Der «Goldjun­ge» aus Argen­ti­ni­en führte ein Leben auf der Überhol­spur: Auf dem Rasen spiel­te er seine Gegner schwin­de­lig, neben dem Platz stürz­te er sich gerne auch mal ins Deliri­um. Mehr als einmal sprang er dem Tod von der Schip­pe. Jetzt ist der Ausnah­me­spie­ler gestorben.

Die Fußball-Welt trauert um Diego Arman­do Maradona. Der argen­ti­ni­sche Natio­nal­held, dieser genia­le Künst­ler am Ball, dessen Leben so viele, tragi­sche Wendun­gen nahm, ist am Mittwoch im Alter von nur 60 Jahren gestorben.
 

Weltmeis­ter, Serien­meis­ter, UEFA-Cup-Sieger, Doping­sün­der, geschei­ter­ter TV-Modera­tor und Kokain-Junkie in Perso­nal­uni­on — eigent­lich viel zu viel für ein einzi­ges Leben. Erst kürzlich hatte der «Goldjun­ge» einen Kranken­haus-Aufent­halt überstan­den. Argen­ti­ni­en weint.

Es gibt unzäh­li­ge Anekdo­ten über Maradona: Wie er seine Gegen­spie­ler reihen­wei­se narrte, wie er sogar den Tod gerade noch umdrib­bel­te, wie er mit einem Luftge­wehr auf Journa­lis­ten schoss oder sogar eine Kirche nach ihm benannt wurde? Als Fußbal­ler war Maradona so unbeschreib­lich gut wie vielleicht niemand davor oder danach. Als Mensch war er viele Jahre später mal so dick, dass er kaum sprechen konnte. Diego Arman­do Maradona: Dieser Name steht für ein Leben zwischen den Extre­men, zwischen Himmel und Hölle, zwischen Genie und Wahnsinn.

Maradona war am 11. Novem­ber, gut eine Woche nach der Opera­ti­on wegen einer Hirnblu­tung, aus einem Kranken­haus in einem Vorort von Buenos Aires entlas­sen worden. Beim einsti­gen Super­star war zunächst von emotio­na­lem Stress, Blutar­mut und Dehydrie­rung die Rede. Bei den Tests wurde dann eine Blutung zwischen harter Hirnhaut und Gehirn festgestellt.

Maradona habe den mögli­cher­wei­se schwie­rigs­ten Moment seines Lebens überstan­den, sagte sein Anwalt Matías Morla da. Der frühe­re «Pibe de Oro» (Goldjun­ge) sei gewillt, sich wegen persön­li­cher Proble­me zu rehabi­li­tie­ren: «Es wird Maradona noch eine Weile geben.»

Im Septem­ber 2019 übernahm Maradona den Trainer­pos­ten beim Erstli­gis­ten Gimna­sia y Esgri­ma La Plata. Auf Insta­gram zeigte er sich mit einem kleinen Hund auf dem Arm, mit einer Taktik­ta­fel im Garten oder mit einer einem Astro­nau­ten­helm ähneln­den Spezi­al­mas­ke zum Schutz vor dem Corona­vi­rus auf dem Kopf. Auf den Fotos sieht Maradona meist schlank und gesund aus, einmal trug er sogar eine modische Brille. Die Botschaft war: Es geht ihm gut. «Man muss anmer­ken, dass er seine Lebens­kri­se, die da entstan­den ist nach dem Fußball, anschei­nend gemeis­tert hat», sagte Günter Netzer kurz vor Maradon­as 60. Geburts­tag am 30. Oktober.

Für den Ex-Natio­nal­spie­ler ist Maradona so wie für viele Menschen ein Mythos geblie­ben. Die Legen­de beginnt in der Siedlung Villa Fiori­to am Rande von Buenos Aires, wo «El Pibe de Oro» (der Goldjun­ge) früh vom Erstli­gis­ten Argen­ti­nos Juniors entdeckt wird. Als zwölf Jahre alter Balljun­ge soll er den Zuschau­ern mit seinen Kabinett­stück­chen während der Halbzeit­pau­sen schon mehr Unter­hal­tung als die erste Mannschaft geboten haben. Im Alter von 15 Jahren gibt er sein Debüt in der ersten Liga, mit 16 ist er Natio­nal­spie­ler, mit 17 Torschüt­zen­kö­nig und als 19-Jähri­ger erstmals Südame­ri­kas Fußbal­ler des Jahres.

Ob er der neue Pelé ist, wollen argen­ti­ni­sche Repor­ter damals von ihm wissen. «Ich bin Maradona, kein neuer Irgend­was. Ich will einfach nur Maradona sein», antwor­tet der junge «Diegi­to». Und das ist ihm ohne Zweifel gelun­gen: Denn sein Lebens­weg ist unver­gleich­lich. Am Anfang geht noch Vieles gut. 1982 wechselt Maradona für eine Rekord­ab­lö­se­sum­me zum FC Barce­lo­na, zum Halbgott steigt er aber erst zwei Jahre später auf. Für eine weite­re Rekord­ab­lö­se geht es weiter zum SSC Neapel, also nicht zu den großen Clubs im Norden Itali­ens, sondern zum verspot­te­ten Fast-Abstei­ger in den verach­te­ten Süden. «Kloake Itali­ens», tönen Juve- oder Milan-Fans beim direk­ten Duell.

Hier beginnt die Verwand­lung. Maradona steigt höher und höher, 1987 und 1990 führt er Neapel zu den bis heute einzi­gen Meister­schaf­ten der Vereins­ge­schich­te. Schon bei seiner Begrü­ßung hatten mehr als 70.000 Fans ihn im Stadio San Paolo empfan­gen, später lungern die Menschen immer wieder vor seiner Haustür herum. Einmal soll eine Kranken­schwes­ter eine Blutpro­be von ihm gestoh­len und in die Kirche gebracht haben. Die Neapo­li­ta­ner vereh­ren ihn wie einen Heili­gen. Maradona kommt mit dem Hype klar, so lange er Fußball spielt, auf dem Rasen wird er besser und besser.

«Auf dem Platz wird das Leben unwich­tig. Die Proble­me, all das wird unwich­tig», sagt er in der Amazon-Dokumen­ta­ti­on «Diego Maradona». Mit Argen­ti­ni­en wird er 1986 Weltmeis­ter, 1989 gewinnt er mit Neapel auch noch den UEFA-Pokal. Abseits des Platzes wird er genau­so unkon­trol­lier­bar wie für seine Gegen­spie­ler. Er verfällt dem Kokain («Eine Line — und ich fühlte mich wie Super­man»), zieht zum Teil von Sonntag­abend bis Mittwoch um die Häuser, um danach bis zum nächs­ten Spiel am Wochen­en­de wieder alles auszu­schwit­zen. Seine Natio­nal­mann­schafts­kar­rie­re endet bei der WM 1994 wegen einer zweiten, monate­lan­gen Doping-Sperre durch die FIFA.

Das extre­me Pendeln zwischen himmel­hoch jauch­zen­dem Übermut und verzwei­fel­ter Nieder­ge­schla­gen­heit ist auch vielen seiner Lands­leu­te nicht fremd. Der Rummel um Maradona nahm biswei­len grotes­ke Ausma­ße an. So gab es ein Maradona-Museum, ein Maradona-Musical und sogar eine Maradona-Kirche, in der das «Diego Unser» gebetet wurde. Nach seiner Fußball­kar­rie­re suchte Maradona auch immer wieder die Nähe zu den linken Caudil­los Latein­ame­ri­kas. Gerne zeigte er sich an der Seite von Fidel Castro, Hugo Chávez oder Nicolás Maduro.

«Diego hatte ein Leben wie ein Traum. Und wie ein Alptraum», sagte sein langjäh­ri­ger Fitness­trai­ner Fernan­do Signo­ri­ni. Unver­ges­sen sind die «Hand Gottes», mit der er bei der WM 1986 gegen England getrof­fen hatte, oder sein Jahrhun­dert­tor nach einem unfass­ba­ren Dribb­ling im selben Spiel. Unver­ges­sen sind aber auch die Jahre später erschie­ne­nen Bilder vom kugel­run­den Maradona mit schrill­blon­den Haaren. Er schei­ter­te als TV-Modera­tor und argen­ti­ni­scher Natio­nal­coach, verbrach­te Wochen in Kranken­häu­sern, ließ sich den Magen verklei­nern und schramm­te mehrmals knapp am Tod vorbei.

«Ich glaube, er hält sich für einen Gott, und das könnte einer der Gründe für seine Proble­me sein», sagte vor vielen Jahren mal der Leiter der Klinik Güemes in Buenos Aires, Héctor Pezzel­la, wo Maradona 2007 in Behand­lung war.

Der Ausnah­me-Spieler hat sich nie geschont, weder auf noch neben dem Platz. «Er lebt jeden Moment, als wäre es sein letzter», sagte sein Fitness­trai­ner Signo­ri­ni einmal. «Wenn Diego einmal nicht mehr da ist, wird er noch mehr geliebt werden.»