FRIEDRICHSHAFEN (dpa) — Zu wenig Nahrung, zu viele Fress­fein­de: Im Jahr 2021 gingen den Berufs­fi­schern im Boden­see kaum Fische ins Netz. Die letzten Vertre­ter des Handwerks bangen nicht nur deshalb um ihre Zukunft.

Den Berufs­fi­schern am Boden­see ist im vergan­ge­nen Jahr nach derzei­ti­gen Schät­zun­gen nicht einmal halb so viel Fisch ins Netz gegan­gen wie im Schnitt der zehn Jahre zuvor. Das größte Problem seien die starken Rückgän­ge bei Blaufel­chen, sagte eine Spreche­rin des Inter­na­tio­na­len Boden­see-Fische­rei­ver­bands (IBF) im Vorfeld der Jahres­haupt­ver­samm­lung in Fried­richs­ha­fen am Samstag.

Zwar hätten die Fischer im vergan­ge­nen Jahr größe­re Mengen des Speise­fischs gefan­gen als im bisher schlech­tes­ten Jahr 2019. «Aber schon die ersten fünf Fangmo­na­te im Jahr 2022 zeigen einen weite­ren Rückgang des Felchen-Bestan­des an», sagte die Spreche­rin. «Es fährt zurzeit kaum ein Fischer zum Felchen-Fang auf den See, da es sich nicht lohnt.» Die wenigen gefan­ge­nen Fische seien oft zu mager.

Die Gründe für den Rückgang bei den Fangmen­gen sind vielfäl­tig. Zum einen führt der niedri­ge Phosphat­ge­halt im Boden­see zu weniger Zooplank­ton als Nahrung für die Felchen. Zum anderen frisst eine einge­wan­der­te Fisch­art, der Stich­ling, seit einer explo­si­ons­ar­ti­gen Vermeh­rung vor einigen Jahren nach Angaben des baden-württem­ber­gi­schen Landwirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums immer mehr Plank­ton weg — und die Quagga-Muschel zieht immer mehr Nährstof­fe aus dem Wasser.

Nach Ansicht der Fischer tragen auch Kormo­ra­ne zu dem Problem bei. Inzwi­schen lebten am Boden­see etwa 900 Brutpaa­re in mindes­tens acht Kolonien, sagte die IBF-Spreche­rin. «Im Sommer fressen bis zu 4000 Kormo­ra­ne im See, im Winter sind es rund 1500 Vögel.» Die fräßen inzwi­schen mehr Fische als alle Fischer zusam­men im Jahr fangen.

Seit mehr als zwanzig Jahren forder­ten die Fischer, die Zahl der Fisch fressen­den Zugvö­gel zu regulie­ren — im Zweifels­fall auch mit Abschüs­sen. «Der Politik ist aber nichts Besse­res einge­fal­len, als eine weite­re Vorstu­die zum Kormo­ran-Bestand in Auftrag zu geben», sagte die Spreche­rin. Ergeb­nis­se wurden bisher nicht veröf­fent­licht. «Der Vorgang ist noch in der Abstim­mung», sagte ein Sprecher des baden-württem­ber­gi­schen Landwirtschaftsministeriums.

«Wir Berufs­fi­scher am Boden­see fühlen uns im Stich gelas­sen, egal bei welcher Thema­tik», sagte die IBF-Spreche­rin. «Nährstof­fe, Stich­ling, Quaggamu­schel — es werden Studi­en um Studi­en gemacht, um die beste Lösung zu suchen. Dadurch verstreicht wertvol­le Zeit ohne Handlun­gen.» Gerade beim Kormo­ran gebe es die Möglich­keit, die Tiere stärker zu bejagen, um ihre Zahl zu senken. Natur­schutz­ver­bän­de lehnen das aber ab, weil die Vögel gesetz­lich geschützt sind.

Die Zukunft der Berufs­fi­scher sehe daher «alles andere als rosig aus», sagte die Verbands­spre­che­rin. «Wenn es so weiter­geht, wird sich der Trend, dass immer mehr Fischer ihren Beruf aufge­ben, fortset­zen.» Derzeit hätten nur noch 63 Fischer am Boden­see ein Hochsee­pa­tent, also die Erlaub­nis, in vollem Umfang der Fische­rei nachzu­ge­hen. In den Achtzi­ger­jah­ren seien es noch 180 gewesen.

Bis zum Jahr 2030 würden zudem mindes­tens 20 weite­re Fischer das Renten­al­ter errei­chen, beton­te die Spreche­rin. Nachwuchs gebe es kaum. «Wer möchte aber seinen Kindern guten Gewis­sens raten, einen Beruf ohne Perspek­ti­ve zu erler­nen?» Ohne zukunfts­fä­hi­ge Strate­gien werde «man das Handwerk der Boden­see-Berufs­fi­scher in nicht allzu langer Zeit nur noch im Museum betrach­ten können».