HAMBURG (dpa/tmn) — Immer mehr Laufschuh-Herstel­ler werben mit mehr Rücksicht auf die Natur. Sind das echte Bemühun­gen oder nur Marke­ting-Verspre­chen? Der Branchen­ex­per­te Urs Weber sagt: Das müsse man stets genau prüfen.

Viele Sport­ar­ten sind durch die coronabe­ding­ten Einschrän­kun­gen kaum möglich. Doch Laufen geht immer. Und so haben unzäh­li­ge Menschen seit Pande­mie­be­ginn mit dem Joggen begonnen.

Die Nachfra­ge nach Laufschu­hen sei 2020 teils explo­diert, sagt Urs Weber von der Fachzeit­schrift «Runners World». «Möchte man Corona etwas Positi­ves abver­lan­gen, dann, dass viele Menschen die Bewegung und darüber auch das Laufen entdeckt haben — und viele werden dauer­haft dabei bleiben», sagt der Branchenexperte.

Was auch zu beobach­ten ist und mit der Pande­mie in Zusam­men­hang stehen dürfte: Die Läufe­rin­nen und Läufer zieht es immer mehr in die Natur, also in Wälder und Parks, wo sie mehr für sich sind.

Bei den Herstel­lern wieder­um zeigt sich immer mehr das grüne Gewis­sen, wie Weber im Inter­view sagt. Das liegt natür­lich auch daran, dass sich das gut verkau­fen lässt.

Frage: In Corona-Zeiten wollen die Menschen raus und eher für sich sein, auch beim Training. Also ab in den Wald statt auf den Sport­platz. Beobach­ten Sie das auch mit Blick aufs Laufen?

Urs Weber: Ja, auf jeden Fall. Jeder, der sich in der Natur bewegt, beobach­tet das. Egal, wo man unter­wegs ist in den Parks und Wäldern: Man sieht deutlich mehr Läufe­rin­nen und Läufer. Das zeigen auch die Zahlen des Laufschuh­ver­kaufs — die haben 2020 insge­samt enorm zugelegt, aber am stärks­ten im Trail­run­ning-Segment, also bei den profi­lier­ten Schuhen: hier um 20 Prozent gegen­über dem Vorjahr. Das ist ein gewal­ti­ger Sprung. Das zeigt, dass das Laufen in der Natur noch belieb­ter gewor­den ist.

Frage: Ab ins Grüne also. Das scheint auch für viele Herstel­ler zu gelten — jeden­falls bieten immer mehr von ihnen grüne, also nachhal­ti­ge­re Model­le an. Oder täuscht das?

Weber: Nachhal­tig­keit ist ein großes Thema. Als wir uns vor einigen Jahren inten­siv mit dem Thema grünes Laufen ausein­an­der­ge­setzt haben, bekamen wir relativ wenig Input von den Herstel­lern. Das hat sich geändert und gerade 2021 scheint sich das stark zu beschleu­ni­gen. Deutlich mehr Herstel­ler sprin­gen auf den Nachhal­tig­keits­zug. Nicht nur mit Marke­ting, sondern auch mit Produkten.

Frage: Haben Sie Beispiele?

Weber: Es gab etwa einen großen Vorstoß vom Herstel­ler ON aus der Schweiz. Die haben einen ähnli­chen Schritt gemacht wie zuvor schon der franzö­si­sche Herstel­ler Veja und haben mit dem Cyclo­ne einen komplett recycel­ba­ren Schuh vorge­stellt. Der soll nicht normal verkauft, sondern in einem Abo-Modell angebo­ten werden — das soll im Septem­ber markt­reif sein. Das heißt: Wenn sie verschlis­sen sind, sendet man die Schuhe zurück zum Herstel­ler. Der recycelt sie, während der Kunde ein neues Modell zugeschickt bekommt.

Salomon wieder­um hat den neuen Schuh Index.01 am Markt. Der soll nach dem Ende seiner Lebens­dau­er komplett zerleg­bar und damit recycel­bar sein. Hört sich banal an, ist bei Laufschu­hen aber eine komple­xe Aufga­be, weil sie aus sehr unter­schied­li­chen Kompo­nen­ten bestehen. Das sind zwei Beispie­le — und da werden wir noch viel sehen in den kommen­den Jahren.

Frage: Manche Herstel­ler wollen mit ökolo­gi­schen Materia­li­en wie recycel­tem Plastik, Algen oder pflanz­li­chen Fasern punkten — doch hilft das am Ende wirklich der Natur?

Weber: Man muss sehr vorsich­tig sein damit, was wirklich nachhal­tig ist, oder wo Herstel­ler nur aus Gründen des Marke­tings auf den Zug aufsprin­gen. Ob die Verwen­dung eines bestimm­ten Materi­als oder ein Ansatz zur Wieder­ver­wer­tung wirklich nachhal­tig ist, muss man immer genau prüfen. Auf der anderen Seite sollte man das Bemühen anerken­nen und zum Beispiel auch loben, wenn sich Firmen etwa ambitio­nier­te CO2-Ziele setzen.

Frage: Was sind die größten Fehler beim Laufschuh-Kauf?

Weber: Dass die Menschen sich zu sehr von techni­schen Eigen­schaf­ten eines Schuhs beein­dru­cken lassen und es sich zu kompli­ziert machen. Das wichtigs­te Krite­ri­um ist und bleibt die Passform: Schuh anzie­hen und sich drin wohlfüh­len, das zählt. Ob ein Elite­l­äu­fer in Schuhen mit Carbon­plat­ten neue Rekord­zei­ten läuft, davon sollte man sich bei der Auswahl ebenso wenig blenden lassen wie von ausge­fal­le­nen Designs.

Inter­view: Tom Nebe, dpa