BRÜSSEL (dpa) — Kriegs­pro­pa­gan­da, Lügen, Hass und Hetze — von all dem soll es im Inter­net bald weniger geben. Die EU hat sich auf ein wegwei­sen­des Gesetz verstän­digt. Die letzte Verhand­lungs­run­de hatte es in sich.

Sozia­le Netzwer­ke wie Facebook und andere Platt­for­men im Inter­net müssen in der EU künftig einheit­li­che Regeln etwa beim Löschen von Hassre­de und anderen illega­len Inhal­ten einhalten.

Unter­händ­ler des Europa­par­la­ments und der EU-Staaten einig­ten sich am frühen Samstag­mor­gen in Brüssel auf ein Gesetz über digita­le Diens­te (Digital Services Act, DSA), das für eine stren­ge­re Aufsicht von Online-Platt­for­men und mehr Verbrau­cher­schutz sorgen soll. Für die letzte Verhand­lungs­run­de wurden ganze 16 Stunden gebraucht. Die Reaktio­nen auf den Deal fielen überwie­gend positiv aus.

Ursula von der Leyen: histo­ri­sche Einigung

EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen sprach von einer histo­ri­schen Einigung. «Unsere neuen Regeln werden die Online-Nutzer schüt­zen, die freie Meinungs­äu­ße­rung gewähr­leis­ten und den Unter­neh­men neue Möglich­kei­ten eröff­nen.» Dies sei ein starkes Signal für die Menschen, Unter­neh­men und Länder weltweit.

Bundes­jus­tiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP) sagte: «Der Digital Services Act wahrt die Meinungs­frei­heit auch im digita­len Raum. So dürfen Platt­for­men Beiträ­ge nicht willkür­lich löschen und müssen ihre
Lösch­ent­schei­dun­gen auf Antrag überprü­fen.» Zugleich dürften Platt­for­men nicht hinneh­men, wenn ihre Diens­te zur Verbrei­tung straf­ba­rer Inhal­te missbraucht werden. «Morddro­hun­gen, aggres­si­ve Belei­di­gun­gen und Aufru­fe zu Gewalt sind kein Ausdruck von Meinungs­frei­heit, sondern Angrif­fe auf den freien und offenen Diskurs.»

Busch­manns für Digita­les zustän­di­ger Kabinetts­kol­le­ge Volker Wissing sprach von einem Meilen­stein für die Bürge­rin­nen und Bürger. «Der DSA schafft mehr Sicher­heit im digita­len Raum, er stärkt die Nutzer­rech­te und setzt klare und inter­na­tio­na­le Standards für die Regulierung
von Online-Platt­for­men.» Diese seien nun stärker für Postings und die Integri­tät von Waren und Dienst­leis­tun­gen verantwortlich.

Hassre­de schnel­ler aus dem Netz

Der DSA soll unter anderem sicher­stel­len, dass illega­le Inhal­te wie Hassre­de nach entspre­chen­den Hinwei­sen schnel­ler aus dem Netz entfernt, schäd­li­che Desin­for­ma­ti­on und Kriegs­pro­pa­gan­da weniger geteilt und auf Online-Markt­plät­zen weniger gefälsch­te Produk­te verkauft werden. Dafür müssen Platt­for­men wie Insta­gram ihre Empfeh­lungs­al­go­rith­men erstmals trans­pa­ren­ter machen.

Grund­le­gen­des Prinzip ist: Was offline illegal ist, soll es auch online sein. Anbie­ter digita­ler Diens­te sollen von Rechts­si­cher­heit und einheit­li­chen Regeln in der EU profi­tie­ren. Große Platt­for­men und Suchma­schi­nen mit mindes­tens 45 Millio­nen Nutzern müssen deutlich mehr Regeln befol­gen als kleinere.

Europa­par­la­ment und EU-Staaten müssen noch zustimmen

Die Einigung vom Samstag muss noch einmal vom Europa­par­la­ment und den EU-Staaten bestä­tigt werden. Dies gilt als Formsa­che. Nach Inkraft­tre­ten soll eine Übergangs­frist von 15 Monaten gelten. Für die sehr großen Platt­for­men und Suchma­schi­nen sollen die Regeln bereits vier Monate nachdem sie designiert worden sind gelten.

Chris­toph Heubner, Exeku­tiv-Vizeprä­si­dent des Inter­na­tio­na­len Ausch­witz Komitees, sieht im DSA eine große Chance. Für Überle­ben­de des Holocaust sei er ein «überaus deutli­ches Hoffnungs­zei­chen», das sich jedoch in der Reali­tät bewei­sen müsse. «Wenn das Prinzip “was offline illegal ist, soll auch online illegal sein” durch­ge­setzt wird, wäre für das gesell­schaft­li­che Mitein­an­der und die Bekämp­fung rassis­ti­schen und antise­mi­ti­schen Hasses sowie faschis­ti­scher Kriegs­pro­pa­gan­da Entschei­den­des gewonnen.»

Markt­macht von Tech-Gigan­ten beschränken

Der DSA ist Teil eines großen Digital-Pakets, das die EU-Kommis­si­on im Dezem­ber 2020 vorge­schla­gen hat. Der zweite Teil ist das Gesetz über digita­le Märkte (Digital Markets Act, DMA), bei dem es bereits Ende März eine Einigung gab. Der DMA soll vor allem die Markt­macht von Tech-Gigan­ten wie Google und Facebook mit stren­ge­ren Regeln beschränken.

In Deutsch­land gilt schon jetzt das Netzwerk­durch­set­zungs­ge­setz (NetzDG) zur Bekämp­fung von Straf­ta­ten und Hassre­de im Inter­net. Dies dürfte in weiten Teilen durch den DSA ersetzt werden.