STUTTGART (dpa/lsw) — Die Schulen sollen aufblei­ben, die Gesund­heits­äm­ter kommen wegen Omikron eh nicht mehr hinter­her: Deshalb lockert das Land die Regeln für Quaran­tä­ne. Gewerk­schaf­ten sehen ein «Durch­seu­chungs­expe­ri­ment».

Das Land Baden-Württem­berg ändert mitten in der Omikron-Welle seine Quaran­tä­ne-Regeln in Schulen und Kitas: Künftig müssen nicht mehr ganze Klassen oder Gruppen in häusli­che Isola­ti­on geschickt werden, wenn es einen größe­ren Corona-Ausbruch gibt. «Damit schüt­zen wir den Präsenz­un­ter­richt und gewähr­leis­ten einen einiger­ma­ßen geregel­ten Schul- und Kitabe­trieb», sagte Sozial­mi­nis­ter Manne Lucha (Grüne) am Mittwoch in Stutt­gart. Auch Kultus­mi­nis­te­rin There­sa Schop­per (Grüne) hält den Schritt für verant­wort­bar — trotz Inzidenz­wer­ten von mehr als 3400 bei den sechs bis neun Jahre alten Kindern und von mehr als 2400 bei den 10- bis 19-Jährigen.

Die Lehrer-Gewerk­schaf­ten halten die neuen Regeln für einen «Witz». Gerhard Brand, Landes­chef des Verbands Bildung und Erzie­hung (VBE) sagte: «Dies klingt nach einem geziel­ten Durch­seu­chungs­expe­ri­ment und steht im krassen Wider­spruch zum gegen­wär­ti­gen exponen­ti­ell fortschrei­ten­den Infektionsgeschehen.»

Lucha sagte: «Nach der alten Regel hätten immer mehr komplet­te Schul­klas­sen und Kitagrup­pen in Quaran­tä­ne gehen müssen — das wollen wir verhin­dern.» Die aktuel­le Omikron-Varian­te verlau­fe etwas milder. «Zudem sind immer mehr Menschen im Land geboos­tert und damit auch die Famili­en­mit­glie­der der Schüle­rin­nen und Schüler und Kitakin­der geschützt.» Schop­per ergänz­te: «Mit regel­mä­ßi­gen Testun­gen, Masken, dem Förder­pro­gramm für Luftfil­ter und Vorga­ben zum Lüften können wir diesen Schritt gehen und gewäh­ren weiter­hin einen sehr hohen Schutz für die Jugend­li­chen und ihre Familien.»

Die Landes­chefin der Bildungs­ge­werk­schaft GEW, Monika Stein, wider­sprach vehement. Die Regie­rung habe viel zu wenig getan, um die Corona-Zahlen zu bremsen. Es gebe keine FFP2-Masken und viel zu wenige Luftrei­ni­ger. «Wir können nur hoffen, dass möglichst niemand in der Schul­ge­mein­schaft schwer erkrankt.» Der Philo­lo­gen­ver­band erklär­te, durch die neue Regelung werde die Zahl der Schüler in Quaran­tä­ne sinken. «So kann man auch versu­chen, das explo­die­ren­de Infek­ti­ons­ge­sche­hen an den Schulen und Kitas schön­zu­re­den», sagte Landes­chef Ralf Scholl. VBE-Landes­chef Brand sprach zudem von einem kommu­ni­ka­ti­ven Desas­ter, weil die Infor­ma­ti­on nicht zuerst aus dem Kultus­mi­nis­te­ri­um gekom­men sei. «Wer ist denn eigent­lich für die Schulen im Land zuständig?»

Das Sozial­mi­nis­te­ri­um aktua­li­sier­te ihren Handlungs­leit­fa­den für die Gesund­heits­äm­ter. Demnach müssen sich künftig nur noch positiv getes­te­te Kitakin­der und Schüle­rin­nen und Schüler abson­dern. Bisher war es so, dass die ganze Klasse oder Kitagrup­pe in Quaran­tä­ne geschickt werden musste, wenn mehr als fünf Jugend­li­che oder Kinder oder 20 Prozent einer Klasse oder Gruppe infiziert waren.

Schop­per sagte der dpa, über Fernun­ter­richt sollten künftig die Schul­lei­tun­gen befin­den. «Eigent­lich ist es so, dass die Schul­lei­tun­gen das relativ selbst­stän­dig entschei­den können.» Hinter­grund sei, dass es auch aus organi­sa­to­ri­schen Gründen notwen­dig sein könne, vorüber­ge­hend im Fernun­ter­richt zu unter­rich­ten — zum Beispiel wenn zahlrei­che Lehrkräf­te erkrankt sind. Die neue Regel lautet: Wenn der Präsenz­un­ter­richt auch unter Ausschöp­fung aller Ressour­cen nicht mehr vollstän­dig sicher­ge­stellt werden kann, können Schulen vorüber­ge­hend für einzel­ne Klassen oder auch die gesam­te Schule zu Fernun­ter­richt oder Hybrid­un­ter­richt wechseln.

Omikron hat zuletzt zu einem rasan­ten Anstieg der Corona-Zahlen an den Schulen im Südwes­ten geführt. Die Folge sind Unter­richts­aus­fäl­le und hohe Belas­tun­gen in den Lehrkol­le­gi­en. Im Vergleich zum vergan­ge­nen Herbst habe sich die Zahl der Infek­ti­ons­fäl­le an den Schulen in Baden-Württem­berg verzehn­facht, sagte Brand. Exper­ten gehen davon aus, dass Mitte Febru­ar der Höhepunkt der Omikron-Welle erreicht wird.

Laut Kultus­mi­nis­te­ri­um blieben am Mittwoch 1071 Schul­klas­sen coronabe­dingt zu Hause. Eine Woche zuvor waren es noch 731 Klassen. Infiziert sind derzeit 2589 Lehrkräf­te (1,88 Prozent). 1661 weite­re Lehre­rin­nen und Lehrer, das sind 1,21 Prozent aller Lehrkräf­te, befin­den sich aktuell in Quaran­tä­ne (Stand Mittwoch). Darüber hinaus wurden 35.444 Schüle­rin­nen und Schüler positiv auf Corona getes­tet. Das sind etwa 2,42 Prozent. 38.502 weite­re Schüle­rin­nen und Schüler (2,62 Prozent) befin­den sich in Quaran­tä­ne. Die Belas­tung der Lehrkräf­te sei hoch, sagte der VBE-Chef: «Die Nerven liegen blank.»