KÖLN (dpa) — Ist der Muezzin­ruf Ausdruck von Religi­ons­frei­heit oder eine Macht­de­mons­tra­ti­on des politi­schen Islam? Die Meinun­gen zum Pilot­pro­jekt an der Kölner Zentral­mo­schee gehen auseinander.

An der Zentral­mo­schee der Türkisch-Islami­schen Union Ditib ruft der Muezzin an diesem Freitag (13.24 Uhr) erstmals über Lautspre­cher zum Gebet. Der Ruf soll maximal fünf Minuten dauern und nur in unmit­tel­ba­rer Nähe der Moschee zu hören sein. Bei den Anwoh­nern darf er nur mit einer Lautstär­ke von 60 Dezibel ankommen.

«Die Neuerung besteht darin, dass nun der Gebets­ruf auch auf dem Moschee­vor­platz vor dem Gebets­saal zu hören sein wird», sagte Murat Şahinars­lan von der Ditib der Deutschen Presse-Agentur. Bisher sei freitags immer im Gebets­saal selbst gerufen worden. Der Rufen­de an diesem Freitag ist demnach Musta­fa Kader, Religi­ons­be­auf­trag­ter der Ditib.

Abdur­rah­man Atasoy, stell­ver­tre­ten­der Vorsit­zen­der im Ditib-Bundes­ver­band, sagte, man sei «sehr glück­lich» über den mit der Stadt Köln geschlos­se­nen Vertrag. «Der öffent­li­che Gebets­ruf ist ein Zeichen für die Behei­ma­tung der Musli­me.» Aus «unsicht­ba­ren und usseli­gen Hinter­hof­mo­scheen» hätten sie es nun in die Mitte der Gesell­schaft geschafft. «Dass Musli­me mit ihren reprä­sen­ta­ti­ven Moscheen als sicht­ba­rer und mit ihrem Gebets­ruf als hörba­rer Teil endlich gesell­schaft­lich angekom­men und angenom­men sind, ist die Kernbot­schaft dieses langen Prozesses.»

Freiheit der Religionsausübung

Die Stadt Köln hatte bereits im vergan­ge­nen Jahr angekün­digt, dass Moschee­ge­mein­den auf Antrag und unter Aufla­gen ihre Gläubi­gen zum Gebet rufen dürfen. Vorläu­fig handelt es sich um ein auf zwei Jahre befris­te­tes Pilot­pro­jekt. Oberbür­ger­meis­te­rin Henri­et­te Reker (partei­los) verweist dabei auf die im Grund­ge­setz verbrief­te Freiheit der Religi­ons­aus­übung. Während in Kirchen die Glocken läute­ten, um die Gläubi­gen zum Gottes­dienst zu rufen, seien es in den Moscheen die Rufe des Muezzins.

Der Berli­ner Islamis­mus-Exper­te Ahmad Mansour hat den Muezzin­ruf als «Macht­de­mons­tra­ti­on des politi­schen Islam» kriti­siert. Er erinner­te daran, dass die Ditib der verlän­ger­te Arm der türki­schen Religi­ons­be­hör­de in Ankara sei und Präsi­dent Recep Tayyip Erdogan die Zentral­mo­schee in Köln-Ehren­feld 2018 persön­lich eröff­net habe. «Es ist verhee­rend, wenn ausge­rech­net dieser Organi­sa­ti­on jetzt eine derar­ti­ge öffent­li­che Anerken­nung zuteil wird», sagte Mansour der Deutschen Presse-Agentur.

Der Autor und Psycho­lo­ge kriti­siert insbe­son­de­re, dass die Entschei­dung von Reker einfach verkün­det worden sei, ohne dass vorher eine Diskus­si­on statt­ge­fun­den habe. Für Glaubens­frei­heit sei natür­lich jeder. «Aber den Muezzin­ruf einfach nur in diesen Kontext zu stellen, ist sträf­lich naiv.»