MÜNCHEN (dpa) — Der deutschen Natio­nal­mann­schaft ist bei der Fußball-EM im zweiten Vorrun­den­spiel der erste Sieg gelun­gen. Die Auswahl von Bundes­trai­ner Joachim Löw bezwang Europa­meis­ter Portu­gal in München mit 4:2 (2:1).

Jetzt ist Deutsch­land im Turnier — und wie! Mit großem Mut und der von Joachim Löw gefor­der­ten Durch­schlags­kraft ist der EM-Express gerade recht­zei­tig richtig ins Rollen gekommen.

Angetrie­ben von den als verkapp­ten Außen­stür­mern überra­gen­den Robin Gosens und Joshua Kimmich hat die deutsche Natio­nal­mann­schaft mit Spaß- und Power­fuß­ball beim 4:2 (2:1) gegen Lieblings­geg­ner Portu­gal das erste große Sommer­fest in der Münch­ner Arena gefei­ert — trotz manch defen­si­ver Wackler.

Durch den erzwun­gen Eigen­tor-Doppel­pack von Rúben Dias (35. Minute) und Rapha­el Guerrei­ro (39.) sowie die Treffer von Kai Havertz (51.) und dem an allen vier Toren betei­lig­ten Turnier­neu­ling Gosens (60.) ist die Drohku­lis­se eines frühen Turnier‑K.o. und bitte­ren Endes der Ära von Bundes­trai­ner Löw plötz­lich wie weggeblasen.

Trotz der Tor-Premie­re von Cristia­no Ronal­do (15.) gegen Deutsch­land und dem Treffer von Diogo Jota (67.) kann die DFB-Elf im letzten Gruppen­spiel am Mittwoch mit einem Sieg gegen Ungarn sogar den ersten Platz in der Hammer­grup­pe F noch schaf­fen. Die befürch­te­te Rechne­rei um Gruppen­kon­stel­la­tio­nen und den retten­den dritten Rang kann man sich aus eigener Kraft erspa­ren. Ronal­do hinge­gen muss nach seiner fünften Nieder­la­ge gegen Deutsch­land mit dem Titel­ver­tei­di­ger wieder zittern.

Im legeren blauen Hemd dirigier­te Löw engagiert an der Seiten­li­nie. Sein Start­elf­per­so­nal hatte er trotz der Enttäu­schung gegen Frank­reich unver­än­dert gelas­sen. Kimmich begann wieder auf der rechten Außen­bahn statt im Zentrum, das erneut von Ilkay Gündo­gan und Toni Kroos besetzt wurde. Die offen­si­ve Dreier­ket­te bilde­ten Havertz, Serge Gnabry und Thomas Müller, die schon nach gut vier Minuten jubel­ten — aber nur kurz. Das von Gosens artis­tisch erziel­te, vermeint­li­che Führungs­tor zählte wegen einer Abseits­po­si­ti­on von Gnabry nicht.

Dennoch wirkte Löw kurz nach dem Anpfiff zufrie­den. Die Abstim­mung funktio­nier­te besser als gegen den Weltmeis­ter am Diens­tag. Havertz, der mit Müller und Gnabry immer wieder die Positio­nen tausch­te, prüfte den portu­gie­si­schen Torwart Rui Patrí­cio (10.), der Schuss von Toni Kroos wurde von Rúben Dias in letzter Not geblockt (12.). Portu­gal stand mächtig unter Druck — dem offen­siv hochklas­sig besetz­ten Europa­meis­ter reich­te aber dieser eine Moment.

Nach einer deutschen Ecke schal­te­ten Ronal­do und Co. blitz­schnell um und konter­ten gnaden­los. Das entschei­den­de Zuspiel auf Diogo Jota konnten die zurück­ei­len­den Matthi­as Ginter und Kimmich nicht verhin­dern. Der 24-Jähri­ge vom FC Liver­pool legte überlegt auf Ronal­do, der vollende­te und seine Freude in den Münch­ner Himmel schrie. Der Super­star erziel­te sein 19. Tor bei Welt- und Europa­meis­ter­schaf­ten und schloss zu Rekord­hal­ter Miros­lav Klose auf.

Schon wieder in Rückstand, das hatte Löw im zweiten EM-Spiel unbedingt vermei­den wollen. «Wir sind auf der Suche nach der golde­nen Mitte», hatte der Bundes­trai­ner kurz vor dem Anpfiff in der ARD über die Risiko­be­reit­schaft seiner Spieler gesagt. Seine Taktik war in den vergan­ge­nen Tagen in Wohnzim­mern, Kneipen und Freibä­dern wieder einmal hitzig disku­tiert worden. «Ich mag das System nicht so gern», sagte Jürgen Klopp bei Magen­ta TV. Die DFB-Auswahl tanzte auf dem schma­len Grat zwischen erdrü­cken­der Offen­si­ve und anfäl­li­ger Defensive.

Aber das machte sich gut. Nachdem schon Gosens Rui Patrí­cio zur nächs­ten Parade gezwun­gen hatte (18.), verpass­te Hummels eine Gnabry-Flanke aus aussichts­rei­cher Positi­on um Zenti­me­ter (25.). Die Löw-Elf wollte, sie dräng­te auf den Ausgleich. Das spürten auch die mehre­ren Tausend Fans auf den Rängen, die inner­halb weniger Minuten zweimal jubeln konnten.

Das erste deutsche Turnier­tor leite­te Kimmich über die viel disku­tier­te rechte Seite mit einem starken Ball auf Gosens ein, der mit Wucht und dem von Löw gefor­der­ten Mut direkt in die Mitte weiter­lei­te­te. Dort zwang Havertz Rúben Dias mit gutem Körper­ein­satz zum Eigen­tor, das dem verhäng­nis­vol­len von Mats Hummels gegen Frank­reich ähnelte.

Die Führung erzwang die DFB-Auswahl durch erneut starkes Nachset­zen. Kimmich spiel­te den entschei­den­den Ball aus kurzer Distanz vor das portu­gie­si­sche Tor, den der Dortmun­der Guerrei­ro nur noch ins eigene Tor abweh­ren konnte. Gnabry hätte vor der Pause fast noch erhöht (45.+2). «Was mir gefal­len hat, war die Risiko­be­reit­schaft», sagte ARD-Exper­te Basti­an Schwein­stei­ger in der Halbzeit.

Das dritte Tor für Deutsch­land nach starker Angriffs­kom­bi­na­ti­on brach­te noch mehr Sicher­heit. Gosens wurde auf der linken Seite von den Portu­gie­sen allein gelas­sen, die wieder gute Herein­ga­be des Itali­en-Profis verwer­te­te Havertz zum ersten selbst erziel­ten Treffer der DFB-Auswahl. Ronal­do antwor­te­te mit einem Freistoß, der aber deutlich über das Tor von DFB-Kapitän Manuel Neuer ging (54.).

Gosens krönte seine Glanz­leis­tung in München per Kopf. Bei der Flanke von Kimmich schien wieder kein Portu­gie­se den 26-Jähri­gen auf der Rechnung zu haben. Bei seiner Auswechs­lung kurz darauf wurde Gosens verdient gefei­ert, der Natio­nal­spie­ler verneig­te sich sogar kurz, die Fans riefen im Gegen­zug lautstark seinen Namen.

Diogo Jota ließ die Portu­gal-Fans im Stadi­on nach artis­ti­scher Vorla­ge von Ronal­do zumin­dest wieder ein bisschen hoffen. Renato Sanches traf gut zehn Minuten vor Schluss aus 25 Metern den Pfosten (78.). Zuvor war der vor der EM angeschla­ge­ne Leon Goretz­ka zu seinem Turnier­de­büt gekom­men. Er kam für Havertz (73.) und zielte wenig später nur knapp über das Tor (84.).

Von Arne Richter, Klaus Bergmann und Jan Mies, dpa