STUTTGART (dpa/lsw) — Ellwan­gen, Tamm, Ludwigs­burg. Immer wieder weigern sich Kommu­nen, Flücht­lin­ge aufzu­neh­men. Mal ist es zu teuer, mal gibt es keinen Platz, dann wieder fühlen sich die Menschen zu unsicher. Jetzt scheint das Fass für die Landes­re­gie­rung überge­lau­fen zu sein.

In Tamm bei Ludwigs­burg gehen sie zu Hunder­ten auf die Straße, in Pforz­heim stellt sich der Gemein­de­rat auch nach Monaten quer und in Ellwan­gen läuft die Zeit für das Land ab: In Baden-Württem­berg gibt es zuneh­mend Wider­stand gegen den Bau von Flücht­lings­un­ter­künf­ten auf den Gebie­ten der Städte und Gemein­den. Aber dem Land sind die Hände gebun­den. Es muss die Menschen aufneh­men und vertei­len. Deshalb will die grün-schwar­ze Koali­ti­on den Druck auf die Kommu­nen notfalls erhöhen.

Als letzte Möglich­keit müssten Einrich­tun­gen auch gegen den Willen von Städten und Gemein­den entste­hen können, kündig­ten Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) und das Justiz­mi­nis­te­ri­um an. «Wir müssen die Flücht­lin­ge unter­brin­gen. Das ist eine Pflicht­auf­ga­be», hatte Kretsch­mann zuletzt betont. Der Zustrom werde nicht abrei­ßen, «davon bin ich persön­lich überzeugt». Und letzt­lich müsse jede Einrich­tung auf einem Gemein­de­ge­biet stehen. «Wir haben keine gemein­de­frei­en Gebie­te mehr in Baden-Württemberg.»

Aber die Skepsis vieler Menschen ist mittler­wei­le groß, wenn ausge­rech­net in ihrer Stadt eine Zwischen­sta­ti­on für Geflüch­te­te entste­hen soll. Zuletzt hatte der Pforz­hei­mer Gemein­de­rat eine Erstauf­nah­me­ein­rich­tung (EA) für Geflüch­te­te in der Stadt nach monate­lan­ger Debat­te abgelehnt. Auch in Tamm bei Ludwigs­burg hatten Bürger gegen eine große Flücht­lings­un­ter­kunft protes­tiert. Das lange Tauzie­hen von Land und Stadt Ellwan­gen um die dorti­ge Einrich­tung hatte zudem erst ein Ende, als sich beide Partei­en auf eine Frist bis Ende 2025 einig­ten. Dann braucht das Land eine andere Lösung. Die Zeit drängt.

Laut Kretsch­mann werden Überle­gun­gen «konkret verfolgt», wie sich das Land im Zweifels­fall gegen eine Kommu­ne durch­set­zen kann. Das Land mache die Erfah­rung, dass der Bau von Unter­künf­ten nicht populär sei und auch auf Wider­stand stoße. «Wir versu­chen natür­lich, das Einver­neh­men mit den örtli­chen Gebiets­kör­per­schaf­ten herzu­stel­len», sagte Kretsch­mann am vergan­ge­nen Diens­tag. Es sei bisher in keiner Kommu­ne eine EA gegen den Mehrheits­wil­len des Gemein­de­rats in Betrieb genom­men worden.

Auch das Justiz­mi­nis­te­ri­um beton­te den Willen, Lösun­gen mit mögli­chen Stand­ort­kom­mu­nen einver­nehm­lich zu führen. Dies sei auch immer gelun­gen, sagte ein Sprecher von Justiz­mi­nis­te­rin Marion Gentges (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Er ergänz­te aber: «Darüber hinaus stehen — auch abhän­gig von den tatsäch­li­chen und plane­ri­schen Rahmen­be­din­gun­gen eines Stand­or­tes — Regelun­gen und recht­li­che Instru­men­te zur Verfü­gung, um jeden­falls eine Einrich­tung und einen Betrieb zu ermöglichen.»

Ein mögli­ches Instru­ment wäre neben der sogenann­ten Legal­pla­nung, mit der Stand­or­te aufwen­dig per Gesetz bestimmt werden, auch das Baurecht des Bundes. Es regelt Sonder­re­ge­lun­gen für Flüchtlingsunterkünfte.

Der Städte­tag warnt davor, vom bishe­ri­gen Weg abzuwei­chen. Der Paragraf dürfe nicht überschwäng­lich genutzt werden, da die kommu­na­le Planungs­ho­heit verfas­sungs­recht­lich abgesi­chert sei und ausge­he­belt würde, sagte eine Spreche­rin der «Schwä­bi­schen Zeitung» (Donners­tag). «Dies würde nicht dem bewähr­ten Schul­ter­schluss von Bund und Kommu­nen bei der Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten entspre­chen, an diesem Schul­ter­schluss sollten wir festhal­ten», sagte sie der Zeitung.

In vergan­ge­nen Jahr wurden laut Justiz­mi­nis­te­ri­um 146.000 Menschen aus der Ukrai­ne, 28.000 Asylsu­chen­de und 3400 Menschen im Rahmen der humani­tä­ren Hilfe aufge­nom­men. In den ersten Monaten 2023 waren Stand Donners­tag bislang weite­re 7000 Menschen auf der Suche nach Asyl sowie 13.000 auf der Flucht vor dem Ukrai­ne-Krieg und 600 weite­re, darun­ter zum Beispiel Ortskräf­te aus Afghanistan.

Im Land gibt es derzeit mehr als zehn Aufnah­me­stand­or­te, darun­ter das Ankunfts­zen­trum in Heidel­berg, in dem bis zu 2000 Menschen unter­ge­bracht werden können, sowie vier Landes­erst­auf­nah­me­stel­len in Ellwan­gen, Sigma­rin­gen, Freiburg und Karls­ru­he. Dort werden die Geflüch­te­ten regis­triert und gesund­heit­lich unter­sucht, bevor sie in Folge­un­ter­künf­te an die Kommu­nen verteilt und in den Städten und Gemein­den integriert werden sollen.

Außer­dem werden fünf Erstauf­nah­me­stel­len in Eggen­stein-Leopolds­hafen, Schwet­zin­gen, Giengen, Tübin­gen und Mannheim geführt. Die EA in Mannheim ist derzeit aber wegen Sanie­rung außer Betrieb. In diesen Einrich­tun­gen werden schon regis­trier­te Geflüch­te­te vorläu­fig unter­ge­bracht, bevor sie Kommu­nen zugewie­sen werden.

Insge­samt verfügt das Land den Angaben nach über rund 13.200 Plätze für Geflüch­te­te. «Die Suche nach Liegen­schaf­ten für die Flücht­lings­erst­auf­nah­me ist in Anbetracht der anhal­tend hohen Zugangs­zah­len zu einer Dauer­auf­ga­be des Landes gewor­den», erläu­ter­te das Justizministerium.