RAVENSBURG – Auch in diesem Jahr veran­stal­te­te die Epilep­sie-Akade­mie Weisse­nau einen Vortrags­abend zu aktuel­len Themen rund um das Krank­heits­bild. Betrof­fe­ne und Inter­es­sier­te nutzten die Veran­stal­tung, um ihr Wissen zu vertie­fen und Fragen zu stellen.

Zum nunmehr 12. Mal fand der Themen­abend statt; auch in diesem Jahr unter der Schirm­herr­schaft der Stadt Ravens­burg. Der Erste Bürger­meis­ter Simon Blümcke nahm seine Begrü­ßungs­re­de zum Anlass, den Referie­ren­den und dem ZfP Südwürt­tem­berg, allen voran dem Chefarzt der Epilep­to­lo­gie, Dr. Harmut Baier, seinen Dank auszu­spre­chen. „Danke, dass Sie Ihre Verant­wor­tung gegen­über den Betrof­fe­nen und der Gesell­schaft auch in pande­mie­be­dingt schwie­ri­gen Zeiten wahrneh­men.“ Die jährli­che Veran­stal­tung ermög­li­che einen unver­zicht­ba­ren Austausch an Fachwis­sen zwischen Exper­ten und Betroffenen.

Zu Beginn der Vortrags­rei­he ging Dr. Harmut Baier der Frage nach, wann die Blutspie­gel der Anfalls­me­di­ka­men­te bestimmt werden sollten und was diese aussa­gen. Er beton­te, dass Zahlen allein keine Aussa­ge­kraft haben. „Gemes­se­ne Werte müssen immer in Bezie­hung zum Patien­ten und der Schwe­re der Erkran­kung gesehen werden.“ Auch sei es bei der Inter­pre­ta­ti­on der Zahlen wichtig, Aspek­te wie schwan­ken­der Medika­men­ten­spie­gel über den Tag, Einnah­me­feh­ler und Wechsel­wir­kun­gen mit anderen Medika­men­ten zu berück­sich­ti­gen. Beispiels­wei­se während und nach einer Schwan­ger­schaft, so der Weissen­au­er Chefarzt, sei es sinnvoll den Blutspie­gel zu überprü­fen, da Hormo­ne den Spiegel stark beeinflussen. 

Für Betrof­fe­ne bewir­ken Antiepi­lep­ti­ka in den meisten Fällen erwünsch­te positi­ve Effek­te wie Anfalls­frei­heit, oft gehen sie jedoch mit Neben­wir­kun­gen einher. Über die unerwünsch­ten Einflüs­se von Antiepi­lep­ti­ka auf das kogni­ti­ve Leistungs­ver­mö­gen sprach Psycho­lo­ge Patrick Kessel. Die am häufigs­ten festge­stell­ten Effek­te sind Aufmerk­sam­keits­de­fi­zi­te, Müdig­keit und Einschrän­kun­gen der Sprache und des logischen Denkens. Auch hier, so der Psycho­lo­ge, sei es sehr indivi­du­ell, wer welches Medika­ment wie gut verträgt und wie es wirkt. Auch deshalb werden Patien­tin­nen und Patien­ten regel­mä­ßig neuro­psy­cho­lo­gi­schen Tests unter­zo­gen. „Nach Abset­zen eines Medika­men­tes verschwin­den die Effek­te wieder“, versi­cher­te Kessel abschließend.

Im Anschluss gab Psycho­lo­gin Mirijam Geiger-Riess in ihrem Vortrag Hinwei­se zum Umgang mit nicht­epi­lep­ti­schen Anfäl­len bei Menschen mit geisti­ger Behin­de­rung. Als „Krampf­an­fäl­le mit seeli­scher Ursache“, beschrieb die Psycho­lo­gin die Anfäl­le, die im Ausdruck einer Epilep­sie ähneln, aber keine körper­li­che Erkran­kung sind. „Sie sind als automa­ti­sche Reakti­on einer Person auf äußere oder innere Reize zu sehen“, so Geiger-Riess. Bei der unter­stüt­zen­den Beglei­tung nicht­epi­lep­ti­scher Anfäl­le riet sie unter anderem dazu, Ruhe zu bewah­ren, Handlun­gen und Berüh­run­gen anzukün­di­gen und beispiels­wei­se über klare Fragen an die Betrof­fe­nen eine „Brücke ins Hier und Jetzt“ zu bauen.

Auf reges Inter­es­se im Publi­kum stieß der Vortrag von Oberärz­tin Susan­ne Mulert, die eine ketoge­ne Ernäh­rungs­wei­se als ergän­zen­de Thera­pie zu Medika­men­ten vorstell­te. Die fett- und prote­in­rei­che, aber kohlen­hy­drat­ar­me Ernäh­rungs­wei­se ist vor allem für Epilep­sie­er­krank­te möglich, bei denen mindes­tens zwei Medika­men­te nicht zu Anfalls­frei­heit führten. „Die erste Wahl aber“, beton­te Mulert, „bleiben immer Medika­men­te.“ So auch während der Umstel­lung auf eine ketoge­ne Ernäh­rungs­the­ra­pie. Insbe­son­de­re im Kindes­al­ter bestehe eine hohe Chance, dass die jungen Betrof­fe­nen anfalls­frei werden. „Bei Erwach­se­ne bewirkt die Ernäh­rungs­the­ra­pie in Kombi­na­ti­on mit Medika­men­ten eher reduzier­te Anfälle.“ 

Zum Abschluss der Veran­stal­tung stell­te Chefarzt Dr. Baier mit Cenoba­mat und Fenflu­ra­min zwei neue anfalls­sup­p­ri­mie­ren­de Medika­men­te bei der Behand­lung von Epilep­sie vor. Cenoba­mat liefer­te bereits vielver­spre­chen­de Ergeb­nis­se und wird als „game changer“ gehan­delt. „Ob das so eintritt, bleibt abzuwar­ten“, so die zurück­hal­ten­de Progno­se des Chefarz­tes, „fest steht jedoch, dass viele Patien­ten gut darauf ansprechen.

Die regen Nachfra­gen der Anwesen­den zeigten, dass großes Inter­es­se an aktuel­len Forschungs­er­geb­nis­sen, Behand­lungs­me­tho­den und Tipps rund um das Krank­heits­bild besteht. Auch für das nächs­te Jahr ist wieder ein Themen­abend der Weissen­au­er Epilep­sie-Akade­mie geplant.