STUTTGART (dpa) — Der konser­va­ti­ve Grüne Kretsch­mann wollte unbedingt wieder mit der CDU regie­ren. Nun hat er seinen Willen, die CDU dankt es ihm mit Entge­gen­kom­men. Doch Grün-Schwarz muss wegen Geldman­gels an vielen Stellen Abstri­che machen — auch beim Klimaschutz.

Sieben Wochen nach der Landtags­wahl in Baden-Württem­berg haben sich Grüne und CDU auf eine Neuauf­la­ge ihres Regie­rungs­bünd­nis­ses geeinigt. Die grün-schwar­ze Koali­ti­on unter Führung von Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann will den Südwes­ten zum «Klima­schutz­land» machen, doch der coronabe­ding­te Geldman­gel in der Landes­kas­se erschwert den Start. Kretsch­mann sagte der Deutschen Presse-Agentur in Stutt­gart: «Ich bin mit dem Koali­ti­ons­ver­trag zufrie­den. Wir haben uns in allen Kernbe­rei­chen geeinigt.» Es sei ein «echter Aufbruch», auch wenn man wegen der schlech­ten Finanz­la­ge Abstri­che machen müsse. Am Mittwoch soll der Koali­ti­ons­ver­trag der Öffent­lich­keit vorge­stellt werden, nächs­ten Samstag stimmen dann Partei­ta­ge von Grünen und CDU darüber ab.

Südwest-CDU wollte die Koali­ti­on unbedingt

Der bundes­weit einzi­ge grüne Regie­rungs­chef Kretsch­mann kann danach in seine dritte Amtszeit starten. Der 72 Jahre alte wertkon­ser­va­ti­ve Politi­ker hatte sich vehement für eine Wieder­auf­la­ge der Koali­ti­on mit der CDU stark gemacht, die bei der Landtags­wahl klar unter­le­gen war. Dabei gab es in den Reihen der Grünen viele Stimmen für eine Ampel-Koali­ti­on mit SPD und FDP. Knapp fünf Monate vor der Bundes­tags­wahl gab sich die Union um Landes­chef und Bundes­vi­ze Thomas Strobl größte Mühe, um die Gesprä­che zu einem erfolg­rei­chen Ende zu bringen. Dafür musste die CDU aller­dings eine Reihe von schmerz­haf­ten Zugeständ­nis­sen machen, vor allem beim Klima­schutz, in der Asyl- und Verkehrs­po­li­tik. So stimm­te die CDU der Einfüh­rung einer Lkw-Maut auf Landes- und Kommu­nal­stra­ßen zu.

Kretsch­mann geht bei Minis­te­ri­en auf CDU zu

Strobl zeigte sich trotz­dem zufrie­den. «Wir haben in einem guten Klima, in einer richtig guten Atmosphä­re die Gesprä­che mit dem grünen Partner sehr konstruk­tiv geführt», sagte der Innen­mi­nis­ter der dpa. «Wir bilden eine Koali­ti­on, die ihrer Zeit voraus sein will — da ist es doch ein gutes Zeichen, dass wir sehr zügig und vor dem Zeitplan unser neues Kapitel für Baden-Württem­berg ausbuch­sta­biert haben.» Kretsch­mann schloss nicht aus, ein weite­res Minis­te­ri­um zu schaf­fen. «Möglich ist alles», sagte der Grüne. Ein weite­res Ressort belas­te den Haushalt nicht beson­ders. Auf diese Weise könnten die Grünen 6 Fachmi­nis­te­ri­en beset­zen und die CDU 5. Ansons­ten hätte es ein Verhält­nis von 6:4 gegeben.

Grün-Schwarz muss Abstri­che und Stufen­plä­ne machen

Grüne und CDU haben sich vorge­nom­men, in Klima­schutz, schnel­les Inter­net und Nahver­kehr sowie die Innova­ti­ons­för­de­rung zu inves­tie­ren. Hinzu kommen Pläne für mehr Stellen bei Polizei und Schulen. Doch im Koali­ti­ons­ver­trag soll so gut wie jedes Vorha­ben, das Kosten nach sich zieht, mit einem Haushalts­vor­be­halt belegt werden. Zudem soll es fast überall Stufen­plä­ne geben. Das heißt, man finan­ziert den Einstieg und füttert dann nach, wenn die Steuer­quel­len wieder stärker sprudeln. Die Zeiten des «fröhli­chen Geldaus­ge­bens» seien vorbei, hieß es in Grünen-Kreisen. Nach den jüngs­ten Progno­sen fehlen in den nächs­ten drei Jahren jeweils etwa vier Milli­ar­den Euro.

Drohen fünf Jahre Koalitionsverhandlungen?

Das birgt Konflikt­po­ten­zi­al für die kommen­de Legis­la­tur­pe­ri­ode, da die Partner auch unter­schied­li­che Priori­tä­ten haben. So dringen die Grünen auf kräfti­ge Inves­ti­tio­nen in den Klima­schutz, während die CDU auf mehr Polizei­stel­len pocht. Die beiden Partner einig­ten sich aber auf ein Sofort­pro­gramm, mit dem die Corona-Folgen für Schulen, Kultur und den Einzel­han­del in den Innen­städ­ten abgefe­dert werden sollen. Das Volumen solle erst nach der Regie­rungs­bil­dung und der Steuer­schät­zung am 12. Mai festge­legt werden. Für das geplan­te Sofort­pro­gramm, mit dem die coronabe­ding­ten Lernrück­stän­de von Kindern und Jugend­li­chen ausge­gli­chen werden sollen, wollten Grüne und CDU ursprüng­lich bis zu 120 Millio­nen Euro ausgeben.

Kretsch­mann will Aufschwung der Erneu­er­ba­ren einleiten

Die erste Priori­tät der Grünen ist der Klima­schutz und der Ausbau der Erneu­er­ba­ren Energien. Häusle­bau­er sollen zu Solar­an­la­gen verpflich­tet werden. Die Grünen wollen auch die Windkraft schnel­ler ausbau­en, nachdem es zuletzt gestockt hatte. 1000 neue Anlagen sollen entste­hen, unter anderem in den Staats­wäl­dern. Kretsch­mann sagte dazu der dpa: «Wir müssen ja insbe­son­de­re den Ausbau der Windkraft und der Photo­vol­ta­ik forcie­ren. Dafür brauchen wir kein Geld, weil wir die nicht selber bauen.» Das bezahl­ten Inves­to­ren und Bürge­rin­nen und Bürger. «Insofern wird der Aufschwung einge­lei­tet von uns, und das ist keine Geldfrage.»

Dem Umwelt­ver­band BUND reicht das nicht. Die Landes­vor­sit­zen­de Sylvia Pilars­ky-Grosch kriti­sier­te den geplan­ten Haushalts­vor­be­halt beim Klima­schutz. Das Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt in dieser Woche habe klar gezeigt, dass der Kampf gegen den Klima­wan­del stark beschleu­nigt werden müsse. «Wir fordern die Landes­re­gie­rung auf, Klima­schutz mutig anzupa­cken und nicht unter Vorbe­halt zu stellen.»

Bei Maut dreht CDU bei

Die Grünen setzten auch durch, dass gut integrier­te Flücht­lin­ge künftig schwie­ri­ger abgescho­ben werden können. Nach anfäng­li­chem Wider­stand ließ sich die CDU auch darauf ein, eine Mautpflicht für Lastwa­gen auf Landes- und Kommu­nal­stra­ßen einzu­füh­ren. Kretsch­mann habe eindrück­lich erläu­tert, warum Lkw über 7,5 Tonnen auf Dauer große Schäden an den Straßen anrich­te­ten, hieß es. Bisher gibt es die Lkw-Maut nur für die Nutzung von Autobah­nen und vierspu­ri­gen Bundes­stra­ßen. Grün-Schwarz will sich zunächst dafür einset­zen, dass die Maut bundes­weit kommt. Sollte dies nicht gelin­gen, soll sie nur im Land einge­führt werden.

FDP spricht von «Koali­ti­on der ungedeck­ten Schecks»

FDP-Frakti­ons­chef Hans-Ulrich Rülke kriti­sier­te, Grüne und CDU vertag­ten die wichtigs­ten Entschei­dun­gen auf den Tag der Steuer­schät­zung. «Das ist eine Koali­ti­on der ungedeck­ten Schecks.» Und: «Darüber hinaus hat die CDU nun auch ihre letzte Basti­on geräumt und ist auch noch bei der Einfüh­rung einer Lkw-Maut auf Landes- und Bundes­stra­ßen umgefallen.

Von Henning Otte, dpa