STUTTGART (dpa/lsw) — Eigent­lich schien alles in Butter: Der Koali­ti­ons­ver­trag ist fertig, fehlen nur noch die Minis­te­ri­en und das Perso­nal. Doch Grüne und die CDU behar­ken sich stunden­lang über den Zuschnitt der Ressorts. Am Ende kommt Kretsch­mann dem Junior­part­ner entgegen.

Die künfti­ge grün-schwar­ze Koali­ti­on in Baden-Württem­berg hat sich trotz schlech­ter Haushalts­la­ge auf die Schaf­fung eines zusätz­li­chen Minis­te­ri­ums verstän­digt. Die CDU werde das neue Ressort führen, das für Bauen, Wohnen und Raumpla­nung zustän­dig sein soll, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Diens­tag­abend am Rande der Beratun­gen der Partei­spit­zen in Stutt­gart. Damit können die Grünen nach ihrem klaren Wahlsieg sechs Fachres­sorts beset­zen, die CDU weiter­hin fünf. Aller­dings muss für das neue Minis­te­ri­um vor allem das CDU-geführ­te Wirtschafts­res­sort Zustän­dig­kei­ten abgeben. Fest steht demnach nun auch, dass die Grünen erstmals im Südwes­ten das Kultus­mi­nis­te­ri­um übernehmen.

Premie­re: Grüne führen Kultusministerium

An diesem Mittwoch soll der Koali­ti­ons­ver­trag und der Zuschnitt der Minis­te­ri­en offizi­ell vorge­stellt werden. Die neuen Minis­te­rin­nen und Minis­ter sollen erst nächs­te Woche bekannt gegeben werden. Der Ort der Präsen­ta­ti­on an diesem Mittwoch soll zeigen, wie innova­tiv das erneu­er­te grün-schwar­ze Bündnis ist. Die Spitzen um Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) und CDU-Chef Thomas Strobl erläu­tern ihr Werk und den Zuschnitt der Minis­te­ri­en auf dem Forschungs­cam­pus Arena2036 in Stutt­gart. Der Campus ist eine öffent­lich-priva­te Platt­form für Innova­tio­nen in Mobili­tät und der Produk­ti­on der Zukunft. Am Samstag müssen die Partei­ta­ge von Grünen und CDU dem Koali­ti­ons­ver­trag noch zustim­men. Und am Mittwoch in einer Woche will sich der 72-jähri­ge Kretsch­mann zum dritten Mal zum Regie­rungs­chef wählen lassen.

Kretsch­mann: Verhand­lun­gen sind «kein Zuckerschlecken»

Die Verhand­lun­gen über die Minis­te­ri­en und deren Zuschnitt in der L‑Bank in Stutt­gart dauer­ten deutlich länger als ursprüng­lich geplant. Eigent­lich wollten die Spitzen um Kretsch­mann und CDU-Landes­chef Thomas Strobl schon nach gut einer Stunde fertig sein. Doch die künfti­gen Partner verhak­ten sich. Kretsch­mann und Strobl mussten mehrfach unter vier Augen sprechen, es gab weite­re kleine­re Runden, bis man sich dann gegen 23.15 Uhr im größe­ren Kreis zusam­men­setz­te und nach zehn Minuten eine Lösung hatte. Nach Abschluss der Runde sagte Kretsch­mann der dpa, die Verhand­lun­gen seien «kein Zucker­schle­cken» gewesen. Zu dem offen­sicht­li­chen Zwist mit der CDU sagte er: «Man ist nie allein auf der Welt.»

Ein 6:5 statt 6:4 — CDU kann Gesicht wahren

Der Regie­rungs­chef hatte schon am Wochen­en­de erklärt, er könne sich trotz der corona-bedingt schlech­ten Haushalts­la­ge vorstel­len, ein weite­res Minis­te­ri­um zu schaf­fen. Das Land hat bisher zehn Fachres­sorts, Grüne und CDU führen jeweils fünf — das Staats­mi­nis­te­ri­um von Kretsch­mann nicht mitge­rech­net. Nach dem klaren Wahlsieg der Grünen war erwar­tet worden, dass sie künftig mehr Ressorts beanspru­chen. In Partei­krei­sen hieß es schon länger, Grün-Schwarz könnte ein weite­res Minis­te­ri­um schaf­fen, damit das Verhält­nis nicht 6 zu 4 ausfällt, sondern nur 6 zu 5.

Kretsch­manns Staats­mi­nis­te­rin dürfte ins Kultus­res­sort umziehen

Bisher sitzen die Grünen im Finanz‑, Umwelt‑, Verkehrs‑, Wissen­schafts- und Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um. Die wollen die Ökos auch gern behal­ten. Die CDU hat bisher die Ressorts für Inneres, Kultus, Agrar, Wirtschaft und Justiz. Es hieß schon länger, die Grünen wollten dieses Mal das Kultus­mi­nis­te­ri­um überneh­men, es ist mit einem Etat von 13 Milli­ar­den Euro das finan­zi­ell gewich­tigs­te. Da sich Minis­te­rin Susan­ne Eisen­mann nach ihrem Schei­tern als CDU-Spitzen­kan­di­da­tin aus der Politik zurück­zieht, muss es ohnehin neu besetzt werden. Als chancen­reichs­te Kandi­da­tin gilt Staats­mi­nis­te­rin There­sa Schop­per (60), die früher bayeri­sche Grünen-Chefin war.

Überra­schungs­kan­di­dat für Finanzministerium

Bei der Beset­zung des Finanz­mi­nis­te­ri­ums bahnt sich eine Überra­schung an. Heißer Kandi­dat ist der 37-jähri­ge Grünen-Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te Danyal Bayaz aus Heidel­berg. Der frühe­re Unter­neh­mens­be­ra­ter hat sich als Finanz­ex­per­te und Grünen-Vertre­ter im Unter­su­chungs­aus­schuss zum Skandal um den Finanz­dienst­leis­ter Wirecard einen Namen gemacht. Bayaz habe schon signa­li­siert, die Nachfol­ge der schei­den­den Ressort­che­fin Edith Sitzmann überneh­men zu wollen, hieß es. Die «Stutt­gar­ter Zeitung» und die «Stutt­gar­ter Nachrich­ten» hatten schon berich­tet, dass Bayaz im Gespräch sei.

Unter­stel­lers Nachfol­ge soll eine Frau antreten

Ins Umwelt­res­sort soll eine Frau einzie­hen. Für die Nachfol­ge des schei­den­den Minis­ters Franz Unter­stel­ler werden Frakti­ons­vi­ze Thekla Walker und die Karls­ru­her Umwelt­bür­ger­meis­te­rin Betti­na Lisbach gehan­delt. Die Stutt­gar­te­rin Walker war von 2011 bis 2016 Landes­vor­sit­zen­de der Grünen. Lisbach saß von 2016 bis 2019 im Landtag. Der bishe­ri­ge Bevoll­mäch­tig­te beim Bund, Andre Baumann, der zwischen­durch als Minis­ter gehan­delt wurde, könnte demnach auf seinen alten Posten als Umwelt-Staats­se­kre­tär zurückkehren.

Bei CDU wohl drei Männer, zwei Frauen

Auf CDU-Seite bleibt Strobl Innen­mi­nis­ter, Agrar­mi­nis­ter Peter Hauk soll ebenfalls seinen Posten behal­ten. Die Chancen von Wirtschafts­mi­nis­te­rin Nicole Hoffmeis­ter-Kraut (CDU), im Amt zu bleiben, sind wieder gestie­gen. Die Sigma­rin­ger Landrä­tin Stefa­nie Bürkle, die in den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen eine zentra­le Rolle gespielt hatte, will dem Verneh­men nach nicht nach Stutt­gart wechseln. Für das neue Baures­sort wird Frakti­ons­vi­ze Nicole Razavi genannt. Neuer Justiz­mi­nis­ter könnte Wolfgang Reinhart werden, der am Diens­tag seinen Posten als Frakti­ons­chef aufgab. Als sein Nachfol­ger wurde Manuel Hagel gewählt.

«Klima­schutz­land» mit Haushaltsvorbehalt

Grüne und CDU wollen den Südwes­ten zum «Klima­schutz­land» machen, doch der coronabe­ding­te Geldman­gel in der Landes­kas­se erschwert den Start. Nach ihrer Wahlschlap­pe musste die Union eine Reihe von Zugeständ­nis­se machen. Kretsch­mann hatte erklärt, es sei ein «echter Aufbruch», auch wenn man wegen der schlech­ten Finanz­la­ge Abstri­che machen müsse. So sollen alle kostspie­li­gen Vorha­ben wie etwa im Klima­schutz, beim Ausbau des schnel­len Inter­nets oder mehr Polizei- und Lehrer­stel­len mit einem Haushalts­vor­be­halt verse­hen und nach und nach reali­siert werden.

Opposi­ti­on spottet über Grün-Schwarz: Rakete ohne Treibstoff

Die Opposi­ti­on von SPD und FDP sieht in Grün-Schwarz eine Koali­ti­on der «ungedeck­ten Schecks», die ihre Konflik­te auf die lange Bank schie­be. SPD-Chef Andre­as Stoch sagte zum Ort der Präsen­ta­ti­on Arena 2036, in der auch über Raumfahrt geforscht wird: «Wer statt Politik nur noch Überschrif­ten macht, der hofft wahrschein­lich auch, dass eine schöne Kulis­se über einen schwa­chen Vertrag hinweg­täuscht.» Grün-Schwarz schrän­ke die eigenen Ziele schon vor dem Start der Koali­ti­on ein und «recht­fer­tigt Still­stand mit dem Hinweis auf das liebe Geld. Das ist wie ein Rakete, die man ohne Treib­stoff auf die Start­ram­pe stellt: Das fliegt nicht, das qualmt nur.»

FDP-Frakti­ons­chef Hans-Ulrich spotte­te: «Auch die innova­tivs­te Raketen­tech­nik macht aus einem Rohrkre­pie­rer keine Marsmis­si­on.» Nach der Landtags­wahl Mitte März hatten die Grünen auch mit SPD und FDP eine Ampel-Koali­ti­on sondiert, doch am Ende entschie­den sich die Ökos auf Kretsch­manns Drängen hin doch für eine Neuauf­la­ge des grün-schwar­zen Bündnisses.

Von Henning Otte, dpa