BERLIN (dpa) — Die Nachfol­ge von Baerbock und Habeck an der Partei­spit­ze wird neu bestimmt. Auf einem Partei­tag lassen viele Grüne ihrem Frust über die EU-Klassi­fi­zie­rung von Atomener­gie als nachhal­tig freien Lauf.

Mit Neuwah­len ihrer Führungs­rie­ge wollen die Grünen den Wechsel in die Bundes­re­gie­rung vollenden. Beim digita­len Partei­tag heute unter dem Motto «Wurzeln für die Zukunft» wollen die Delegier­ten am Nachmit­tag unter anderem ein neues Spitzen­duo wählen.

Als wahrschein­li­che Nachfol­ger von Annale­na Baerbock und Robert Habeck gelten die Partei­lin­ke Ricar­da Lang und der Realo Omid Nouri­pour. Lang schal­tet sich wegen eines positi­ven Corona-Tests digital zu.

Zur Abstim­mung steht auch eine viel disku­tier­te Satzungs­än­de­rung. Der Bundes­vor­stand möchte die Mindest­an­zahl von Partei­mit­glie­dern, die für die Stellung von Anträ­gen für Partei­ta­ge nötig sind, hochset­zen. Hinter­grund sind Erfah­run­gen etwa beim Partei­tag im Juni, vor dem die Partei­füh­rung ausgie­big damit beschäf­tigt war, Kompro­miss­lö­sun­gen für zunächst mehr als 3300 Änderungs­an­trä­ge zu finden.

Am Veran­stal­tungs­ort im Berli­ner Velodrom ist nur eine überschau­ba­re Zahl von Spitzen­grü­nen präsent. Die mehre­ren Hundert Delegier­ten stimmen online ab. Die Wahlen für Vorstand, Partei­rat und andere Gremi­en müssen in der Folge noch per Brief bestä­tigt werden.

Güne Jungend

Der schei­den­de Partei­chef Habeck stimm­te seine Partei am Freitag erst einmal auf Kompro­mis­se als Teil der Bundes­re­gie­rung ein. «Kompro­mis­se sind die Kunst von Politik», sagte Habeck, der in der Ampel-Koali­ti­on mit SPD und FDP Bundes­wirt­schafts- und Klima­schutz­mi­nis­ter ist. Sie bedeu­te­ten aber nicht den Abschied von Idealen. «Wir können jetzt tatsäch­lich Wirklich­keit gestalten.»

Der Bundes­spre­cher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, sagte: «Wir sind jetzt vielleicht vier Jahre in einem Ampel-Bündnis, aber viel wichti­ger ist das Bündnis mit der Zivil­ge­sell­schaft.» Dafür bräuch­ten die Grünen eine mutige Partei­füh­rung, die auch einmal den Konflikt mit den Koali­ti­ons­part­nern suche. Die Grüne Jugend werde das «Schar­nier zwischen Regie­rung und Zivil­ge­sell­schaft» sein.

Den Delegier­ten rief Dzienus zu: «Lasst uns den Protest von Fridays for Future, der Seebrü­cke und den Gewerk­schaf­ten nicht nur laut auf die Straße bringen, lasst uns ihn in den nächs­ten Jahren ganz konkret in Regie­rungs­han­deln bringen.» Das könne die Basis dafür schaf­fen, «dass wir in vier Jahren nicht wieder vor einer Ampel stehen, sondern dass wir in vier Jahren links überho­len, und zwar mit Schmackes».

Baerbock, die in der neuen Regie­rung Außen­mi­nis­te­rin ist und ihr Amt als Partei­che­fin abgibt, sagte, auch wenn feminis­ti­sche Außen­po­li­tik, Klima­au­ßen­po­li­tik und die Zusam­men­ar­beit in den inter­na­tio­na­len Organi­sa­tio­nen für die Grünen sehr wichtig seien, müsse die neue Regie­rung zunächst auf aktuel­le Heraus­for­de­run­gen reagie­ren. «Wir stehen an der Seite der Ukrai­ne bei Sicher­heit, Vertei­di­gung, aber vor allem bei der Frage, die wirtschaft­li­che Stabi­li­tät aufrecht­zu­hal­ten», beton­te sie.

Plan für die Zunkunft

Der baden-württem­ber­gi­sche Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann sagte, die Grünen müssten in Zukunft unbedingt neue Wähler­schich­ten erschlie­ßen. Er nutzte seinen Video-Auftritt für eine Abrech­nung mit dem Bundes­tags­wahl­kampf. «Im Wahlkampf haben wir uns zu klein gemacht», stell­te er fest. Wirtschafts­fra­gen und Arbeits­plät­ze hätten nicht genug im Mittel­punkt gestan­den, die Grünen seien als «Ergän­zungs­par­tei» wahrge­nom­men worden.

Keinen Erfolg hatte ein Antrag, die Anschaf­fung bewaff­ne­ter Drohnen in der aktuel­len Legis­la­tur­pe­ri­ode auszu­schlie­ßen. SPD, Grüne und FDP hatten im Novem­ber in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag verein­bart, eine Bewaff­nung von Drohnen zu ermög­li­chen. Der Antrag wurde mit 335 Nein-Stimmen abgelehnt. 245 Delegier­te sprachen sich für den Vorschlag aus, 48 Delegier­te enthiel­ten sich. Die Befür­wor­ter führten unter anderem an, dass späte­re Regie­run­gen die Einsatz­re­geln für die Verwen­dung solcher unbemann­ten Flugge­rä­te ändern könnten. Auch ein Antrag, der eine Arbeits­grup­pe mit der Aufar­bei­tung des Bundes­tags­wahl­kampfs beauf­tra­gen wollte, fand keine Mehrheit.

Ein Vorstoß, die zwischen den Ampel-Partei­en verein­bar­te Beschaf­fung eines Nachfol­ge­sys­tems für das Kampf­flug­zeug Torna­do zu verzö­gern, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Das Nachfol­ge­mo­dell für die überal­ter­te Torna­do-Flotte der Bundes­wehr soll zur Nuklea­ren Teilha­be einge­setzt werden. Das Nato-Abschre­ckungs­kon­zept sieht vor, dass Verbün­de­te US-Atombom­ben ins Ziel tragen und dafür im Ernst­fall Zugriff auf die Waffen bekommen.

Große Mehrheit fand kurz vor Mitter­nacht ein Antrag, der sich gegen die EU-Einstu­fung von Atomener­gie als nachhal­tig richte­te. Mit Einord­nung verschie­de­ner Energie­for­men als grün in der sogenann­ten Taxono­mie sollen Inves­to­ren eine Klassi­fi­zie­rung an die Hand bekom­men. Bundes­re­gie­rung, Bundes­tags­frak­ti­on und Bundes­vor­stand sollen nun die Möglich­keit einer Klage prüfen.