BERGISCH GLADBACH (dpa) — Fritz Pleit­gen war immer ein Mann mit Haltung: als Journa­list, als Organi­sa­tor der Kultur­haupt­stadt Ruhr — und auch zum Schluss, als er den Tod vor Augen hatte.

Fritz Pleit­gen war schon schwer von seiner Krank­heit gezeich­net, aber dennoch entsprach er der Bitte, sich zum Ukrai­ne-Krieg zu äußern. Sehr blass und sehr schmal saß der einsti­ge Fernseh­jour­na­list und Inten­dant auf dem Sofa seines Hauses in Bergisch Gladbach bei Köln. «Der Krebs nagt an mir», gestand er. Das Reden mache ihn müde. Inhalt­lich aber fielen seine Antwor­ten so analy­tisch geschlif­fen aus wie eh und je.

Ja, er sei für die Liefe­rung schwe­rer Waffen an die Ukrai­ne, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Nur das könne den russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin an den Verhand­lungs­tisch zwingen. Aber nein, «die Russen sind keine anderen Menschen als wir. Ich habe sie immer als Gesprächs­part­ner erlebt, mit denen sich der Gedan­ken­aus­tausch lohnte». Die vielen Menschen, denen er auf seinen Repor­ta­ge-Reisen durch Russland begeg­net sei, hätten ganz ähnli­che Vorstel­lun­gen vom Leben gehabt wie er selbst. «Ich habe da keine signi­fi­kan­ten Unter­schie­de festge­stellt und bin weit davon entfernt, die Russen aus unserem Milieu ausschlie­ßen zu wollen.»

Mit 84 Jahren gestorben

Am Donners­tag ist Fritz Pleit­gen im Alter von 84 Jahren gestor­ben, wie der WDR am Freitag bekannt­gab. «Ein großer Kapitän verlässt nun die Bühne des Lebens», würdig­te ihn der heuti­ge WDR-Inten­dant und ARD-Vorsit­zen­de Tom Buhrow. «Er hat den WDR geprägt wie kaum ein anderer. Fritz Pleit­gen stand für Mut und Fairness, und er liebte seinen WDR.»

Pleit­gen hinter­lässt seine Frau, mit der er seit 1969 verhei­ra­tet war, drei Söhne und eine Tochter. Man darf sich ihn als glück­li­chen Menschen vorstel­len, privat wie beruf­lich. «Per saldo ist das gelau­fen, als ob jemand das gesteu­ert hätte», bilan­zier­te er am Ende. «Denn so überra­gend begabt bin ich nun auch nicht.»

Der große hagere Mann kam aus dem Ruhrge­biet, aus Duisburg-Meide­rich. 1938 wurde er dort geboren, mitten unter Ruß spucken­den Kokerei­en und Hochöfen mit züngeln­den Stich­flam­men. Den Zweiten Weltkrieg hatte er noch bewusst miter­lebt. «Meine ersten Wahrneh­mun­gen sind Flammen und Sirenengeheul.»

Nach dem Krieg wuchs er in Bünde in Ostwest­fa­len auf. Im Konfir­ma­ti­ons­an­zug sammel­te er seine ersten Erfah­run­gen als Zeitungs­re­por­ter. Seine beste Schule sei das Amtsge­richt gewesen, erzähl­te er einmal: Dort habe er gelernt, dass man sich nie nur auf eine Quelle verlas­sen dürfe. 1963 holte ihn der WDR, schon bald berich­te­te er aus dem Zypern-Konflikt und dem Sechs-Tage-Krieg. In den 1970er Jahren war er Korre­spon­dent in Moskau und Ost-Berlin. 1982 ging er nach Washington.

Die erzkon­ser­va­ti­ve Politik des damali­gen Präsi­den­ten Ronald Reagan sagte ihm persön­lich nicht zu, was ihn aber nicht davon abhielt, den Mann sympa­thisch zu finden. Als er sich wegen kriti­scher Fragen einmal den Zorn von Reagans Presse­spre­cher zuzog, legte ihm der Präsi­dent väter­lich den Arm auf die Schul­ter und sagte zu dem Sprecher: «Bob, he had his job to do.» (Bob, er hat doch nur seinen Job gemacht.)

1994 wurde Pleit­gen WDR-Hörfunk­di­rek­tor und ein Jahr später als Nachfol­ger von Fried­rich Nowott­ny Inten­dant. Das blieb er zwölf Jahre lang, bis 2007. Sein letztes Großpro­jekt war die Kultur­haupt­stadt Ruhr 2010. Hier war er von 2007 bis 2011 Vorsit­zen­der der Geschäfts­füh­rung und als solcher «das Gesicht des Reviers». Es ging ihm darum, überhol­te Vorstel­lun­gen vom einsti­gen «Kohlen­pott» abzubau­en und neue Bilder vom Ruhrge­biet um die Welt zu schicken. Als im Kultur­haupt­stadt-Jahr 21 Menschen bei der Lovepa­ra­de-Katastro­phe starben, fuhr Pleit­gen als einer von wenigen sofort an die Unglücks­stel­le und räumte öffent­lich eine morali­sche Mitver­ant­wor­tung ein.

Korre­spon­dent in Moskau

Haltung zeigte Pleit­gen auch, nachdem er 2020 an Bauch­spei­chel­drü­sen­krebs erkrankt war. Bitter­keit oder gar Selbst­mit­leid waren ihm fremd, statt­des­sen bekun­de­te er Dankbar­keit für die gute Behand­lung und die Zuwen­dung, die ihm zuteil wurden. «Ich weiß, bei Krebs ist man wirklich in Gottes Hand, und ich genie­ße jeden Tag, den ich hier noch zusätz­lich auf Erden wandeln kann.»

Was sein gelieb­tes Russland betrifft — das Riesen­reich, das er auch lange nach seiner Korre­spon­den­ten­tä­tig­keit immer wieder bereis­te — so musste er sich am Ende seines Lebens von einigen Illusio­nen verab­schie­den. Die Gefähr­lich­keit von Putin habe er unter­schätzt, räumte er ein. Gleich­zei­tig war er fest davon überzeugt, dass Putin nicht das letzte Wort haben würde. «Die jungen Leute werden sich das auf Dauer nicht gefal­len lassen», prophe­zei­te er. «Wir haben ja schon einmal erlebt, dass da Zehntau­sen­de auf die Straße gegan­gen sind, und das kann sich leicht wieder­ho­len.» Er wusste aber, dass er selbst das nicht mehr erleben würde.

Von Chris­toph Dries­sen, dpa