HANNOVER/FRANKFURT (dpa) — Cyber­an­grif­fe auf Wirtschaft, Verwal­tung und das Gesund­heits­we­sen nehmen wieder zu. Zuletzt setzten Online-Erpres­ser etwa Handels­fir­men und Kommu­nen unter Druck. Eine Absiche­rung wird immer wichtiger.

Die Krimi­nel­len schlei­chen sich über das Netz an — und schre­cken auch mitten in der Pande­mie nicht vor der Umset­zung ihres heimtü­cki­schen Plans zurück.

«Produk­ti­ons­an­la­gen mussten wegen der Erpres­sung vorläu­fig herun­ter­ge­fah­ren werden», sagt Steffen Zimmer­mann. Es sei nicht auszu­schlie­ßen, dass sich die Folgen der Attacke vielleicht «bis in Covid-19-Liefer­ket­ten durchzogen».

Schaden­er­satz-Forde­run­gen nur eine Folge

Was Ende März beim franzö­si­schen Pharma­un­ter­neh­men Pierre Fabre geschah, treibt den Leiter des Kompe­tenz­zen­trums Indus­tri­el­le Sicher­heit beim Maschi­nen­bau­er-Verband VDMA in Frank­furt immer noch um. Nach einem Hacker­an­griff auf die Werks-IT sei es zu Verzö­ge­run­gen in eng getak­te­ten Prozes­sen gekom­men, auch Schaden­er­satz-Forde­run­gen seien entstan­den. Und das ausge­rech­net in einer Branche, die zur weite­ren Eindäm­mung der Corona-Krise gerade unter Volllast fährt.

Ob in der Medizin, bei Autobau­ern oder in anderen Indus­trie­be­trie­ben: Nicht nur die Büro-Software auf den Rechnern der Angestell­ten, sondern auch die komple­xe Steue­rung ganzer Maschi­nen­parks ist bei Cyber­über­fäl­len verwund­bar. Noch seien ernste Vorfäl­le im zuneh­mend vernet­zen «Inter­net der Dinge» mit digital kommu­ni­zie­ren­den Anlagen relativ selten, berich­tet Zimmer­mann — sehe man von Beispie­len wie dem mehrfa­chen Angriff auf Thyssen­krupp ab. Doch die Gefahr steige. Einigen Firmen müsse man die Dring­lich­keit nach wie vor klarmachen.

Komplet­te Sicher­heit unmöglich

«Es ist unmög­lich, sich zu 100 Prozent zu schüt­zen», räumt der VDMA-Exper­te ein. «Getrof­fen werden kann jeder, so wie jedes Immun­sys­tem von einem Virus getrof­fen werden kann. Das gestie­ge­ne Bewusst­sein muss aber auch zu Inves­ti­tio­nen in mehr Sicher­heit führen.» Oft reagier­ten Unter­neh­men erst, wenn Hacker ihr Chaos schon angerich­tet hätten und man nur noch reagie­ren könne. «Thema Nummer eins für die Maschi­nen­bau-Branche ist jetzt die Cybersicherheit.»

Im Fall einer großflä­chi­gen Verschlüs­se­lung von Daten durch Erpres­sungs-Software (Ransom­wa­re) könnten große Produk­ti­ons­be­trie­be schon mal vier bis sechs Wochen komplett still­ste­hen. «Mit allen Folge­wir­kun­gen kann das bis zum einem Dreivier­tel­jahr dauern — am Ende sieht das Unter­neh­men dann nicht mehr so aus wie vorher.»

Krisen­zei­ten erhöhen Risiken

Wenn dies in ohnehin angespann­ten Krisen­zei­ten passiert, können sich die Risiken noch aufschau­keln — zumal im Gesund­heits­sek­tor. So gab es im Winter Berich­te, wonach nordko­rea­ni­sche Hacker versucht haben sollen, an Infor­ma­tio­nen über den Corona-Impfstoff des US-Konzerns und Biontech-Partners Pfizer zu gelangen.

Auch Kranken­häu­ser sind gegen die digita­len Eindring­lin­ge nicht immun: Die Staats­an­walt­schaft Göttin­gen ermit­telt gerade rund um eine Online-Erpres­sung des Klini­kums in nieder­säch­si­schen Wolfen­büt­tel. Im Kreis Anhalt-Bitter­feld in Sachsen-Anhalt ging nach einer ähnli­chen Aktion gegen die IT der Verwal­tung so gut wie gar nichts mehr.

Versi­che­rer erken­nen Problem

Was lässt sich konkret tun, um Präven­ti­on und Abwehr zu stärken? Große Versi­che­rer haben das Problem schon länger erkannt, weisen jetzt aber auf den verschärf­ten Wettlauf zwischen Software-Anbie­tern und Krimi­nel­len um die Entde­ckung von Schwach­stel­len und Sicher­heits­lü­cken hin. Der bekann­tes­te Fall eines Cyber­an­griffs auf die Indus­trie-Infra­struk­tur ist wohl immer noch das 2010 entdeck­te Stuxnet-Virus, das Anlagen zur Uran-Anrei­che­rung im Iran sabotierte.

Die Einschlä­ge kommen wieder näher. «Seit gut einein­halb Jahren sehen wir eine stetig zuneh­men­de Bedro­hungs­la­ge, die sich zuletzt noch einmal sehr dynamisch geändert hat», sagt Johan­nes Steffl, beim Indus­trie­ver­si­che­rer HDI Global in Hanno­ver zustän­dig für die Analy­se von Cyber­ri­si­ken. «Teilwei­se mag dies coronabe­dingt sein, weil im Homeof­fice manche IT-Prozes­se nicht so gut geschützt sind.» Doch auch für die «Opera­tio­nal IT» in der Produk­ti­on werde das Thema wichti­ger: «Wir sprechen hier von IT, die Anlagen und Maschi­nen rund um die Uhr steuert. Betrie­be arbei­ten da teils noch mit alten Systemen.»

Cyber­si­cher­heit immer mitdenken

In der Ära der «Indus­trie 4.0» müssten Maschi­nen­bau­er Cyber­si­cher­heit schon beim Anlagen-Design mit beden­ken. «Das wird ein wesent­li­ches Quali­täts­merk­mal», so Steffl. «Denn wenn eine Cyber­at­ta­cke einmal wirklich auf die Produk­ti­on einer ganzen Branche durch­schlägt, können die Schäden aus einer langen Unter­bre­chung erheb­lich sein. Oder es können sogar Fehler an den Produk­ten entste­hen, die nach dem Angriff noch gefer­tigt wurden.» In Indus­trie­krei­sen ist mitun­ter zu hören, manch­mal gebe es auch die Versu­chung, das Herun­ter­fah­ren dann etwas hinaus­zu­zö­gern — nach dem Motto: «Never change a running system.»

Die schäd­li­che Streu­wir­kung wäre auch in der Energie­wirt­schaft groß, Stich­wort Black­out-Gefahr. Hier seien die Motive aber oft anders gelagert, glaubt Steffl. «Bei Angrif­fen auf das Strom­netz und ähnli­chen vorstell­ba­ren Aktio­nen muss man sich wohl eher Gedan­ken in Richtung terro­ris­ti­scher oder politi­sche Ziele machen.» Klassi­sche Cyber­kri­mi­nel­le hätten eher Vorbe­hal­te, ein ganzes Land lahmzu­le­gen. «Ihnen geht es meist um Disrup­ti­on, nicht um reine Destruktion.»

Exper­te warnt vor Leichtsinnigkeit

So oder so scheint klar: Indus­trie und Verwal­tung müssen das Problem ernster nehmen — und beson­ders sensi­ble Angele­gen­hei­ten jenseits des laufen­den Betriebs vielleicht auch mal offline erledi­gen. «Wir bewegen uns in einer Welt trüge­ri­scher Sicher­heit», heißt es beim Nieder­säch­si­schen Städte- und Gemein­de­bund. «Auf Dauer hilft es uns nur, wenn wir wichti­ge Dinge in abgeschot­te­ten Syste­men bearbeiten.»

Zimmer­mann, in dessen Verband sich Firmen zu einem Arbeits­kreis gegen Netz-Erpres­sun­gen zusam­men­ge­schlos­sen haben, sieht das Kernpro­blem so: «Die Leicht­sin­nig­keit ist immer noch ein schwie­ri­ges Feld.»

Von Jan Peter­mann, dpa