MÜNCHEN (dpa) — Nach der Landung eines Green­peace-Aktivis­ten mitten auf dem EM-Spiel­feld der Münch­ner Arena hagelt es Kritik und Fragen nach der Sicher­heit im Stadi­on. Der Pilot selbst hat bei der Aktion womög­lich großes Glück gehabt.

Die umstrit­te­ne Green­peace-Aktion mit einem Motor­schirm im Münch­ner EM-Stadi­on hat massi­ve Kritik und eine Diskus­si­on um die Sicher­heit während der Fußball-Europa­meis­ter­schaft ausge­löst. Scharf­schüt­zen der Polizei hatten den heran­flie­gen­den Piloten nach Darstel­lung von Bayerns Innen­mi­nis­ter Joachim Herrmann (CSU) vom Mittwoch kurz vor Anpfiff des EM-Auftakt­spiels Frank­reich gegen Deutsch­land ins Visier genom­men — aber bewusst nicht geschos­sen. Ein Sprecher der Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on sagte, die Polizei sei über die Aktion infor­miert worden, kurz bevor sich der Motor­schirm dem Stadi­on näherte.

Als Konse­quenz kündig­te Herrmann im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in München an: «Die bayeri­sche Polizei wird bei den kommen­den drei EM-Spielen die Luftüber­wa­chung verstär­ken, insbe­son­de­re zusam­men mit der Hubschrau­ber­staf­fel». Über dem Stadi­on gilt bei den EM-Spielen laut Innen­mi­nis­te­ri­um ein totales Flugver­bot. «Es hätte ganz anders ausge­hen können, auch für den Piloten», beton­te Herrmann. «Wenn die Polizei zur Einschät­zung gelangt wäre, dass es sich um einen Terror­an­schlag handelt, hätte er das mit dem Leben bezah­len müssen.»

Ein 38 Jahre alter Mann aus Pforz­heim in Baden-Württem­berg war kurz vor dem Anpfiff des Fußball­spiels am Diens­tag­abend auf dem Platz im Münch­ner EM-Stadi­on gelan­det und hatte im Lande­an­flug zwei Männer verletzt, die ins Kranken­haus kamen. Ein 42 Jahre alter Ukrai­ner, der im Stadi­on gearbei­tet hatte, befand sich auch am Tag danach noch wegen Verlet­zun­gen am Kopf und Hals im Kranken­haus. Ein 36 Jahre alter Franzo­se, der ebenfalls nicht als Zuschau­er, sondern zum Arbei­ten im Stadi­on war, war ebenfalls am Kopf verletzt worden, konnte das Kranken­haus aber am Tag danach schon wieder verlassen.

Der Motor­schirm-Pilot wurde festge­nom­men, sein Flugge­rät sicher­ge­stellt. Gegen ihn wird wegen verschie­de­ner Delik­te ermit­telt, darun­ter schwe­rer Eingriff in den Flugver­kehr, Hausfrie­dens­bruch und gefähr­li­che Körper­ver­let­zung. Am Mittwoch war der Mann nach Polizei­an­ga­ben schon wieder auf freiem Fuß, weil keine Haftgrün­de gegen ihn vorla­gen. Nach Angaben des Münch­ner Polizei­spre­chers Andre­as Franken hat er sich bislang nicht zu der Aktion geäußert.

Es sei Aufga­be der Bundes­wehr und der Polizei, den Luftraum zu überwa­chen, sagte Franken. «Wir konnten den Anflug kurz vorher bereits wahrneh­men und haben in einer Erstein­schät­zung schon auch erkannt, dass es sich hier um eine Aktion von einer Umwelt­or­ga­ni­sa­ti­on handelt.»

Die Polizei wurde nach Angaben eines Green­peace-Sprechers über die Protest­ak­ti­on des Motor­schirm-Piloten infor­miert. Unmit­tel­bar vor der Aktion sei Beamten inner­halb und außer­halb des Stadi­ons Bescheid gegeben worden, sagte Sprecher Benja­min Stephan am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Ein Münch­ner Polizei­spre­cher bestä­tig­te dies nicht und sagte, darüber habe seine Behör­de keine Informationen.

Als Grund für die Landung nannte Green­peace-Sprecher Stephan ein defek­tes Handgas-Steuer­ge­rät an dem Motor, den der Pilot auf dem Rücken getra­gen hatte. Der 38-Jähri­ge war den Angaben nach auf einer Wiese unweit des Stadi­ons gestar­tet und bis zur Landung im Stadi­on etwa vier bis fünf Minuten in der Luft. Der Mann sei ein Aktivist der Umwelt­or­ga­ni­sa­ti­on und ein sehr erfah­re­ner Motorschirmpilot.

Der Green­peace-Sprecher kündig­te an, sich bei den beiden verletz­ten Männern entschul­di­gen zu wollen. Kontakt­ver­su­che seien aber bis zum Mittwoch­nach­mit­tag geschei­tert. Die Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on habe darüber hinaus jegli­chen geplan­ten Protest auf Eis gelegt — zumin­dest so lange, bis der Vorfall aufge­klärt sei.

Ursprüng­lich wollte der Pilot nach Angaben von Green­peace aus der Luft einen großen gelben Ball in die Arena sinken lassen — als Protest gegen Volks­wa­gen, einen Sponsor der Fußball-EM. Dabei geriet der Motor­schirm in eine Stahl­seil­kon­struk­ti­on am Stadi­on­dach und kam ins Trudeln, so dass er in einer steilen Kurve ins Stadi­on herab­sank. Green­peace entschul­dig­te sich noch am Abend für die Aktion. Am Mittwoch hieß es, der Pilot wollte gar nicht im Stadi­on landen, sondern ledig­lich den Ball ins Stadi­on schwe­ben lassen.

Bundes­weit hagel­te es aus der Politik Kritik: «Das war eine unver­ant­wort­li­che Aktion, die Menschen in große Gefahr gebracht hat», erklär­te Regie­rungs­spre­cher Steffen Seibert in Berlin. Die Aktion sei zwar «Gott sei Dank einiger­ma­ßen glimpf­lich» ausge­gan­gen, was auch «eine große Erleich­te­rung» sei. Trotz­dem sollten die Verant­wort­li­chen «schon selbst­kri­tisch den Sinn solcher Aktio­nen hinter­fra­gen, bei denen es um maxima­les Spekta­kel für maxima­le PR-Wirkung» gehe.

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder (CSU) kündig­te Konse­quen­zen an. «Das wird genau behan­delt, das sind klare Verstö­ße», sagte er dem Bayeri­schen Rundfunk. «Das ist kein Kavaliersdelikt.»

Mehre­re Politi­ker, darun­ter auch der frühe­re Unions­frak­ti­ons­chef Fried­rich Merz (CDU) und Bayerns Innen­mi­nis­ter, forder­ten, die Gemein­nüt­zig­keit von Green­peace auf den Prüfstand zu stellen: «Diese Aktion von Green­peace war extrem unver­ant­wort­lich und indis­ku­ta­bel. Ich sage ganz klar, sie war von vornher­ein völlig unver­tret­bar, nicht nur, weil sie jetzt schief gegan­gen ist. Hier sind Leib und Leben vieler Menschen in Gefahr geraten. Das ist absolut rücksichts­los gegen­über Zuschau­ern und allen Betei­lig­ten im Stadi­on», sagte Herrmann. «Das hat mit Umwelt­schutz nichts zu tun.»

Diese Überschrei­tung, die für die Münch­ner Polizei der nahezu einzi­ge Wermuts­trop­fen an einem ansons­ten sehr fried­li­chen Fußball­abend war, wird womög­lich nicht nur für den Piloten, sondern auch für Green­peace Konse­quen­zen haben. «Das Kommis­sa­ri­at 43 ermit­telt, das für die Bearbei­tung von politisch motivier­ten Organi­sa­ti­ons­de­lik­ten zustän­dig ist», sagte Polizei­spre­cher Franken. «Aktuell haben wir eine Person.» Ob sich die Zahl der Beschul­dig­ten noch erwei­te­re, sei Gegen­stand der Ermitt­lun­gen. Eine Spreche­rin des Deutschen Ultra­leicht­flug­ver­bands kündig­te an, im Falle einer Verur­tei­lung des Piloten den Entzug seiner Lizenz zu prüfen.