Der Impfstoff von Biontech und Pfizer hat in Großbri­tan­ni­en alle Hürden genom­men. Schon in wenigen Tagen sollen die ersten Briten geimpft werden. Europa wartet noch auf diese wichti­ge Entscheidung.

LONDON (dpa) — Großbri­tan­ni­en will in wenigen Tagen die ersten Menschen im Land gegen Corona impfen lassen. Die briti­sche Aufsichts­be­hör­de für Arznei­mit­tel erteil­te am Mittwoch die Zulas­sung für den Impfstoff des Mainzer Unter­neh­mens Biontech und seines US-Partners Pfizer.

Damit ist Großbri­tan­ni­en der erste Staat weltweit, der das Vakzin freigibt. Man erwar­te den Einsatz «mehre­rer Millio­nen Dosen» bis zum Ende des Jahres, sagte Premier Boris Johnson am Mittwoch im Londo­ner Parla­ment und sprach von «fantas­ti­schen Neuig­kei­ten». Bereits kommen­de Woche sollen die ersten 800.000 Dosen des Impfstoff BNT162b2 im Land zur Verfü­gung stehen.

«Wir erwar­ten, den Impfstoff in den nächs­ten paar Tagen nach Großbri­tan­ni­en auslie­fern zu können», bestä­tig­te Biontech-Mitgrün­de­rin Özlem Türeci auf einer Presse­kon­fe­renz. Die Unter­neh­men haben mit Großbri­tan­ni­en eine Liefe­rung von insge­samt 40 Millio­nen Impfstoff­do­sen für Dezem­ber und im kommen­den Jahr getrof­fen. «Die erste Notfall­zu­las­sung für einen Covid-19-Impfstoff ist ein bahnbre­chen­der wissen­schaft­li­cher Meilen­stein», hieß es von den Unter­neh­men. Ihr Impfstoff wurde auf Basis von Daten aus einer großen klini­schen Studie mit Zehntau­sen­den Proban­den zugelassen.

Für die EU will die Europäi­sche Arznei­mit­tel-Agentur Ema noch im Dezem­ber über eine Zulas­sungs­emp­feh­lung für den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer entschei­den. Bis 29. Dezem­ber soll ein Ergeb­nis der Prüfung vorlie­gen, hieß es von der Agentur. «Aber diese Zeitplä­ne könnten sich im Laufe des Bewer­tungs­ver­fah­rens ändern», sagte Ema-Chefin Emer Cooke. Deutsch­land und die EU haben bereits einen Rahmen­ver­trag über den Kauf von bis zu 300 Millio­nen Dosen des Impfstoffs abgeschlossen.

«Da die derzeit geprüf­ten Covid-Impfstof­fe Millio­nen von Menschen in der EU verab­reicht werden, sind wir uns der riesi­gen Verant­wor­tung nur allzu bewusst, unsere Beurtei­lung und Empfeh­lun­gen korrekt zu erstel­len, damit wir die europäi­sche Bevöl­ke­rung schüt­zen können», sagte Cooke. Die wissen­schaft­li­che Bewer­tung werde unabhän­gig erfol­gen und allein von Sicher­heit, Quali­tät und Wirksam­keit der Impfstof­fe abhän­gen — «nichts sonst».

Die schnel­le­re Zulas­sung in Großbri­tan­ni­en sei durch den Brexit möglich gewesen, beton­te Gesund­heits­mi­nis­ter Hancock. «Wir waren in der Lage, eine Entschei­dung zu treffen dank der briti­schen Aufsichts­be­hör­de, einer Weltklas­se-Behör­de, und mussten nicht das Tempo der Europä­er gehen, die sich ein bisschen langsa­mer bewegen», sagte er dem Sender Times Radio. Die Sicher­heits­checks seien alle durch­ge­führt und die gleichen Prozes­se durch­lau­fen worden. «Aber wir waren wegen des Brexits in der Lage, den Ablauf zu beschleu­ni­gen.» Die briti­sche Zulas­sungs­be­hör­de wies jedoch darauf hin, die Zulas­sung sei nach EU-Bestim­mun­gen getrof­fen worden, nach denen sich London bis zum Ende der Brexit-Übergangs­pha­se weiter richten müsse.

Auch der deutsche Botschaf­ter in London, Andre­as Michae­lis, erinner­te die Briten daran, dass der nun zugelas­se­ne Impfstoff keine Erfin­dung aus Großbri­tan­ni­en war. «Warum ist es so schwer, diesen Schritt nach vorne als großar­ti­ge inter­na­tio­na­le Anstren­gung und Erfolg anzuer­ken­nen?», schrieb der Diplo­mat auf Twitter. Obwohl die deutsche Firma Biontech einen entschei­den­den Beitrag geleis­tet habe, sei das keine natio­na­le Geschich­te, sondern «europä­isch und trans­at­lan­tisch». In den meisten Ländern der Welt steht noch kein Impfstoff für die breite Anwen­dung zur Verfü­gung. Unter anderem China und Russland impfen aber schon seit einiger Zeit bestimm­te Bevölkerungsgruppen.

Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn sagte nach einer Konfe­renz mit seinen EU-Amtskol­le­gen, es gehe bei den Impfstof­fen nicht darum, «irgend­wie erster zu sein». Entschei­dend sei, siche­re und wirksa­me Impfstof­fe zu bekom­men, was für das Vertrau­en wichtig sei. Er bekräf­tig­te, dass die EU bewusst eine gemein­sa­me Beschaf­fung von Impfstof­fen für alle 27 Mitglied­staa­ten vorbe­rei­te. Dies sei im Sinne europäi­scher Solida­ri­tät wichtig. Zudem setze man nicht nur «auf ein Pferd», sondern paral­lel auf mehre­re Impfstoffkandidaten.

Der sogenann­te mRNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech hat nach umfang­rei­chen Testrei­hen eine Wirksam­keit von rund 95 Prozent, wie die Herstel­ler mitge­teilt hatten. Das Vakzin funktio­nie­re über alle Alters­grup­pen und andere demogra­fi­sche Unter­schie­de hinweg ähnlich gut und zeige praktisch keine ernsten Neben­wir­kun­gen. Die Tests hatten den Schutz vor einer Covid-19-Erkran­kung untersucht.

Großbri­tan­ni­en ist stark von der Pande­mie getrof­fen und viele Klini­ken haben ihre Kapazi­täts­gren­ze erreicht. Für den Impfstart stehen 50 Kranken­häu­ser sowie Impfzen­tren bereit. Den Trans­port und die Lagerung des Vakzins ist eine Heraus­for­de­rung, denn das Mittel muss bei minus 70 Grad gelagert werden. Dass es durch das drohen­de Brexit-Chaos zu Verzö­ge­run­gen kommen könnte, wies Biontech zurück.

Mit den 40 Millio­nen bestell­ten Impfstoff­do­sen können 20 Millio­nen Menschen geschützt werden, da das Mittel zweimal verab­reicht werden muss. Großbri­tan­ni­en hat knapp 67 Millio­nen Einwoh­ner. Auch für die aussichts­rei­chen Impfstoff­kan­di­da­ten des US-Konzerns Moder­na sowie der Univer­si­tät Oxford und des Pharma­kon­zerns Astra­ze­ne­ca werden derzeit die Zulas­sun­gen geprüft.

Johnson warnte seine Mitbür­ger davor, angesichts der positi­ven Neuig­kei­ten nun zu früh auf eine Impfung zu hoffen. Die Verant­wort­li­chen des briti­schen Gesund­heits­diens­tes NHS nannten das anste­hen­de Impfpro­gramm «einen Marathon, keinen Sprint». Zunächst sollen beson­ders gefähr­de­te Perso­nen, also Kranke und Alte, aber auch Mitar­bei­ter in Pflege­hei­men und im Gesund­heits­sek­tor geimpft werden.