STUTTGART (dpa/lsw) — Die Realschu­len sind die Sandwich-Schulen im Land: Sie nehmen mögli­che Haupt­schü­ler ebenso auf wie überfor­der­te Gymna­si­as­ten. Darun­ter leidet das Niveau der Realschu­len, sagen die Lehrkräf­te dort. Und fordern fast durch die Bank eine Reform des Systems.

Fast alle Lehrkräf­te in den baden-württem­ber­gi­schen Realschu­len sorgen sich um überfor­der­te Kinder in den beiden Eingangs­klas­sen und würden den Haupt­schul­ab­schluss lieber heute als morgen loswer­den. In einer Umfra­ge des Verbands Bildung und Erzie­hung (VBE) sprechen sich neun von zehn Lehre­rin­nen und Lehrer dafür aus, den Haupt­schul­ab­schluss an der Realschu­le abzuschaf­fen und der Grund­schulemp­feh­lung wieder mehr Gewicht zu verleihen.

Den Haupt­schul­ab­schluss können Schüler an unter­schied­li­chen Schul­for­men erwer­ben. Haupt­schü­ler können auf dem Weg zum Abschluss «grund­stän­dig», also auf einem einfa­che­ren Niveau (G‑Niveau), unter­rich­tet werden. Der Unter­richt an Realschu­len erfolgt dagegen in den ersten zwei Schul­jah­ren auf einem «mittle­ren Niveau» — unabhän­gig davon, welcher Schul­ab­schluss später angestrebt wird. Für viele Mütter und Väter ist es aus Sicht der Realschu­len aber attrak­ti­ver, von der Grund­schulemp­feh­lung abzuwei­chen und ihr leistungs­schwä­che­res Kind auf die Realschu­le und nicht auf die eigent­lich passen­de Haupt- oder Werkre­al­schu­le zu schicken.

Das unter dem damali­gen Kultus­mi­nis­ter Andre­as Stoch (SPD) beschlos­se­ne Angebot des Haupt­schul­ab­schlus­ses an der Realschu­le gilt seit dem Schul­jahr 2016/17.

«Die Schul­pra­xis hat ein klares Urteil gefällt», sagte der VBE-Landes­vor­sit­zen­de Gerhard Brand zu den Ergeb­nis­sen der Umfra­ge, deren Details am Freitag (11.00 Uhr) in Stutt­gart vorge­stellt werden sollen. «Der Unter­richt von G‑Schülerinnen und ‑Schülern gemein­sam mit den anderen Realschü­le­rin­nen und ‑Realschü­lern in einer Klasse wird aus pädago­gi­schen Gründen in Frage gestellt.» Durch das gleich­zei­ti­ge Unter­rich­ten könne keines der Niveaus richtig bedient werden, kriti­sier­te Brand. Das System werde den Kindern nicht gerecht und sei arbeitsintensiv.

Realschu­len sind in Baden-Württem­berg in einer Art Sandwich-Positi­on: Sie sind Auffang­be­cken für die Schüler, die an eine der Haupt­schu­len gegan­gen wären, die zuneh­mend geschlos­sen werden. Sie können dort ihren Haupt­schul­ab­schluss machen. Aber auch Gymna­si­as­ten, die wegen Überfor­de­rung an die Realschu­le kommen, tragen zur zuneh­men­den Vielfalt der Schul­art bei. Der Schul­art­wech­sel ist verpflich­tend, wenn zweimal aufein­an­der das Klassen­ziel nicht erreicht wurde. Schüler können aber auch freiwil­lig die Schul­art wechseln.

An den 479 öffent­li­chen und priva­ten Realschu­len im Land sind im Schul­jahr 2020/2021 insge­samt 209.552 Jungen und Mädchen unter­rich­tet worden. Fünf Jahre zuvor lag die Zahl der Schulen noch bei 507 Einrichtungen.