Im Labor hui, auf der Straße pfui: Geschön­te Abgas­test­wer­te waren der Auslö­ser des Diesel-Skandals vor fünf Jahren. Jetzt hat der Europäi­sche Gerichts­hof ein richtungs­wei­sen­des Urteil gefällt.

Das Urteil fiel am Donners­tag in Luxem­burg. Die Grünen im Bundes­tag forder­ten Verkehrs­mi­nis­ter Andre­as Scheu­er (CSU) auf, Autobe­sit­zern nun die Möglich­keit zu geben, illega­le Abschalt­ein­rich­tun­gen entfer­nen zu lassen.

Aus Sicht von Scheu­ers Minis­te­ri­um ändert sich hinge­gen recht­lich in Deutsch­land nichts. (Rechts­sa­che C‑693/18). Der Verband der Automo­bil­in­dus­trie (VDA) sprach in Berlin von einer Klarstel­lung, die zu begrü­ßen sei.

Der EuGH entschied, ein Herstel­ler dürfe keine Abschalt­ein­rich­tung einbau­en, die bei Zulas­sungs­ver­fah­ren syste­ma­tisch die Leistung des Systems zur Kontrol­le der Emissio­nen verbes­sert. Auch die Vermin­de­rung von Verschleiß oder Verschmut­zung des Motors könne eine solche Abschalt­ein­rich­tung nicht rechtfertigen.

Im Septem­ber 2015 war aufge­flo­gen, dass Volks­wa­gen mit spezi­el­ler Software Abgas­wer­te bei Zulas­sungs­tests manipu­liert hatte. Die Folge waren Schaden­er­satz­for­de­run­gen in Milli­ar­den­hö­he und eine Klage­wel­le. Hinter­grund des EuGH-Verfah­rens ist ein Fall aus Frank­reich, wo gegen einen Herstel­ler wegen arglis­ti­ger Täuschung ermit­telt wird. Volks­wa­gen hat bestä­tigt, dass es um seine Fahrzeu­ge geht.

Vor dem EuGH ging es um die Bewer­tung der Software, die erkennt, ob ein Auto für Zulas­sungs­tests im Labor geprüft wird. Während der Tests läuft mit voller Stärke die sogenann­te Abgas­rück­füh­rung, die den Ausstoß gesund­heits­schäd­li­cher Stick­oxi­de verrin­gert. So werden im Labor Schad­stoff­grenz­wer­te einge­hal­ten. Im Normal­be­trieb auf der Straße wird die Abgas­rück­füh­rung dann aber gedros­selt. Der Effekt ist mehr Motor­leis­tung, aber eben auch mehr Stick­oxid, so dass Grenz­wer­te geris­sen werden.

Der EuGH hatte im Wesent­li­chen zwei Fragen zu klären: Handelt es sich bei der Software um eine «Abschalt­ein­rich­tung»? Diese sind laut EU-Recht grund­sätz­lich verbo­ten, es gibt aber Ausnah­men, unter anderem, wenn die Abschalt­ein­rich­tung nötig ist, «um den Motor vor Beschä­di­gung oder Unfall zu schüt­zen» oder «den siche­ren Betrieb des Fahrzeugs zu gewähr­leis­ten». Die zweite Frage war also: Fällt diese Software unter die Ausnahme?

Der EuGH bejah­te die erste Frage und legte die Ausnah­me­re­gel eng aus. Um eine solche Einrich­tung zu recht­fer­ti­gen, müsse sie vor «plötz­li­chen und außer­ge­wöhn­li­chen Schäden» schüt­zen. Es gehe also um «unmit­tel­ba­re Beschä­di­gungs­ri­si­ken», die während des Fahrens zu konkre­ter Gefahr führen könnten. Nicht ausrei­chend sei die Begrün­dung, dass Verschleiß oder Verschmut­zung des Motors verhin­dert werde.

Die genaue Defini­ti­on der Ausnah­men zum «Motor­schutz» dürfte für die Branche beson­ders wichtig sein. Der auf Klagen im Diesel-Skandal spezia­li­sier­te Potsda­mer Anwalt Claus Golden­stein erklär­te zum Urteil, der Abgas­skan­dal hole nun fast alle Fahrzeug­her­stel­ler ein. «Der Automo­bil­in­dus­trie drohen Rekord-Rückruf- und ‑Klage­wel­len», sagte der Anwalt voraus. Das EuGH-Urteil bringe sehr viel Klarheit. «Für betrof­fe­ne PKW-Halter standen die Chancen nie besser, erfolg­reich Schadens­er­satz­an­sprü­che durchzusetzen.»

Volks­wa­gen erklär­te hinge­gen, der EuGH habe «keine generel­le Bewer­tung zur Zuläs­sig­keit einer tempe­ra­tur­ab­hän­gi­gen Steue­rung der Abgas­rück­füh­rung» vorge­nom­men. Ob ein «Therm­ofens­ter» im Einzel­fall zuläs­sig sei, müssten natio­na­le Behör­den und Gerich­te entschei­den. «Kunden­kla­gen gegen Herstel­ler wegen eines angeb­lich unzuläs­si­gen Therm­ofens­ters sind erfolg­los und werden erfolg­los bleiben», erklär­te der Autokonzern.

Der VDA verwies darauf, dass bei moder­nen Motoren die Emissio­nen durch Elektro­nik gesteu­ert würden. «Der EuGH hat klarge­stellt, dass das weiter­hin möglich ist, wenn es der Sicher­heit des Motors und der Insas­sen dient.» Die Verbes­se­rung des Emissi­ons­ver­hal­tens auf dem Prüfstand sei unzuläs­sig. «Und das wird auch nicht mehr gemacht», hieß es beim VDA weiter.

Das Bundes­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um versi­cher­te: «Die Ausle­gung des EuGH entspricht der deutschen Rechts­auf­fas­sung. Sie bestä­tigt die bishe­ri­ge Anwen­dung der europäi­schen Vorschrif­ten durch das KBA und das Vorge­hen der Unter­su­chungs­kom­mis­si­on “Volks­wa­gen”.»

Der Grünen-Verkehrs­exper­te Cem Özdemir las das Urteil ganz anders. Scheu­er und sein Vorgän­ger Alexan­der Dobrindt (CSU) hätten sich im Abgas­skan­dal «von Anfang an auf die Seite derer gestellt, die die Kunden betro­gen haben», erklär­te er der Deutschen Presse-Agentur. «Bundes­ver­kehrs­mi­nis­ter Scheu­er und sein Kraft­fahrt­bun­des­amt müssen sich nun die Verdachts­fäl­le im Licht des Urteils noch einmal anschau­en und die Autobe­sit­zer müssen die Möglich­keit erhal­ten, dass illega­le Abschalt­ein­rich­tun­gen tatsäch­lich aus ihren Fahrzeu­gen entfernt werden.»