BRÜSSEL (dpa) — Bis zuletzt war unklar, ob neben Deutsch­land noch genügend andere Länder für das Einfrie­ren von EU-Geldern für Ungarn stimmen. Nun gibt es Klarheit. Für Minis­ter­prä­si­dent Orban könnte es ungemüt­lich werden.

Der ungari­sche Minis­ter­prä­si­dent Viktor Orban hat im Kampf gegen den Entzug von EU-Mitteln für sein Land eine große Nieder­la­ge erlit­ten. Wegen der Sorge, dass Gelder in Ungarn wegen unzurei­chen­der Korrup­ti­ons­be­kämp­fung verun­treut werden, sollen nach einer Mehrheits­ent­schei­dung im Kreis der anderen EU-Staaten bis auf Weite­res 6,3 Milli­ar­den Euro blockiert werden. Dies teilte die derzei­ti­ge tsche­chi­sche EU-Ratsprä­si­dent­schaft nach einer Sitzung der ständi­gen Vertre­ter der Mitglied­staa­ten in Brüssel mit. Die nur noch formal zu beschlie­ßen­de Einigung hat histo­ri­sche Dimen­si­on, ein solches Vorge­hen gegen einen EU-Staat gab es zuvor noch nie.

Die Summe von 6,3 Milli­ar­den Euro liegt um rund 1,2 Milli­ar­den Euro niedri­ger als von der EU-Kommis­si­on vorge­schla­gen und von Ländern wie Deutsch­land gewünscht. Die Einigung gilt aber dennoch als großer Erfolg, da Ungarn nun unter Druck steht, weite­re Refor­men zur Verbes­se­rung der Rechts­staat­lich­keit umzuset­zen. Reduziert wurde die Summe, weil mehre­re EU-Staaten anerken­nen wollten, dass die rechts­na­tio­na­le Regie­rung von Orban in den vergan­ge­nen Wochen bereits Anstren­gun­gen in diese Richtung unter­nom­men hat.

Einigung auch bei anderen Themen

Zudem brach­ten andere EU-Staaten Ungarn dazu, den wochen­lan­gen Wider­stand gegen neue Ukrai­ne-Hilfen und eine wichti­ge Richt­li­nie zur Umset­zung der inter­na­tio­na­len Mindest­steu­er für große Unter­neh­men aufzu­ge­ben. Hinter­grund war laut Diplo­ma­ten die Drohung von Ländern wie Deutsch­land, eine Geneh­mi­gung des ungari­schen Plans zur Verwen­dung von EU-Corona-Hilfen zu blockie­ren. Dies hätte zur Folge gehabt, dass am Jahres­en­de 70 Prozent der zur Verfü­gung stehen­den EU-Mittel von 5,8 Milli­ar­den Euro unwider­ruf­lich verfallen.

Der ungari­sche Corona-Hilfen-Plan wurde nach der ungari­schen Zustim­mung zur Mindest­steu­er­richt­li­nie und den Ukrai­ne-Hilfen vom Ausschuss der ständi­gen Vertre­ter gebil­ligt. Dies bedeu­tet aller­dings ledig­lich, dass keine Mittel verfal­len. Auszah­lun­gen sollen erst dann erfol­gen können, wenn insge­samt 27 Voraus­set­zun­gen erfüllt sind. Diese betref­fen zum Beispiel die Wirksam­keit der neu einge­rich­te­ten «Integri­täts­be­hör­de» zur Überprü­fung von mutmaß­li­chen Korrup­ti­ons­fäl­len und das Verfah­ren für die gericht­li­che Überprü­fung staats­an­walt­li­cher Entschei­dun­gen. Damit soll sicher­ge­stellt werden, dass rechts­staat­li­che Standards einge­hal­ten und EU-Gelder in dem Land nicht verun­treut werden.

Ungarns finan­zi­el­le Schwierigkeiten

Dass Orbans Regie­rung unter Druck gesetzt werden konnte, dürfte nach Angaben von EU-Diplo­ma­ten auch an der finan­zi­ell angespann­ten Lage in dem knapp zehn Millio­nen Einwoh­ner zählen­den Land liegen. So steht die ungari­sche Wirtschaft am Rande einer Rezes­si­on und die Kritik an Orbans Wirtschafts­po­li­tik nimmt zu. Jüngst musste die Regie­rung sogar eine seit mehr als einem Jahr gelten­de Benzin­preis­de­cke­lung mit sofor­ti­ger Wirkung aufhe­ben, weil sie deren Funktio­nie­ren nicht mehr sicher­stel­len konnte.

Gefei­ert wurde die Einigung in der Nacht zum Diens­tag insbe­son­de­re auch wegen der Beschlüs­se zur Mindest­steu­er und zu den Ukrai­ne-Hilfen. Ziel der Mindest­steu­er ist es, die Verla­ge­rung von Unter­neh­mens­ge­win­nen in Steuer­oa­sen zu verhin­dern. Bei den Ukrai­ne-Hilfen geht es darum, dem von Russland angegrif­fe­nen Land im kommen­den Jahr über die EU Kredi­te in Höhe von insge­samt bis zu 18 Milli­ar­den Euro zur Verfü­gung zu stellen. Das Geld soll es unter anderem ermög­li­chen, laufen­de Ausga­ben für Renten­zah­lun­gen, Kranken­häu­ser und Schulen zu decken. Wegen eines Vetos von Ungarn sah es bis Montag so aus, als könnten die notwen­di­gen Garan­tien für die Kredi­te nicht wie vorge­se­hen über den EU-Haushalt bereit­ge­stellt werden. Als Notfall­lö­sung war am Wochen­en­de bereits ein Plan B erarbei­tet worden, der natio­na­le Garan­tien erfor­dert hätte.

Wie es weitergeht

Notwen­dig zur endgül­ti­gen Annah­me der Entschei­dun­gen sind nun noch forma­le Beschlüs­se des EU-Minis­ter­rats. Sie sollen in einem schrift­li­chen Verfah­ren bis zum EU-Gipfel am Donners­tag gefasst werden. Damit soll gewähr­leis­tet werden, dass sich sie Staats- und Regie­rungs­chefs um andere Themen wie die Energie­kri­se kümmern können. Für die Entschei­dun­gen zur Mindest­steu­er­richt­li­nie und den Ukrai­ne-Hilfen braucht es Einstim­mig­keit. Der bislang beispiel­lo­sen Maßnah­me gegen Ungarn müssen mindes­tens 15 der 27 EU-Staaten zustim­men, die zusam­men mindes­tens 65 Prozent der Gesamt­be­völ­ke­rung der EU ausmachen.

Die Bundes­re­gie­rung hatte bereits in den vergan­ge­nen Tagen ihre Zustim­mung zum harten Vorge­hen gegen Ungarn signa­li­siert und sich für das Einfrie­ren von rund 7,5 Milli­ar­den Euro ausge­spro­chen. «Hier geht es um unsere Werte, um unsere Rechts­staat­lich­keit als Europäi­sche Union im Ganzen», sagte Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock am Montag am Rande eines Treffens mit Kolle­gin­nen und Kolle­gen der anderen EU-Mitglied­staa­ten in Brüssel.

Von Ansgar Haase, dpa