Van Morri­son gilt vielen als der größte weiße Soul- und R&B‑Sänger. Auch mit 75 Jahren ist der kauzi­ge nordiri­sche Musiker mit der einma­li­gen Stimme ein echter Workaho­lic. Selbst in Zeiten des Corona-Virus will Morri­son jetzt Konzer­te geben.

London (dpa) — Vor seinem 75. Geburts­tag überrasch­te Van Morri­son seine Fans mit einer sehr kurzfris­ti­gen Konzer­t­an­kün­di­gung. Anfang Septem­ber will der nordiri­sche Sänger an zwei Abenden in London auftre­ten — vor reduzier­tem Publi­kum und mit Mindest­ab­stand, versteht sich.

Auch nach über 50 Jahren im Geschäft hat der fleißi­ge Musiker, dessen optische Marken­zei­chen der Hut, die Sonnen­bril­le und der meist dunkle Anzug sind, keine Lust, musika­lisch kürzer zu treten. Allein in den letzten fünf Jahren veröf­fent­lich­te er stolze sieben Alben.

Im März hatte Van Morri­son in einem seiner selte­nen Inter­views der Zeitung «The Indepen­dent» gesagt, er werde «langsam etwas faul» und wolle wieder anfan­gen zu schrei­ben. Eine wahrnehm­ba­re länge­re Pause gab es für ihn kaum, seit sein Vater dem damals Elfjäh­ri­gen eine Gitar­re kaufte und so eine große Musiker­kar­rie­re in Gang setzte.

Im zarten Alter von zwölf Jahren gründe­te Morri­son, der am 31. August 1945 in Belfast geboren wurde, seine erste Band. Nach der Gitar­re lernte er Saxofon zu spielen. Später kam der Gesang. «Ursprüng­lich war ich gar kein Sänger, aber niemand anders konnte singen», sagte Morri­son dem «Indepen­dent», «so wurde ich dann der Leadsänger.»

Zu seinen Vorbil­dern zählten legen­dä­re Künst­ler wie Mahalia Jackson, Ray Charles und Muddy Waters genau­so wie Woody Guthrie und Hank Williams. «Nach einer Weile hab ich meinen eigenen Stil entwi­ckelt», so Morri­son. «Niemand will eine Kopie von einer Kopie, man muss der Musik seinen eigenen Stempel aufdrü­cken.» Das ist dem Eigen­bröt­ler, der mitun­ter als stur und verschwie­gen wahrge­nom­men wird, gelun­gen. Vielen gilt Morri­son als der beste weiße Rhythm-&-Blues-Sänger.

Auf die musika­li­sche Entwick­lung des jungen George Ivan Morri­son hatte auch die riesi­ge Schall­plat­ten­samm­lung des Vaters maßgeb­li­chen Einfluss. Von Blues, Gospel und Jazz bis zu Folk und Country — so ziemlich jedes Genre, das sich Morri­son später als Künst­ler zu eigen machte, lief damals in seinem Eltern­haus auf dem Plattenspieler.

Die Schule beende­te Morri­son ohne Abschluss. Sein Geld verdien­te er erstmal als Fenster­put­zer. Später sang er darüber. Doch schnell trug sein musika­li­sches Talent erste Früch­te. Mit der Band The Monarchs tourte «Van The Man» schon als Teenager durch Deutsch­land. Die Gruppe spiel­te in US-Solda­ten­clubs und Musik­knei­pen. In Köln nahm sie sogar eine erste Single auf. Als Bezah­lung gab es damals Cognac.

Später gelan­gen Morri­son mit der von ihm gegrün­de­ten Band Them trotz mehre­rer Beset­zungs­wech­sel in zwei Jahren einige Hits, darun­ter «Here Comes The Night», «Mystic Eyes» und die Cover­ver­si­on des Blues­klas­si­kers «Baby, Please Don’t Go». Deren B‑Seite «Gloria» wurde ein Überra­schungs­er­folg Jimi Hendrix, Patti Smith und die Doors, die zeitwei­se Vorband von Them waren, cover­ten «Gloria» später.

Nach der Trennung von Them kam Morri­sons Solokar­rie­re schlep­pend in die Gänge, obwohl er mit «Brown Eyed Girl» (1967) einen Hit hatte. Sein erstes Soloal­bum «Blowin’ Your Mind!» erschien ohne Morri­sons Wissen. Und vor der Veröf­fent­li­chung von «Astral Weeks» (1968) war der junge Sänger fast pleite. Doch dieses zweite Album änder­te alles. Die progres­si­ve Mischung aus Folk, Jazz und Soul klang zwar völlig anders als das launi­ge «Brown Eyed Girl», doch sie wurde ein Erfolg. «Astral Weeks» gilt als wegwei­send für Morri­sons Karrie­re und taucht bis heute in den Besten­lis­ten renom­mier­ter Musik­ma­ga­zi­ne auf.

Der Millio­nen­sel­ler «Moond­ance» machte den Iren zwei Jahre später endgül­tig zum Star. Fortan produ­zier­te er ein Album nach dem anderen. «It’s Too Late To Stop Now», ein Zusam­men­schnitt von Konzer­ten, die der schweig­sa­me Künst­ler in Kalifor­ni­en und London gegeben hatte, ist ein Klassi­ker unter den Live-Schei­ben der 70er Jahre. Wenn ihm sein Publi­kum zujubelt, bekom­me er das kaum mit, erzähl­te Morri­son dem «SZ Magazin», denn: «Wenn ich Musik mache, bin ich ganz woanders.»

In den späten 80er Jahren wurde das Multi­ta­lent ungewollt Liefe­rant für Schmu­se­songs, die auf Sound­tracks roman­ti­scher Komödi­en lande­ten, wie «Someone Like You» oder die Hitbal­la­de «Have I Told You Lately». Ein Missver­ständ­nis, denn der dreifa­che Vater, der zweimal geschie­den ist, hatte letzte­re als Gebet geschrie­ben. Doch der Song funktio­niert eben auch als irdisches Liebes­lied. Privat ist Morri­son spiri­tu­ell, einer Religi­on gehört er nach eigener Aussa­ge aber nicht an.

Auch ein Album mit tradi­tio­nel­len irischen Volks­lie­dern nahm er 1988 auf. Seinen kelti­schen Wurzeln blieb der nimmer­mü­de Sänger, der in den 70er Jahren lange in Kalifor­ni­en lebte, stets treu. Und immer wieder experi­men­tier­te Sir Ivan, der 2015 von Queen Eliza­beth II. geadelt wurde, ohne Rücksicht auf gängi­ge musika­li­sche Konven­tio­nen. Meistens gefiel es seinem Publi­kum. Zuletzt entzück­te er mit «Three Chords & The Truth» Kriti­ker und Fans gleichermaßen.

Dem Musik­ma­ga­zin «Uncut» gestand Morri­son 2017, er habe keine Lust mehr, Alben zu machen. «Ich habe Spaß daran, die Stücke aufzu­neh­men» sagte er, «aber dann dieses Abmischen und der ganze Rest, das ist so langwei­lig.» Trotz­dem hat der «König der irischen Soulsän­ger» («Rolling Stone») als Solokünst­ler mittler­wei­le 41 Studio­al­ben in seiner offizi­el­len Disco­gra­phie. Und die Chancen, dass Van Morri­son in den kommen­den Jahren noch weite­re veröf­fent­licht, stehen gut.