BRÜSSEL (dpa) — Das Öl-Embar­go gegen Russland kommt — auf Druck Ungarns hin mit Einschrän­kun­gen. Bundes­kanz­ler Scholz spricht dennoch von einschnei­den­den Sanktionen.

Die EU-Staaten haben sich im Streit um das geplan­te Öl-Embar­go gegen Russland auf einen Kompro­miss verständigt.

Auf Drängen Ungarns hin sollen vorerst nur russi­sche Öl-Liefe­run­gen über den Seeweg unter­bun­den werden, wie EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen nach Beratun­gen mit den Staats- und Regie­rungs­chefs in Brüssel bestä­tig­te. Per Pipeline erfol­gen­de Trans­por­te werden zunächst weiter möglich sein.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) sprach dennoch von einschnei­den­den Sanktio­nen gegen Russland. Laut von der Leyen werden die Öl-Impor­te der EU aus Russland trotz der Ausnah­me für Pipeline-Liefe­run­gen bis Ende des Jahres um rund 90 Prozent reduziert.

Hinter­grund dieser Zahl ist, dass Deutsch­land und Polen bereits deutlich gemacht haben, dass sie nicht von der Ausnah­me für Pipeline-Öl profi­tie­ren wollen. Beide Länder sind wie auch Ungarn, Tsche­chi­en und die Slowa­kei an die einzi­ge aus Russland kommen­de Pipeline angeschlos­sen. In Deutsch­land versorgt die «Drusch­ba» (Freund­schaft) genann­te Leitung bislang die großen ostdeut­schen Raffi­ne­rien in Schwedt und Leuna. Insge­samt kommt bislang ein Drittel der russi­schen Ölimpor­te über die «Drusch­ba», zwei Drittel werden über den Seeweg transportiert.

Ungarn blockier­te Embargo

Ungarn hatte vor dem Durch­bruch beim Gipfel­tref­fen der Staats- und Regie­rungs­chefs in Brüssel wochen­lang auf seine große Abhän­gig­keit von russi­schem Öl verwie­sen und eine Einigung auf ein Embar­go blockiert. Relevant war das auch deswe­gen, weil es Teil eines ganzen Sankti­ons­pa­ke­tes ist. Dieses sieht auch vor, die größte russi­sche Bank, die Sberbank, aus dem Finanz­kom­mu­ni­ka­ti­ons­netz­werk Swift auszu­schlie­ßen. Zudem sollen der staat­li­che Fernseh-Nachrich­ten­sen­der Russia 24 (Rossi­ja 24) sowie die ebenfalls staat­li­chen Sender RTR Plane­ta und TV Centre in der EU verbo­ten werden.

Nach der politi­schen Grund­satz­ei­ni­gung auf das Paket beim Gipfel soll der förmli­che Sankti­ons­be­schluss am Mittwoch auf den Weg gebracht werden. Er muss im schrift­li­chen Verfah­ren oder von einem Minis­ter­rat getrof­fen werden. Denkbar ist auch, dass es noch einmal Verzö­ge­run­gen gibt, weil beim Gipfel noch nicht alle Details verhan­delt wurden.

Unklar blieb zunächst, welche Zugeständ­nis­se Ungarn abgese­hen von der Ausnah­me­re­ge­lung für Pipeline-Öl bekam. Der rechts­na­tio­na­le Regie­rungs­chef Viktor Orban hatte Garan­tien für den Fall verlangt, dass zum Beispiel wegen eines Anschlags kein Pipeline-Öl mehr nach Ungarn gelie­fert werden kann. Dies wird in Ungarn als mögli­ches Szena­rio gesehen, da die Pipeline durch die Ukrai­ne führt. In den Gipfel­schluss­fol­ge­run­gen wurde darauf­hin ein Satz einge­fügt, der vorsieht, dass im Fall plötz­li­cher Liefer­un­ter­bre­chun­gen «Notfall­maß­nah­men einge­lei­tet werden, um die Versor­gungs­si­cher­heit zu gewähr­leis­ten». Details blieben zunächst offen.

Zudem forder­te Ungarn Finanz­zu­sa­gen für den Umbau seiner Öl-Infra­struk­tur. Die Kosten für die Umstel­lung von Raffi­ne­rie­an­la­gen auf nicht-russi­sches Öl bezif­fer­te die Regie­rung in Budapest auf bis zu 550 Millio­nen Euro. Zudem müssten 200 Millio­nen inves­tiert werden, um das Land künftig über eine Pipeline zu versor­gen, die an der Adria­küs­te beginnt.

Selen­skyj äußert Unverständnis

Kurz vor der Einigung auf den Kompro­miss hatte der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj sein Unver­ständ­nis über das zöger­li­che Vorge­hen der EU beim neuen Sankti­ons­pa­ket geäußert. «Warum kann Russland mit dem Verkauf von Energie immer noch fast eine Milli­ar­de Euro pro Tag verdie­nen?», fragte Selen­skyj per Video-Schalte.

Nach Schät­zun­gen der EU-Denkfa­brik Bruegel gaben EU-Staaten bis vor Kurzem noch täglich etwa 450 Millio­nen Euro für Öl aus Russland aus, hinzu kamen noch rund 400 Millio­nen Euro täglich für Gas.

Der ursprüng­li­che Vorschlag der Kommis­si­on sah vor, wegen des Ukrai­ne-Kriegs den Import von russi­schem Rohöl in sechs Monaten und den von Ölpro­duk­ten in acht Monaten komplett zu beenden. Ledig­lich Ungarn und die Slowa­kei sollten 20 Monate Zeit bekom­men. Import­be­schrän­kun­gen für Gas aus Russland wurden gar nicht erst vorge­schla­gen, weil sie derzeit als nicht durch­setz­bar gelten. Auch Deutsch­land lehnt ein Embar­go ab, weil es noch immer stark von russi­schem Gas abhän­gig ist und bei einem zu schnel­len Einfuhr­stopp eine Wirtschafts­kri­se befürchtet.

Weite­re Milli­ar­den Finanzhilfe

Neben dem Kompro­miss zum Öl-Embar­go verein­bar­ten die Staats- und Regie­rungs­chefs, der Ukrai­ne bis Ende des Jahres weite­re Finanz­hil­fen von bis zu neun Milli­ar­den Euro zur Verfü­gung stellen. Mit dem Geld soll die Ukrai­ne laufen­de Kosten etwa für Renten­zah­lun­gen und den Betrieb von Kranken­häu­sern decken können.

Zum Abschluss des zweitä­gi­gen EU-Gipfels soll es an diesem Diens­tag um Vorschlä­ge der EU-Kommis­si­on gehen, wie die EU möglichst schnell unabhän­gig von russi­schen Energie­lie­fe­run­gen werden kann. Zudem wollen sich die Staats- und Regie­rungs­chefs mit drohen­den Engpäs­sen in der globa­len Lebens­mit­tel­ver­sor­gung beschäf­ti­gen. So warnen etwa die Verein­ten Natio­nen, dass der Ukrai­ne-Krieg Hunger­pro­ble­me auf der Welt weiter verschlim­mern könnte. Als einer der wichtigs­ten Getrei­de­pro­du­zen­ten kann die Ukrai­ne derzeit kaum exportieren.