STUTTGART (dpa) — Kaum jemand bei den Grünen hat so viele Gegner wie Boris Palmer. Vor allem Partei­lin­ke wünsch­ten sich nach Rassis­mus­vor­wür­fen seinen Rauswurf. Doch nun gibt es einen Kompro­miss mit dem Querkopf.

Tübin­gens Oberbür­ger­meis­ter und Partei­re­bell Boris Palmer hat seinen Rauswurf bei den Grünen vorerst abgewen­det, muss seine Mitglied­schaft aber bis Ende 2023 ruhen lassen.

Knapp ein Jahr nach dem Beschluss für ein Ordnungs­ver­fah­ren wegen Tabubrü­chen und Rassis­mus­vor­wür­fen verstän­dig­ten sich die Südwest-Grünen und der 49-Jähri­ge am Wochen­en­de auf diesen Kompro­miss und vermie­den somit ein langes Gezer­re. Palmer verbes­ser­te mit dem schnel­len Vergleich wohl auch seine Chancen bei der OB-Wahl in der Univer­si­täts­stadt im Herbst, bei der er als unabhän­gi­ger Kandi­dat antritt. Jedoch gab es noch am Wochen­en­de neue Verstim­mun­gen über die Frage, ob Palmer mit dem Vergleich nun bestraft worden sei oder nicht.

Palmer verstieß gegen Partei-Grundsätze

Das zustän­di­ge Schieds­ge­richt in Stutt­gart schlug am Samstag nach einer Verhand­lung vor, dass Palmer wegen verschie­de­ner Verstö­ße «gegen Grund­sät­ze und Ordnung der Partei» seine Mitglied­schaft bis Ende 2023 ruhen lassen solle. Es verzich­te­te darauf, Palmers Provo­ka­tio­nen als partei­schä­di­gen­des Verhal­ten einzu­stu­fen. Noch am Abend erklär­te er sich mit dem Vergleich einver­stan­den. Der Landes­vor­stand beriet am Sonntag und votier­te einstim­mig für den Kompro­miss. Der sieht zudem vor, dass die Partei und Palmer im nächs­ten Jahr darüber sprechen wollen, wie er «zukünf­tig kontro­ver­se inner­par­tei­li­che Meinun­gen äußern könnte unter Beach­tung der Grund­sät­ze und Ordnung der Partei». Auch der Bundes­vor­stand begrüß­te den Kompromiss.

Grüne sehen Schuldeingeständnis

Die Südwest-Grünen bestehen darauf, dass der Vergleich das Verhal­ten Palmers sanktio­nie­re. «Mit der Einigung auf das Vergleichs­an­ge­bot hat Boris Palmer anerkannt, dass er gegen die Grund­sät­ze und die Ordnung der Partei versto­ßen hat», erklär­ten die beiden Grünen-Landes­chefs Lena Schwel­ling und Pascal Haggen­mül­ler. «Das ist ein wichti­ges Zeichen, auch für all dieje­ni­gen in der Partei, die in den vergan­ge­nen Jahren immer wieder durch diese Debat­ten aufge­rie­ben wurden.» Palmer hat bei den Partei­lin­ken viele erbit­ter­te Gegner. Nun sei klar: «Boris Palmer hat die Grenzen dessen überschrit­ten, was wir als Partei aushal­ten müssen.» Mit dem Vergleich könne sich die Partei wieder ganz auf die inhalt­li­che Arbeit konzentrieren.

Palmers Verspre­chen im Fall einer OB-Wiederwahl

Palmer reagier­te auf Facebook: «In Überzeu­gung und Taten bleibe ich ohnehin grün.» Das Wesen eines Vergleichs sei, «dass man sich nicht in vollem Umfang durch­setzt». Er versprach, im Fall einer Wieder­wahl in Tübin­gen wäre er ab Anfang 2024 wieder einer der wenigen grünen OB im Südwes­ten, «auf die sich die Partei unein­ge­schränkt stützen kann». Kurz vor der Verhand­lung hatte der Landes­vor­stand angekün­digt, Palmers Kandi­da­tur in Tübin­gen gegen die offizi­el­le grüne Bewer­be­rin Ulrike Baumgärt­ner als weite­ren Ausschluss­grund in das Verfah­ren einzu­spei­sen. Mit dem Vergleich ist auch das passé.

Palmers Anwalt Rezzo Schlauch kriti­sier­te aller­dings, es sei «irrefüh­rend» davon zu sprechen, sein Mandant sei sanktio­niert worden. Palmer stimme zu, seine Mitglieds­rech­te eine Zeit lang ruhen zu lassen. «Er wird also nicht bestraft, sondern trägt seinen Teil dazu bei, den Konflikt zu befrie­den», beton­te Schlauch. Im Gegen­zug müsse der Landes­vor­stand hinneh­men, «dass er mit seinem Ansin­nen, meinen Mandan­ten aus der Partei zu entfer­nen, geschei­tert ist».

Sein größter Ausrut­scher auf Facebook

Zurück zur Vorge­schich­te: Auf einem Landes­par­tei­tag Anfang Mai 2021 beschlos­sen die Grünen ein Ausschluss­ver­fah­ren gegen Palmer. Letzter Auslö­ser war ein Facebook-Post Palmers über den frühe­ren deutschen Fußball-Natio­nal­spie­ler Dennis Aogo, in dem der OB das sogenann­te N‑Wort benutzt. Mit diesem Begriff wird heute eine früher in Deutsch­land gebräuch­li­che rassis­ti­sche Bezeich­nung für Schwar­ze umschrie­ben. Palmer beteu­er­te, seine Äußerung sei ironisch gemeint gewesen. Im Novem­ber beantrag­te der Landes­vor­stand den Partei­aus­schluss. Die damali­gen Landes­chefs Sandra Detzer und Oliver Hilden­brand erklär­ten: «Für jeman­den, der mit Rassis­mus koket­tiert und Ressen­ti­ments schürt, ist bei uns kein Platz.» Darauf formier­ten sich aber auch Unter­stüt­zer Palmers und verwie­sen auf seine Leistun­gen als Klima­schüt­zer in der Unistadt.

Von Henning Otte, dpa