BERLIN (dpa) — Schla­gen, Treten, Spucken: Die erfass­te Zahl der Übergrif­fe auf homose­xu­el­le und trans­ge­schlecht­li­che Menschen in Berlin steigt. Für Betrof­fe­ne gibt es Angebo­te, um sich selbst zu schützen.

Ein fester Schlag gegen die Boxprat­ze, dazu ein lauter «Stopp!»-Schrei. Im Club «Schwuz» in Berlin-Neukölln läuft ein Selbst­ver­tei­di­gungs­kurs für queere Menschen. Der Kurs heißt «Queer­schutz Now». Menschen bezeich­nen sich oft selbst als queer, wenn sie nicht hetero­se­xu­ell sind oder die eigene Geschlechts­iden­ti­tät von dem Geschlecht abweicht, das einem bei der Geburt zugewie­sen wurde.

Wenn Hannah ihre Freun­din küsst, fühlt sie sich nicht immer sicher. «Ich wurde auch schon mal angespuckt», erzählt sie. «Ich wurde schon öfter angepö­belt auf der Straße, aber es wurde nie extrem. Ich bin aber gerne vorbe­rei­tet.» Andere Teilneh­mer haben noch drasti­sche­re Erfah­run­gen mit körper­li­cher und seeli­scher Gewalt gemacht.

«Gerade queere Menschen werden öfter angegrif­fen, einfach nur, weil sie anders sind», sagt Nadine Wöthe. «Zumin­dest anders, als die Dominanz­ge­sell­schaft sie gerne hätte», fügt Valerie Banik hinzu. Die beiden sind die Traine­rin­nen, die den Kurs anlei­ten und selbst viele Jahre Erfah­rung in dem Bereich mitbringen.

Queere Menschen brauchen laut Banik eigene Selbst­ver­tei­di­gungs­kur­se, um sich besser entfal­ten zu können als in Mainstream-Kursen. «Meine Lernfä­hig­keit verbes­sert sich, wenn ich mich sicher fühle. Wenn ich die ganze Zeit darüber nachden­ke, was die Leute von mir denken, geht das nicht.» Wöthe bestä­tigt, dass viele queere Menschen sich in klassisch gemisch­ten Kursen unwohl fühlen. «Ich werde in queeren Clubs ganz oft darauf angespro­chen, ob es da nicht solche Angebo­te gibt. Deswe­gen wollten wir diesen Kurs machen.»

Mehr als 450 homose­xu­el­le- oder trans­feind­li­che Straftaten

Im Jahr 2021 gab es in Berlin laut Senats­ver­wal­tung für Justiz, Vielfalt und Antidis­kri­mi­nie­rung 456 regis­trier­te Straf­ta­ten, die homose­xu­el­len- oder trans­feind­lich waren. Das sei der höchs­te Wert, der jemals erfasst wurde — 2020 waren es 377 Straf­ta­ten, im Jahr 2019 waren es 358. Auch weil diese Zahlen steigen, hat die Berli­ner Polizei zwei Ansprech­per­so­nen für Straf­ta­ten, die gegen queere Menschen gerich­tet sind.

«Die Polizei erfasst nur einen Bruch­teil», sagt Basti­an Finke. Er ist Projekt­lei­ter von «Maneo», einem Anti-Gewalt-Projekt für schwu­le und bisexu­el­le Männer in Berlin. Bis zu 90 Prozent der Straf­ta­ten blieben im Dunkel­feld. «Viele Menschen trauen sich nicht, eine Anzei­ge zu erstat­ten. Zum Beispiel auch, weil sie nicht gelernt haben, sich zu wehren, oder weil dabei trauma­ti­sche Erinne­run­gen hoch kommen.» Es geht um Straf­ta­ten wie Sachbe­schä­di­gung, Zwangs­ver­hei­ra­tung sowie sexuel­le, psychi­sche und körper­li­che Gewalt, bei denen «Maneo» berät.

Ein anderes Problem sieht Finke darin, dass Polizis­ten oft nicht geschult seien, sensi­bel mit der Thema­tik umzuge­hen und nach den Motiven der Täter zu fragen. Das erschwert eine Einord­nung als Hasskri­mi­na­li­tät, um die sich der Staats­schutz kümmert. «Berlin ist da schon sehr gut aufge­stellt.» Trotz­dem seien Selbst­ver­tei­di­gungs­kur­se wichtig, um sich körper­lich und psychisch zu wehren. «Das hilft, eigene Grenzen zu erken­nen, aber auch, um Solida­ri­tät unter­ein­an­der zu formen», so Finke.

Neben «Queer­schutz Now» gibt es in Berlin noch weite­re Projek­te, die Kurse zur Selbst­ver­tei­di­gung anbie­ten — darun­ter «Gaysha» in Kreuz­berg, «Queer­spie­le» in Fried­richs­hain oder «Vorspiel» in Schöne­berg. Trotz­dem gibt es laut Traine­rin Wöthe zu wenig Angebo­te für den Bedarf. Einen Grund sieht sie in mangeln­der Förde­rung durch staat­li­che Stellen.

«Wir wollen alle in ihren Lebens­rea­li­tä­ten abholen»

Das Bezirks­amt Neukölln fördert das Projekt «Queer­schutz Now», die Initia­ti­ve geht auf mehre­re Verbän­de zurück. Veran­stal­tun­gen sind im queeren Club «Schwuz» in Neukölln oder im queeren Jugend­treff «Q*ube», denn es soll auch Kurse für Jugend­li­che unter 17 Jahren geben. «Wir wollen alle in ihren Lebens­rea­li­tä­ten abholen», sagt Banik. Deswe­gen gebe es Angebo­te für Jugend­li­che, Frauen und auch Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund — alle mit queerem Schwerpunkt.

In den Kursen bekommt man vor allem eine Strate­gie vermit­telt: Was kann ich tun, um mich selbst zu schüt­zen? Es geht laut Valerie Banik weniger darum, konkre­te Griffe oder Techni­ken zu lernen, sondern darum, das Bewusst­sein zu schär­fen. Nadine Wöthe ergänzt: «Wir können nicht verspre­chen, dass solche Situa­tio­nen nach dem Kurs nicht mehr passie­ren. Aber wir können den Leuten Handlungs­op­tio­nen geben, um mit diesen Situa­tio­nen umzugehen.»

Von Jonathan Penschek, dpa