mehre­ren Nachbe­ben das Land, die nach USGS-Angaben Stärken bis 5,8 erreichten.

Die Ereig­nis­se wecken Erinne­run­gen an das verhee­ren­de Erdbe­ben im Jahr 2010: Damals waren mehr als 220 000 Menschen ums Leben gekom­men, mehr als 300.000 wurden verletzt, über eine Milli­on Menschen verlo­ren ihr Zuhause.

«Die Straßen sind erfüllt von Schrei­en. Die Menschen sind auf der Suche nach Angehö­ri­gen, Ressour­cen, medizi­ni­scher Hilfe, Wasser», sagte Abiade Lozama, Leiter der Episkopal­kir­che in der beson­ders betrof­fe­nen Stadt Les Cayes der «New York Times». Es werde Tage dauern, die genau­en Schäden zu beurtei­len, sagte die Leite­rin der Kinder­hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on Save the Child­ren in Haiti, Leila Bourahla, dem Blatt und fügte hinzu: «Es ist klar, dass es sich um eine massi­ve humani­tä­re Notla­ge handelt.»

Die Paname­ri­ka­ni­schen Gesund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (PAHO) schick­te ein Exper­ten­team. Such- und Rettungs­ar­bei­ten des Inter­na­tio­na­len Roten Kreuzes konzen­trier­ten sich auf die Gegend um die beson­ders betrof­fe­nen Städte Jérémie und Les Cayes. Die Organi­sa­ti­on sandte ebenfalls Notfallspezialisten.

Interims-Premier­mi­nis­ter Ariel Henry besuch­te nach eigenen Angaben das Depart­ment Grand’ Anse und überflog Les Cayes, um sich ein Bild vom Ausmaß der Schäden zu machen. Er rief einen einmo­na­ti­gen Notstand aus. Unter anderem die Organi­sa­ti­on Ameri­ka­ni­scher Staaten (OAS), Kolum­bi­en, Argen­ti­ni­en, Chile, Mexiko, Kanada und die USA boten Hilfe an. «Die Verei­nig­ten Staaten bleiben dem haitia­ni­schen Volk ein enger und bestän­di­ger Freund, und wir werden auch nach dieser Tragö­die da sein», erklär­te US-Präsi­dent Joe Biden.

Japans Tennis-Star Naomi Osaka will ihr Preis­geld vom WTA-Turnier in Cincin­na­ti für die Betrof­fe­nen des Erdbe­bens spenden. «Es schmerzt, die vielen Schäden für Haiti zu sehen. Es fühlt sich an, als bekämen wir keine Atempau­se», schrieb die Weltrang­lis­ten-Zweite bei Twitter. Osakas Vater stammt aus Haiti.

Die Bundes­re­gie­rung rief dazu auf, die betrof­fe­nen Gebie­te im Südwes­ten des Insel­staa­tes zu meiden. «Es muss mit zahlrei­chen Toten und Verletz­ten sowie starken Schäden an Gebäu­den und Infra­struk­tur gerech­net werden. Es kommt weiter­hin zu starken Nachbe­ben», warnte das Auswär­ti­ge Amt.

Haiti wird immer wieder von schwe­ren Erdbe­ben erschüt­tert. «Das Land liegt am Rande einer großen tekto­ni­schen Platte, der Karibi­schen Platte», sagte Marco Bohnhoff vom Geofor­schungs­zen­trum Potsdam der Deutschen Presse-Agentur. «Das Problem ist, dass das Beben fast bis an die Oberflä­che gereicht hat», sagt er. Im Mittel versetz­te das Erdbe­ben die Karibi­sche Platte um etwa 1,5 Meter — «haupt­säch­lich zur Seite, aber mit einer verti­ka­len Komponente».

Die durch Erdbe­ben angerich­te­ten Schäden hängen auch von der Bevöl­ke­rungs­dich­te ab. Das Zentrum des ähnlich starken, verhee­ren­den Erdbe­bens von 2010 lag unter der Haupt­stadt Port-au-Prince — einem Ballungs­raum mit mehr als zwei Millio­nen Einwoh­nern. Beim aktuel­len Beben ist als große Stadt Les Cayes mit schät­zungs­wei­se rund 90 000 Einwoh­nern in etwa 35 Kilome­tern Entfer­nung zum Epizen­trum betroffen.

Dem Karibik­staat droht weite­res Ungemach: Der Tropen­sturm «Grace» könnte am Montag auf die Region treffen, wie das Natio­na­le Hurri­kan-Zentrum der USA mitteil­te. Hefti­ge Winde und starker Regen könnten Haiti treffen, die Situa­ti­on in dem vom Erdbe­ben betrof­fe­nen Gebiet verschlim­mern und Rettungs­maß­nah­men behindern.