TUTTLINGEN — Ab 26. Mai ist die Verord­nung (EU) 2017/745 über Medizin­pro­duk­te, kurz EU-MDR verbind­lich anzuwen­den. Nach ihrem Selbst­ver­ständ­nis zielt sie darauf ab, „einen robus­ten, trans­pa­ren­ten, vorher­seh­ba­ren und nachhal­ti­gen Rechts­rah­men für Medizin­pro­duk­te zu schaf­fen, der ein hohes Maß an Sicher­heit und Gesund­heit gewähr­leis­tet und gleich­zei­tig Innova­tio­nen unter­stützt.“ Aus Sicht der Medical­Moun­ta­ins GmbH sind jedoch noch einige wesent­li­che Punkte ungeklärt – die sich in letzter Konse­quenz vor allem auf die Versor­gungs­si­cher­heit der Patien­ten niederschlagen. 

„An dem europäi­schen MDR-System wird seit vielen Jahren gearbei­tet, aber das Gebäu­de ist schlicht­weg noch nicht fertig“, sagt Medical­Moun­ta­ins-Geschäfts­füh­re­rin Julia Stecke­l­er. „Bildlich gespro­chen sollen die Unter­neh­men jetzt endgül­tig einzie­hen, obwohl das Funda­ment keine hundert­pro­zen­ti­ge Tragfä­hig­keit aufweist, wesent­li­che Leitun­gen fehlen und kaum jemand die Hausord­nung in Gänze versteht – und das alles bei deutlich gestie­ge­nen Neben­kos­ten“, beschreibt sie die momen­ta­ne Situation. 

„Als der Geltungs­be­ginn letztes Jahr verscho­ben wurde, haben wir eindring­lich dafür plädiert, die gewon­ne­ne Zeit in die Fertig­stel­lung des MDR-Systems zu inves­tie­ren. Leider bestehen noch immer große Lücken“, so Julia Stecke­l­er. Dazu zählten die nach wie vor zu gerin­ge Zahl an Benann­ten Stellen unter EU-MDR, eine nur stück­wei­se funktio­nie­ren­de Daten­bank EUDAMED, nicht wenige unkla­re regula­to­ri­sche Anfor­de­run­gen zur konkre­ten Umset­zung sowie intrans­pa­ren­te nicht planba­re Umset­zungs­zei­ten- und kosten. „Das geht zulas­ten der Unter­neh­men, die immense perso­nel­le und finan­zi­el­le Ressour­cen in die Umset­zung der MDR gesteckt haben. Sie haben ihre Hausauf­ga­ben gemacht, möchten starten, können dies aber unter den aktuel­len Umstän­den nicht planungs­si­cher tun.“ Seitens des Systems gebe es noch Nachholbedarf.

Wahrnehm­bar sei, dass sich das Angebot an Medizin­pro­duk­ten ausdün­ne, die für Patien­ten dann nicht mehr zur Verfü­gung stünden. „Zum einen werden einige Bestands­pro­duk­te vom Markt genom­men, weil die Kosten einer Re-Zerti­fi­zie­rung nicht mehr zu stemmen oder zu unsicher sind. Bei Nischen­pro­duk­ten ist das beson­ders gravie­rend“, erinnert Julia Stecke­l­er, „denn hier steht dem Patien­ten meist kein weite­res ‚Ersatz­pro­dukt‘ zur Verfü­gung“. Zum anderen begin­nen viele Unter­neh­men bereits, Europa den Rücken zu kehren. Ihr erster Weg zum Markt führe in die USA oder andere Länder, wo Zulas­sun­gen inter­es­san­ter­wei­se schlan­ker würden. Es zeich­ne sich ab, dass deutlich weniger innova­ti­ve Produk­te die europäi­schen Patien­ten erreich­ten. „Vor allem die kleine­ren Unter­neh­men bewegen sich in einem Teufels­kreis. Sie müssen sich auf die Rezer­ti­fi­zie­rung ihrer bestehen­den Produk­te konzen­trie­ren, um deren konti­nu­ier­li­che Verfüg­bar­keit für das Gesund­heits­sys­tem zu gewähr­leis­ten, anstatt sich mit ebenso wichti­gen Neuent­wick­lun­gen beschäf­ti­gen zu können. Damit verlie­ren nicht nur sie ihr wirtschaft­li­ches Stand­bein, sondern Europa gefähr­det seine Spitzen­po­si­ti­on als Innova­ti­ons­trei­ber für eine fortschritt­li­che Patientenversorgung.“ 

Auch wenn nun die verbind­li­che Anwen­dung der EU-MDR gelte: „Wir nehmen den jetzi­gen Zustand nicht als gegeben hin und bieten den politisch verant­wort­li­chen Instan­zen in Berlin und Brüssel weiter­hin den Dialog an, um konstruk­ti­ve, prakti­sche Lösungs­mög­lich­kei­ten zu finden“, betont Julia Stecke­l­er. „Vor allem müssen wir immer wieder eines in Erinne­rung rufen: Die EU-MDR verfolgt den Ansatz, die Patien­ten­si­cher­heit auf eine einheit­li­che, stabi­le Basis zu stellen. Bei der Patien­ten­ver­sor­gung droht sie in vielen Berei­chen aber genau das Gegen­teil zu bewir­ken. Diesen Wider­spruch gilt es zu besei­ti­gen.“ Oder, im Bild des MDR-Gebäu­des zu bleiben: „Am Neubau besteht bereits Modernisierungsbedarf.“