BERLIN (dpa) — Wohnraum wird knapp und es fehlt an Schulen und Kitas: Viele Kommu­nen sehen sich angesichts der hohen Zahl an Geflüch­te­ten unter Druck. Sie haben klare Forde­run­gen an die Politik.

Gernot Schmidt wird sofort ziemlich deutlich. «Das Kernpro­blem ist, dass Land und Bund es sich sehr einfach machen», empört sich der SPD-Landrat. 5000 Geflüch­te­te habe sein Landkreis Märkisch-Oderland östlich von Berlin seit 2015 aufge­nom­men. Vor allem Famili­en kämen und blieben bei ihm in der Region. Nun sei Wohnraum knapp, es fehlten Kitas und Schulen. «Es hängt alles am Ausbau der Infra­struk­tur», sagt Schmidt. Nötig seien mehr Inves­ti­tio­nen und weniger Bürokra­tie, damit schnel­ler gebaut werden könne.

Solche Hilfe­ru­fe der Kommu­nen hört Bundes­in­nen­mi­nis­te­rin Nancy Faeser seit Wochen. Bei einem weite­ren Flücht­lings­gip­fel an diesem Donners­tag will die SPD-Politi­ke­rin mit Ländern und Kommu­nen beraten — zum zweiten Mal binnen vier Monaten. Kommu­nal­po­li­ti­ker fordern eine verläss­li­che Finan­zie­rung der Unter­brin­gung der Geflüch­te­ten, aber auch eine gerech­te­re Vertei­lung und die Abschie­bung abgelehn­ter Asylbe­wer­ber. Einige hätten am liebs­ten gleich mit Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) verhan­delt. Doch Scholz überlässt die Lösungs­su­che erstmal der zustän­di­gen Ministerin.

Die Union kriti­siert das. CDU-Innen­po­li­ti­ker Alexan­der Throm findet, Faeser habe «den Ländern und Kommu­nen nichts anzubie­ten». Das sieht die Grünen-Abgeord­ne­te Karoli­ne Otte, Mitglied im Bundes­tags­aus­schuss für Wohnen, Stadt­ent­wick­lung, Bauwe­sen und Kommu­nen, zwar anders. Aber auch sie erwar­tet, dass, um den Kommu­nen mehr finan­zi­el­le Planungs­si­cher­heit zu geben, wohl eine zweite Runde folgen muss.

Die Zahlen

Nach dem russi­schen Angriff auf die Ukrai­ne kamen 2022 mehr als eine Milli­on Menschen aus dem Kriegs­ge­biet nach Deutsch­land. Darüber hinaus beantrag­ten hier im vergan­ge­nen Jahr 217.774 Menschen aus Syrien, Afgha­ni­stan, der Türkei und anderen Staaten erstmals Asyl — so viele wie seit 2016 nicht. Im Januar 2023 kamen 29.072 Asylan­trä­ge hinzu. Faeser sagte Anfang der Woche bei einer Veran­stal­tung der Deutschen Presse-Agentur: «Es ist sehr schwie­rig, aber es ist deshalb schwie­rig, weil Putin diesen Krieg angefan­gen hat. Acht von zehn Flücht­lin­gen kommen aus der Ukrai­ne, das macht die große Zahl aus.»

Die Unter­brin­gung

«Viele Kommu­nen sind bei der Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten bereits jetzt an der Belas­tungs­gren­ze angekom­men», heißt es in einem Papier des Städte- und Gemein­de­bunds. Gerade die Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne seien oft zuerst in Famili­en oder Ferien­woh­nun­gen unter­kom­men, doch sei diese Kapazi­tät «aufge­braucht», berich­te­te Landrat Onno Eckert aus dem thürin­gi­schen Landkreis Gotha vor einigen Tagen im Deutsch­land­funk. Jetzt kämen Asylsu­chen­de hinzu.

«Insge­samt ist es dann schon so, dass es eine Heraus­for­de­rung ist», sagte der SPD-Politi­ker. Es gebe bei ihm 400 Plätze in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten, aber wenig freie Wohnungen.

Seit März 2022 wurden nach einer Recher­che des Medien­diensts Migra­ti­on bundes­weit fast 74.000 Aufnah­me­plät­ze geschaf­fen. Insge­samt seien die Struk­tu­ren stark ausge­las­tet. Es gebe aber Unter­schie­de: In Bayern seien die Plätze in Erstauf­nah­me­ein­rich­tun­gen zu 90 Prozent belegt, in Hessen zu 50 Prozent.

Auch Faeser sagte: «Die Belas­tungs­si­tua­ti­on ist unter­schied­lich, die ist in einigen Berei­chen sehr prekär.» Dazu zählte die SPD-Politi­ke­rin Leipzig, wo Zeltstäd­te errich­tet werden. Faeser hat bereits zugesagt, mehr freie Gebäu­de des Bundes für Geflüch­te­te zur Verfü­gung zu stellen. Nicht überall klappt das schnell. Einige Kommu­nal­po­li­ti­ker hoffen zudem auf leerste­hen­de Liegen­schaf­ten der Länder.

Die Vertei­lung

Grund­sätz­lich gilt: Regio­nen mit wirtschaft­li­cher Leistungs­fä­hig­keit werden relativ viele Schutz­su­chen­de zugewie­sen, sie haben aber oft wenig bezahl­ba­ren Wohnraum. Genau aus diesem Grund forder­ten Kommu­nal­po­li­ti­ker aus dem Main-Taunus-Kreis — in der Nachbar­schaft von Faesers Wohnort in Hessen — von Bundes­kanz­ler Scholz andere Krite­ri­en für die Zuwei­sung neuer Flüchtinge.

Eine «gerech­te­re Vertei­lung» mahnten diese Woche aber auch Cottbus und der angren­zen­de Landkreis Spree-Neiße an. Die Stadt hätte laut Schlüs­sel 1120 Asylbe­wer­ber und aufneh­men müssen, hat aber bereits mehr als 1400 unter­ge­bracht. Grund ist wohl weniger die Wirtschafts­stär­ke als die Nähe zur polni­schen Grenze. Eine andere, allseits als «gerecht» empfun­de­ne Vertei­lung in Deutsch­land dürfte also schwie­rig werden.

Der Städte- und Gemein­de­bund fordert deshalb neben schnel­le­ren Asylver­fah­ren und einer «Rückfüh­rungs­of­fen­si­ve» eine «zielge­naue­re Vertei­lung» von Schutz­su­chen­den in der gesam­ten EU. «Die Kommu­nen brauchen bei der Aufnah­me von Flücht­lin­gen eine “Atempau­se”», meint der Kommu­nal­ver­band. Die Verteil­dis­kus­si­on auf EU-Ebene ist jedoch seit Jahren ergebnislos.

Was es sonst noch braucht

Vor allem die mit ihren Müttern geflüch­te­ten Kinder aus der Ukrai­ne brauchen Kitas und Schulen — wobei in Ballungs­räu­men ohnehin schon Lehre­rin­nen- und Erzie­her­man­gel herrscht. Landrat Schmidt aus Märkisch-Oderland verweist auf das Konflikt­po­ten­zi­al: Die Kinder hätten einen Bildungs­an­spruch, aber wenn die Gruppen und Klassen zu groß würden, gebe es Unmut der übrigen Eltern.

Schmidt ist auch dafür, Asylbe­wer­bern ähnlich wie den Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne sofort eine Arbeits­er­laub­nis zu geben. Immer wieder höre er die Klage von Bürgern, dass die Ankom­men­den über Jahre in Sozial­sys­te­men blieben.

Ähnlich sieht das der evange­li­sche Pfarrer Lukas Pellio aus dem branden­bur­gi­schen Sprem­berg, der sich seit Jahren um Geflüch­te­te kümmert. Ukrai­ner und Menschen aus anderen Staaten dürften nicht unter­schied­lich behan­delt werden, meint Pellio. «Da gibt es ja nun plötz­lich die guten Flücht­lin­ge und die bösen.» Auch Migra­ti­ons- und Sozial­po­li­tik dürften nicht gegen­ein­an­der ausge­spielt werden.

In Sachsen, wo in einigen Orten erneut gegen die Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen protes­tiert wird, will der Landkreis Mittel­sach­sen neue Wege gehen: Er will selbst in die Rolle des Bauherrn schlüp­fen, um preis­wer­ten Wohnraum zu schaf­fen — für insge­samt 500 Menschen. Die Geflüch­te­ten könnten so regio­nal fairer verteilt werden. Bisher seien die Städte Freiberg und Haini­chen überpro­por­tio­nal belas­tet. «Das schafft Proble­me, die vermeid­bar wären», heißt es aus dem Landrats­amt. Von Geneh­mi­gung bis Fertig­stel­lung brauche ein solcher Neubau aller­dings immer noch 16 bis 18 Monate.

Keine Ad-Hoc-Politik

Ein offener Brief des Haupt­ge­schäfts­füh­rers des Paritä­ti­schen Gesamt­ver­ban­des, Ulrich Schnei­der, und anderer riet diese Woche zu nachhal­ti­gen Struk­tu­ren. Krisen und Katastro­phen könnten immer überra­schend auftreten:

«Unter­künf­te für Geflüch­te­te müssen in ausrei­chen­der Zahl bereit­ge­hal­ten werden, auch wenn uns bewusst ist, dass dies gegebe­nen­falls mit Kosten für Kommu­nen und andere Anbie­ter verbun­den ist. Andern­falls flüch­ten Menschen in die Obdach­lo­sig­keit, und das kann noch teurer werden.» Contai­ner oder Turnhal­len seien maximal eine kurzfris­ti­ge Lösung.

Von Anne-Béatri­ce Clasmann und Verena Schmitt-Rosch­mann, dpa