DEN HAAG/HAMBURG (dpa) — Verpackt zwischen Bananen oder Ananas gelan­gen Drogen nach Europa. Zollfahn­der beschlag­nah­men Rekord­men­gen Kokain, doch es ist nur die Spitze des Eisber­ges. Der Markt ändert sich. Mehr Handel, mehr Banden, mehr Gewalt.

Ein Rekord jagt den nächs­ten: 73 Tonnen Kokain sind im vergan­ge­nen Jahr allein im Hafen von Rotter­dam sicher­ge­stellt worden — zum Verkaufs­wert von etwa fünf Milli­ar­den Euro.

In Hamburg waren es mehr als 19 Tonnen — soviel wie nie zuvor. Doch für die Fahnder sind diese Erfol­ge auch der bitte­re Beweis, dass Europa eine Drehschei­be des Kokain­han­dels gewor­den ist.

«Wir wissen, dass das nur die Spitze des Eisber­ges ist», sagt Jan op gen Oorth von Europol in Den Haag der Deutschen Presse-Agentur.

Die Mengen werden immer größer

In Europa wird heute mehr Kokain angebo­ten als je zuvor, stellen Europol und die Europäi­sche Beobach­tungs­stel­le für Drogen und Drogen­sucht im neues­ten Bericht über den Kokain-Markt fest.

2020 waren in der EU 214,6 Tonnen beschlag­nahmt worden. Ein Rekord, und der wurde 2021 übertrof­fen: Nach den vorläu­fi­gen Daten wurden 240 Tonnen sicher­ge­stellt. An der Spitze steht der Hafen von Antwer­pen, gefolgt von Rotter­dam und dann Spanien.

Für den Kokain-Boom gibt es viele Gründe. Die Produk­ti­on in Südame­ri­ka stieg nach Angaben von Europol enorm und dadurch auch der Schmug­gel. Die Kartel­le arbei­ten professioneller.

«Sie sind wie legale Wirtschafts­un­ter­neh­men aufge­stellt», sagt Op gen Oorth. Die Drogen­ex­per­ten schät­zen, dass allein in Kolum­bi­en jährlich 2000 Tonnen Kokain produ­ziert werden. Mehr als 60 Prozent davon komme nach Europa.

Dabei wurden auch die Kontrol­len verstärkt. «Aber sie reichen nicht aus angesichts der immensen Liefer­men­gen», sagt der Europol-Sprecher. Und wenn die Fahnder dann doch einmal zwischen einer Ladung Bananen oder Ananas Pakete mit Kokain entde­cken, dann ist das für die Drogen­kar­tel­le kaum mehr als Pech. «Die sagen sich: “Was soll’s?”», sagt Op gen Oorth. «Diese Verlus­te nehmen sie in Kauf.»

Das Kokain ist längst nicht nur für Europä­er bestimmt, sagt der Sprecher. «Die EU ist zur Drehschei­be gewor­den für Asien, den Nahen Osten und Austra­li­en.» Die krimi­nel­len Banden nutzten das «Gütesie­gel EU»: Ein Contai­ner aus der EU werde eben weniger schnell kontrol­liert als einer aus Südamerika.

Die Gewalt­ex­zes­se häufen sich

Vom lukra­ti­ven Geschäft wollen auch immer mehr Gruppen profi­tie­ren. Doch mehr Konkur­renz führt auch zu mehr Gewalt. Die inter­na­tio­na­le Bande um den marok­ka­nisch­stäm­mi­gen Nieder­län­der Ridou­an Taghi zum Beispiel, dem derzeit in Amster­dam ein großer Prozess gemacht wird, ist berüch­tigt für extre­me Gewalt. Auch der Mord am Krimi­nal­re­por­ter Peter R. de Vries in Amster­dam im vergan­ge­nen Jahr soll auf das Konto der Bande gehen.

Mehr Gewalt und stren­ge­re Kontrol­len führen dazu, dass die Kartel­le auswei­chen auf andere Häfen in Kalabri­en etwa oder in Hamburg.

Der norddeut­sche Zoll stell­te 2021 die Rekord­men­ge von 19,1 Tonnen Kokain sicher, mehr als doppelt soviel wie im Vorjahr. Allein 16 Tonnen entdeck­ten die Fahnder im Febru­ar 2021 in Contai­nern aus Paragu­ay — die größte je in Europa sicher­ge­stell­te einzel­ne Kokain-Ladung mit einem Verkaufs­wert von mehr als zwei Milli­ar­den Euro.

Im Zuge der Ermitt­lun­gen wurden in den Nieder­lan­den und Belgi­en insge­samt weite­re gut 18 Tonnen gefun­den. Und nicht nur das: Am Ende wurden auch die Täter ausfin­dig gemacht. Die inter­na­tio­na­le Bande wurde nach Angaben des Landes­kri­mi­nal­amts Nieder­sach­sen im April zerschla­gen. Nach Razzi­en in Deutsch­land, den Nieder­lan­den, Belgi­en, Spani­en und Paragu­ay wurden etwa 20 Verdäch­ti­ge festge­nom­men — darun­ter auch der mutmaß­li­che Drahtzieher.

Es war einer der großen Erfol­ge europäi­scher Ermitt­ler. Doch die Fahnder machen sich keine Illusio­nen. Die meisten Liefe­run­gen aus Südame­ri­ka kommen trotz aller Bemühun­gen des Zolls vermut­lich durch. Es ist kaum einzu­schät­zen, ob die Beschlag­nah­me der Rekord­men­gen 2021 überhaupt eine Auswir­kung auf den globa­len Handel hatte.

Von Annet­te Birschel und Bernhard Spren­gel, dpa