WIESBADEN (dpa) — Trend­wen­de oder «Ausrei­ßer»? Die Gebur­ten­zif­fer in Deutsch­land ist im vergan­ge­nen Jahr deutlich zurück­ge­gan­gen. Ein Exper­te sieht einen Zusam­men­hang mit der Corona-Pandemie.

Im Jahr 2022 kamen in Deutsch­land 738 819 Kinder zur Welt. Das waren 56 673 oder sieben Prozent Neuge­bo­re­ne weniger als im Jahr 2021, dem gebur­ten­reichs­ten Jahr seit 1997.

Wie das Statis­ti­sche Bundes­amt berich­te­te, sank die zusam­men­ge­fass­te Gebur­ten­zif­fer im Vergleich zum Vorjahr damit um acht Prozent auf 1,46 Kinder je Frau. Das sei der niedrigs­te Stand seit 2013. Im Jahr 2021 hinge­gen war die Gebur­ten­häu­fig­keit deutlich auf 1,58 Kinder je Frau gestiegen.

Martin Bujard, Forschungs­di­rek­tor beim Bundes­in­sti­tut für Bevöl­ke­rungs­for­schung, sieht in den Zahlen für 2022 einen Zusam­men­hang mit der Corona­pan­de­mie, bei der die Impfung in großem Umfang im Jahr 2021 begann. Er gehe davon aus, dass viele Frauen geplan­te Schwan­ger­schaf­ten aufge­scho­ben hätten bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie vollstän­dig geimpft waren, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist empirisch ziemlich eindeu­tig», so Bujard. Ähnli­che Zahlen gebe es etwa auch aus Schwe­den. «Ab Januar gingen die Gebur­ten­ra­ten runter.» Für Bujard zeigt sich damit ein «kluges und gesund­heits­be­wuss­tes Verhal­ten der Frauen mit Impfbereitschaft.»

Auch ein leich­ter Anstieg der Gebur­ten­zah­len im Jahres­ver­lauf und ein erneu­ter Rückgang zum Jahres­en­de lasse sich mit dem Verlauf der Pande­mie erklä­ren: «Der Zeitraum korre­spon­diert mit den Locke­run­gen und Öffnun­gen — da wollten die Leute wieder leben und feiern», sagte der Wissen­schaft­ler mit Blick auf den Geburtenrückgang.

Steigen­de Lebens­hal­tungs­kos­ten Grund für den Rückgang?

Der russi­sche Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne und die steigen­den Lebens­hal­tungs­kos­ten schla­gen sich hinge­gen nicht in der Gebur­ten­ra­te des Jahres 2022 nieder, beton­te Bujard. «Das kann eventu­ell 2023 kommen.» Dann zeige sich auch, ob es sich beim Rückgang der Gebur­ten­zif­fer um eine Trend­wen­de oder einen einma­li­gen «Ausrei­ßer» hande­le. Denn nachdem die Gebur­ten­zif­fer jahrzehn­te­lang um 1,3 bis 1,4 lag, war sie in Deutsch­land — entge­gen dem europäi­schen Trend — ab 2014 auf 1,5 angestie­gen; diesen Pfad hat sie in 2022 wieder verlas­sen, da sie unter 1,5 gefal­len ist.

Damit die Bevöl­ke­rung eines Landes — ohne Zuwan­de­rung — nicht schrumpft, müssten in hoch entwi­ckel­ten Ländern rein rechne­risch etwa 2,1 Kinder je Frau geboren werden.

Deutli­che regio­na­le Unterschiede

Regio­nal gab es nach Angaben des Statis­ti­schen Bundes­amts deutli­che Unter­schie­de. So nahm die Gebur­ten­zif­fer beson­ders stark in Hamburg und Berlin ab, und zwar um jeweils zehn Prozent. In Bremen war der Rückgang mit rund vier Prozent am schwächs­ten. Die höchs­ten Gebur­ten­zif­fern hatten die Frauen in Rhein­land-Pfalz und Nieder­sach­sen mit 1,52 Kindern. Am niedrigs­ten war, wie bereits seit 2017, die Gebur­ten­häu­fig­keit bei den Frauen in Berlin mit 1,25 Kindern. In Westdeutsch­land sank die Gebur­ten­zif­fer im Vorjah­res­ver­gleich von 1,60 auf 1,48 Kinder je Frau, in den ostdeut­schen Flächen­län­dern von 1,54 auf 1,43 Kinder je Frau.

Das durch­schnitt­li­che Alter der Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes war 2022 mit 30,4 Jahren gering­fü­gig niedri­ger als im Jahr zuvor. Das Durch­schnitts­al­ter der Väter beim ersten Kind der Mutter blieb unver­än­dert bei 33,3 Jahren. Unabhän­gig davon, ob es sich um das erste oder ein weite­res Kind handel­te, waren Mütter im Jahr 2022 bei einer Geburt im Durch­schnitt 31,7 Jahre und die Väter 34,7 Jahre alt.