LUBMIN (dpa) — Seit dem Morgen leitet Russland nach Wartungs­ar­bei­ten wieder Erdgas durch die wichti­ge Ostsee-Pipeline. Entge­gen vielen Befürch­tun­gen bewegen sich die Mengen bisher auch im angekün­dig­ten Rahmen.

Russland liefert wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1. Netzda­ten vom Donners­tag­mor­gen lassen darauf schlie­ßen, dass die angekün­dig­ten Mengen nach der Wartung der Ostsee-Leitung einge­hal­ten werden — das Hochfah­ren in den ersten Betriebs­stun­den verläuft nach Angaben des Betrei­bers bisher jeden­falls nach Plan.

Zwischen 7.00 und 8.00 Uhr floss laut der Nord Stream AG Erdgas, das einer Energie von mehr als 29,28 Gigawatt­stun­den (GWh) entsprach. Das war in etwa so viel, wie das Unter­neh­men zuvor zugesagt hatte. In der darauf­fol­gen­den Stunde nahm der Wert nochmals leicht auf knapp 29,3 GWh zu und überstieg auch den für diesen Zeitraum geplan­ten Umfang. Zahlen von beiden Empfangs­punk­ten im vorpom­mer­schen Lubmin zeigten, dass die Werte von 9.00 bis 10.00 Uhr in etwa konstant blieben.

In der ersten Stunde des Gasta­ges, also zwischen 6.00 und 7.00 Uhr, war das Niveau wegen des Hochlaufs noch unter­halb der Ankün­di­gung geblie­ben. Ein Nord-Stream-Sprecher erklär­te, diese Diffe­renz werde mit Mengen verrech­net, die vor den Arbei­ten vor andert­halb Wochen beim Herun­ter­fah­ren noch nach dem eigent­li­chen Liefer­stopp anfie­len. Bis die volle Trans­port­leis­tung erreicht sei, werde es etwas dauern.

Nord Stream teilte am Vormit­tag dann auch offizi­ell mit, man habe «alle geplan­ten Wartungs­ar­bei­ten inner­halb des vorge­se­he­nen Zeitraums erfolg­reich abgeschlos­sen». Die Liefe­run­gen seien wieder aufge­nom­men worden. Die Bundes­netz­agen­tur geht davon aus, dass die Pipeline — wie vor der Unter­bre­chung — zunächst zu etwa 40 Prozent ausge­las­tet wird.

67 Millio­nen Kubik­me­tern statt 167 Millionen

Dies entsprä­che einem tägli­chen Gasvo­lu­men von gut 67 Millio­nen Kubik­me­tern oder einer Energie von etwa 700 GWh. Vor dem Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukrai­ne und den nachfol­gen­den Sanktio­nen des Westens gegen die Russi­sche Födera­ti­on waren zum Beispiel im Dezem­ber pro Tag noch bis zu 167 Millio­nen Kubik­me­ter Gas durch die Leitung gekom­men, bei einer Gesamt­ener­gie von bis zu 1755 GWh.

Es war befürch­tet worden, Moskau könnte nach der zehntä­gi­gen Wartung den Gashahn komplett zulas­sen und so die Energie­kri­se weiter verschär­fen. Mehre­re europäi­sche Länder hatten im Anschluss an die Sankti­ons­ver­hän­gung weniger oder teils gar kein Erdgas mehr erhalten.

Gasprei­se von Liefer­men­ge abhängig

Die Liefer­men­ge in den kommen­den Monaten dürfte große Auswir­kun­gen auf die deutsche Indus­trie, aber auch auf Privat­kun­den haben, weil sie sich aller Voraus­sicht nach auf die Gasprei­se nieder­schlägt. Sie könnte auch ausschlag­ge­bend dafür sein, wie weit Deutsch­land seine Gasspei­cher vor der kalten Jahres­zeit auffül­len kann und ob es zu einer Mangel­la­ge kommt. Kreml­chef Wladi­mir Putin hatte in der Nacht zum Mittwoch vor einer Drosse­lung Ende Juli gewarnt und techni­sche Gründe angeführt. Die Bundes­re­gie­rung hält diese für vorgeschoben.

Den letzten Speicher­stand für die gesam­te Bundes­re­pu­blik gab die Daten­bank des Netzwerks Gas Infra­struc­tu­re Europe für Diens­tag (19. Juli) mit rund 65,1 Prozent an. Im größten deutschen Speicher im nieder­säch­si­schen Rehden waren es nur knapp 34,7 Prozent.

Der Chef der Bundes­netz­agen­tur, Klaus Müller, sagte der Deutschen Presse-Agentur, er sehe trotz der Wieder­auf­nah­me der russi­schen Gaslie­fe­run­gen durch Nord Stream 1 noch keinen Grund zur Entwar­nung. Wenn in den nächs­ten Wochen etwa 40 Prozent der Kapazi­tä­ten der Pipeline ausge­las­tet würden, wären die schlimms­ten Befürch­tun­gen zwar nicht bestä­tigt. Aber Putin habe unlängst Aussa­gen getrof­fen, die auf ein Absin­ken in Richtung 20 Prozent hindeu­ten könnten. «Wir sind Russland momen­tan ausge­lie­fert, weil sie darüber entschei­den, wie viel Gas Nord Stream 1 an uns weiter­lei­tet», so Müller. Umso wichti­ger seien daher Einspa­run­gen und der Bezug aus anderen Quellen.

Bei ihren Progno­se­be­rech­nun­gen geht die Bundes­netz­agen­tur von einem durch­schnitt­li­chen Winter 2022/23 aus. Sie nimmt außer­dem an, dass die ersten eigenen Termi­nals für verflüs­sig­tes Erdgas (LNG) an der Nordsee ab Januar 2023 einsatz­be­reit sind. Falls der Winter jedoch kalt werde und die Termi­nals nicht schnell genug in Betrieb gehen sollten, «müsste das durch zusätz­li­che Einspa­run­gen kompen­siert werden, um eine Gasman­gel­la­ge zu vermei­den bezie­hungs­wei­se zu niedri­ge Füllstän­de im Frühjahr zu vermei­den», warnte Müller.

Auch bei anderen Gasab­neh­mern deute­te sich am Donners­tag zumin­dest vorläu­fig etwas Entspan­nung an. Der italie­ni­sche Versor­ger Eni teilte mit, Russlands Energie­rie­se Gazprom habe ihm eine Erhöhung der tägli­chen Mengen angekün­digt. Itali­en ist ebenfalls stark abhän­gig von dem Energie­roh­stoff — vor dem Krieg kamen knapp 40 Prozent der Impor­te aus Russland. In Deutsch­land entfiel über lange Zeit mehr als die Hälfte des gesam­ten Gasver­brauchs auf russi­sche Quellen.