ISTANBUL (dpa) — Zeitwei­lig sah es so aus, als könne der mühsam in Istan­bul ausge­han­del­te Deal zum Export von ukrai­ni­schem Getrei­de platzen. Nun verlässt das erste Schiff Odessa. Kiew sieht darin einen großen Erfolg.

Erstmals seit Beginn des russi­schen Angriffs­krie­ges gegen die Ukrai­ne hat wieder ein Schiff mit Getrei­de den Hafen von Odessa verlas­sen. Nachdem der Start für 7.30 Uhr MESZ angekün­digt worden war, brach das Fracht­schiff «Razoni» am Morgen um 8.18 Uhr MESZ über das Schwar­ze Meer in Richtung Libanon auf. Es hat nach offizi­el­len Angaben rund 26.000 Tonnen Mais geladen.

Die unter der Flagge des westafri­ka­ni­schen Landes Sierra Leone fahren­de «Razoni» werde am Diens­tag gegen 14.00 Uhr MESZ vor der Küste der Meerenge Bospo­rus in Istan­bul erwar­tet, wo sie vor der Weiter­fahrt inspi­ziert werde, sagte der türki­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Hulusi Akar der staat­li­chen Nachrich­ten­agen­tur Anado­lu. «Nach dem Ankern wird die gemein­sa­me Delega­ti­on es kontrol­lie­ren», so Akar. Nach ukrai­ni­schen Angaben warten bereits 16 weite­re Schif­fe in den Häfen am Schwar­zen Meer darauf, ablegen zu können.

Russland begrüßt Getreideexport

Russland hat den Start des Getrei­de­ex­por­tes begrüßt. «Das ist ziemlich positiv», sagt Kreml­spre­cher Dmitri Peskow der russi­schen Nachrich­ten­agen­tur Inter­fax zufol­ge. «Das ist eine gute Möglich­keit, die Effek­ti­vi­tät der Arbeit von Mecha­nis­men zu testen, die bei den Verhand­lun­gen in Istan­bul verein­bart wurde.»

«Wir wollen hoffen, dass die Verein­ba­run­gen von allen Seiten erfüllt werden, und dass die Mecha­nis­men wirksam arbei­ten», so Peskow. Nach Angaben des russi­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums soll das Schiff zunächst am 2. August einen Zwischen­stopp in Istan­bul einle­gen, wo es überprüft werden soll. Die Ukrai­ne hatte die Wieder­auf­nah­me des Trans­por­tes auch als Schritt im Kampf gegen den Hunger in der Welt begrüßt.

Mit der Liefe­rung sollen Millio­nen Tonnen Getrei­de wieder für den Weltmarkt verfüg­bar werden. Die Ukrai­ne zählte vor dem russi­schen Angriffs­krieg zu den wichtigs­ten Getrei­de-Expor­teu­ren der Welt. Für sie geht es um Milli­ar­den­ein­nah­men aus dem Verkauf unter anderem von Weizen und Mais.

Die Führung in Kiew werte­te die Wieder­auf­nah­me des Getrei­de-Exports als großen Erfolg. «Heute macht die Ukrai­ne gemein­sam mit Partnern einen weite­ren Schritt zur Verhin­de­rung des Hungers in der Welt», teilte Infra­struk­tur­mi­nis­ter Olexan­der Kubra­kow bei Facebook mit.

Die Kriegs­geg­ner Ukrai­ne und Russland hatten am 22. Juli unter Vermitt­lung der Verein­ten Natio­nen jeweils getrennt mit der Türkei ein Abkom­men in Istan­bul unter­zeich­net, um von drei Häfen Getrei­de­aus­fuh­ren aus der Ukrai­ne zu ermög­li­chen. Von der Vorjah­res­ern­te warten ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge noch über 20 Millio­nen Tonnen Getrei­de auf die Ausfuhr. Die Silos müssen wegen der neuen Ernte dringend freige­macht werden.

Der Hafen­be­trieb war nach der russi­schen Invasi­on Ende Febru­ar aus Sicher­heits­grün­den einge­stellt worden. Moskau wurde eine Blocka­de der ukrai­ni­schen Getrei­de-Ausfuh­ren vorge­wor­fen. Russland sicher­te in dem Abkom­men nun zu, Schif­fe über einen Seekor­ri­dor fahren zu lassen und diese sowie betei­lig­te Häfen nicht anzugreifen.

Schif­fe werden in Istan­bul kontrolliert

Der Frach­ter «Razoni» und alle folgen­den Schif­fe werden von einem Kontroll­zen­trum in Istan­bul überwacht. Das ist mit Vertre­tern Russlands, der Ukrai­ne, der Verein­ten Natio­nen und der Türkei besetzt. Die durch Istan­bul verlau­fen­de Meerenge Bospo­rus ist der einzi­ge Seeweg vom Schwar­zen Meer zum Mittel­meer. Die Türkei hat die Hoheit über den Bosporus.

Schif­fe sollen bei der Ein- und Ausfahrt ins Schwar­ze Meer inspi­ziert werden. So soll auf Verlan­gen Russland sicher­ge­stellt werden, dass die Schif­fe keine Waffen oder Ähnli­ches an Bord haben. Russland befürch­tet, dass die Ukrai­ne aus dem Erlös des Getrei­de­ver­kaufs Waffen beschafft.

Das Abkom­men umfasst die ukrai­ni­schen Häfen Odessa, Tschor­no­morsk und Jusch­ny (Piwden­nyj). Durch die Wieder­in­be­trieb­nah­me von den drei Häfen könne die Wirtschaft der Ukrai­ne mindes­tens eine Milli­ar­de US-Dollar (rund 980 Millio­nen Euro) einneh­men und Planun­gen im Agrar­sek­tor ermög­li­chen, sagte der ukrai­ni­schen Minis­ter Kubra­kow. Zusätz­lich zu den 16 warte­ten Schif­fen erhiel­ten die ukrai­ni­schen Behör­den nun Anträ­ge zur Ankunft weite­rer Schif­fe, die ebenfalls mit landwirt­schaft­li­chen Produk­ten beladen werden sollen.

Russland hatte nur einen Tag nach der in Istan­bul getrof­fe­nen Verein­ba­rung den Hafen von Odessa beschos­sen und damit zwischen­zeit­lich die Besorg­nis ausge­löst, dass der Getrei­de­deal platzen könne.

Der türki­sche Außen­mi­nis­ter Mevlüt Cavuso­glu schrieb auf Twitter, er hoffe, dass die Expor­te nun ohne Unter­bre­chun­gen und Proble­me fortge­setzt werden und «das Abkom­men zu einem Waffen­still­stand und dauer­haf­ten Frieden führen wird». Die UN und die Türkei hatten bei der Unter­zeich­nung des Abkom­mens mit Russland und der Ukrai­ne von einem Zeichen der Hoffnung in Kriegs­zei­ten gesprochen.

Die Nahrungs­mit­tel aus der Ukrai­ne werden auf dem Weltmarkt — vor allem in Asien, Afrika und Nahost- dringend benötigt. Die Verein­ten Natio­nen warnten zuletzt schon vor der größten Hungers­not seit Jahrzehnten.