WANGEN — Viele erfri­schen­de Gedan­ken zu Europa sind am Freitag bei der Veran­stal­tung zum Europa­tag ausge­tauscht worden. Deutlich wurden unter anderem zwei Dinge: die Partner­schaf­ten zwischen vielen Kommu­nen in Europa werden oft von älteren Semes­tern getra­gen. Aber die junge Genera­ti­on hat ihre Ideen zu Europa und dem einem nachhal­ti­gen Zusammenleben.

So berich­te­te der Bergstei­ger Norrdi­ne Nouar, 33 Jahre alt und in Oberstau­fen lebend, von seinen Expedi­tio­nen unter dem Titel „hiking4europe“. Sie führten ihn auf bisher 42 höchs­te Berge in europäi­schen Ländern und ermög­lich­te dort spannen­de Begeg­nun­gen mit anderen Bergstei­gern. Er erzähl­te von einem Weltbür­ger in Schott­land, der trotz seines weiten Horizonts für den Brexit brann­te. Oder von Griechen, die sich seit der Finanz- und Flücht­lings­kri­se von Europa im Stich gelas­sen fühlen. „Sie haben zugege­ben, dass auch die Griechen selber einen Anteil an den Proble­men haben“, sagte Nouar. „Aber dort sind wir nicht solida­risch in der europäi­schen Familie gewesen.“ Seine Bergstei­ger-Partner traf er zufäl­lig. Zu planen wäre auf die lange Distanz mit allen Unwäg­bar­kei­ten von Verkehr und Witte­rung nicht möglich gewesen, sagte Nouar.

Hannes Aschau­er, Bürger­meis­ter in Achberg und selber jahrzehn­te­lan­ger Bergstei­ger, teilte die Erfah­rung des jungen Mannes, dass man auf den Bergen mit klarem Kopf sehr viele inter­es­san­te Begeg­nun­gen mit anderen Menschen haben kann. Mit Blick auf Europa verwies er auf die Alpen­ver­ei­ne: „Sie haben eine mehr als 100-jähri­ge Geschich­te – eine Zeit in der Europa zweimal in Scher­ben lag und verra­ten wurde.“ Und weil sie Berglern das Übernach­ten grenz­über­grei­fend ermög­li­chen, verbin­den sie auch die Menschen. 

In der von Profes­sor Jörg Wendorff und Maren Kempter moderier­ten Frage­run­de, sagte Nouar, dass sich seine Sicht auf Europa gewan­delt habe. Zum Beispiel sei klarge­wor­den, „wie toll und schüt­zens­wert unsere Werte sind. Insbe­son­de­re in Gesprä­chen auf dem Balkan oder mit einem Ukrai­ner sei ihm klarge­wor­den, warum Europa gebraucht wird, nämlich um genau diese Werte wie Menschen­rech­te, Demokra­tie, Rechts­staat­lich­keit und so weiter zu schüt­zen. Dass in dem noch jungen Projekt Europa auch Fehler gemacht werden, gehöre dazu. „Wir sollten gemein­sam anpacken“, sagte er.

Anpacken ist auch das Thema bei den Lebens­mit­tel­ret­tern. Derzeit entste­hen in Kißlegg und Wangen entspre­chen­de Initia­ti­ven, die verhin­dern sollen, dass wegge­wor­fen wird, was geges­sen werden kann. Dabei soll ausdrück­lich die Konkur­renz zu den Tafeln vermie­den werden, sagte Nadja Valasek, die in Wangen das Projekt starten möchte. Den Rahmen für Valaseks kurzen Beitrag hatte Staats­se­kre­tä­rin im Minis­te­ri­um für Ländli­chen Raum und Verbrau­cher­schutz, Fried­lin­de Gurr-Hirsch gegeben, die viele spannen­de Fakten zum Retten von Lebens­mit­teln auf den Tisch legte. Die Verschwen­dung gesche­he entlang der gesam­ten Wertschöp­fungs­ket­te. Der Anteil der Verbrau­cher liege bei 12 Millio­nen Tonnen oder 61 Prozent. „Wenn man das in Lkw oder Güter­wag­gons rechnet, ist das eine Reihe von Stutt­gart bis Peking“, sagte sie. 

Sie habe deshalb 2018 einen konkre­ten Plan im Regie­rungs­ka­bi­nett zur Reduzie­rung der Lebens­mit­tel­ver­schwen­dung vorge­stellt. In den Blick nahm das Land dabei die Außer-Haus-Verpfle­gung in Kitas, Schule, Mensen oder Betriebs­kan­ti­nen, denn norma­ler­wei­se essen 40 Prozent der Baden-Württem­ber­ger nicht zu Hause. „Die Landes­kan­ti­nen haben seither ihre Abfäl­le um 46 Prozent reduziert“, sagte Gurr-Hirsch. Einge­setzt wurden dabei Berater, die den Großkü­chen zur Seite standen mit Analy­sen und Hinweisen. 

Und schließ­lich hatte sie bei einem Gespräch im Deutsch-Franzö­si­schen Insti­tut in Ludwigs­burg mit dem dorti­gen Leiter die Idee, dass man für dieses europa­wei­te Thema auch die Partner­städ­te gewin­nen könnte. So wurden Pilot­kom­mu­nen festge­legt. Diese Kommu­nen wurden einge­la­den und mit den Bürger­meis­tern eine Absichts­er­klä­rung unter­schrie­ben. Inzwi­schen gebe es auf dieser Ebene eine ganze Reihe von grenz­über­schrei­ten­den Aktivitäten. 

Helfen kann bei der Wegwerf­ver­mei­dung auch eine App mit dem Namen „Too good to go“. Die Teilneh­mer melden sich an und bieten übriges Essen an, zum Beispiel Hotels, deren Frühstück nicht von den Gästen verspeist wurde. So gibt es eine Mahlzeit für kleines Geld. Diese App sei in Frank­reich weiter verbrei­tet als bei uns.

Mit Blick auf Europa plädier­te Gurr-Hirsch für ein Zusam­men­rü­cken. „Jeder kann etwas beitra­gen zu Europa. Wir brauchen einen Auftrieb von unten: Lokal handeln und global denken“, sagte Gurr-Hirsch und fügte hinzu: „Bürger­schaft­li­cher Geist, wie Sie ihn in Wangen haben, ist natür­lich ein Humus für solche Aktivitäten.“

Sie zeigte sich damit als die „Freun­din Wangens“, als die sie von Oberbür­ger­meis­ter Micha­el Lang anfangs begrüßt worden war. 

Staats­se­kre­tä­rin Gurr-Hirsch hatte über all die Jahre das Werden der Landes­gar­ten­schau 2024 in Wangen freund­lich beglei­tet. OB Lang verfolg­te den Abend am PC und wurde ebenso zugeschal­tet wie die schei­den­de Landes­po­li­ti­ke­rin. Pfarre­rin Friede­ri­ke Hönig und dem Organi­sa­ti­ons­team dankte er für die langjäh­ri­ge Arbeit am Thema Europa. 

15 Mal gab es bereits diese Veran­stal­tun­gen, die Fragen des Zusam­men­le­bens in Europa ins Zentrum rücken. Pfarre­rin Hönig erinner­te in ihrer Begrü­ßung auch an André Lazerus, früher Pfarrer in Courbe­voie, der Nachbar­stadt von Wangens Partner­stadt La Garen­ne-Colom­bes. Mit Lazerus hatte sie gemein­sam das Konzept für die Europa­ta­ge entwi­ckelt. Er starb im Novem­ber 2020. Üblicher­wei­se treffen sich die Europa-Inter­es­sier­ten in der Wittwa­is­kir­che, nicht so in diesem Jahr. Pande­mie­be­dingt wurde aus der Stadt­hal­le gestreamt. Das wieder­um ermög­lich­te auch Jane Strantz, der Nachfol­ge­rin von André Lazerus die Teilnah­me. Sie wurde herzlich begrüßt von Pfarrer Albrecht Knoch, der den zweiten Teil des Abends moderierte.

Info: Da kurz vor Beginn die Leitung zusam­men­brach, wurde die Veran­stal­tung von dem anwesen­den Technik­team „Matthi­as Häußler – Film & Bild“ geret­tet, indem es kurzer­hand den Stream über eine häufig für Video­kon­fe­ren­zen genutz­te Platt­form im Inter­net platzier­te. Der Stream wird jetzt bereit gestellt unter www.wangen.de/fairtradetown.