BERLIN/WIESBADEN (dpa) — Infla­ti­on und explo­die­ren­de Energie­prei­se sorgen für drama­ti­sche Verän­de­run­gen im Einkaufs­ver­hal­ten. Im Juni brachen die Verkäu­fe im Einzel­han­del real um 8,8 Prozent ein. Das gab es seit 28 Jahren nicht.

Die hohe Infla­ti­on und die Angst vor den explo­die­ren­den Heizkos­ten sorgt in Deutsch­land mitten im Sommer für ein eisiges Konsum­kli­ma. Egal ob Lebens­mit­tel oder Texti­li­en — es wurde im Juni deutlich weniger einge­kauft als noch vor einem Jahr. Auch der Online­han­del blieb von der Kaufzu­rück­hal­tung nicht verschont, wie das Statis­ti­sche Bundes­amt am Montag mitteil­te. Und eine rasche Besse­rung ist nach Einschät­zung des Handels­ver­ban­des Deutsch­land (HDE) nicht in Sicht.

Schlech­te Geschäfte

Tatsäch­lich sind die Zahlen drama­tisch. Im Juni lagen die Umsät­ze im deutschen Einzel­han­del nach Angaben des Statis­ti­schen Bundes­am­tes infla­ti­ons­be­rei­nigt — also real — um 8,8 Prozent unter dem Vorjah­res­ni­veau. «Das ist der größte Rückgang zum Vorjah­res­mo­nat seit Beginn der Zeitrei­he 1994», berich­te­te die Behör­de am Montag. Einschließ­lich Preis­er­hö­hun­gen (nominal) nahm der Umsatz aller­dings nur um 0,8 Prozent ab. Die Diffe­renz zwischen den nomina­len und realen Ergeb­nis­sen spiege­le die hohen Preis­stei­ge­run­gen im Einzel­han­del wider, die das Konsum­kli­ma spürbar beein­träch­tig­ten, erläu­ter­te die Behörde.

Düste­re Aussichten

Und eine rasche Besse­rung der Kauflau­ne ist nicht zu erwar­ten. Nach einer aktuel­len HDE-Umfra­ge sind die Menschen in Deutsch­land derzeit bei Einkäu­fen und Anschaf­fun­gen so zurück­hal­tend wie lange nicht mehr. Auch in den kommen­den drei Monaten sei mit einer schwa­chen Konsum­stim­mung zu rechnen, fasst der Verband das Ergeb­nis seines monat­lich erstell­ten Konsum­ba­ro­me­ters zusammen.

Angesichts von Ukrai­ne-Krieg, Infla­ti­on und großen Unsicher­hei­ten für die künfti­gen Entwick­lun­gen würden die Menschen bei ihren Ausga­ben zuneh­mend vorsich­tig. «Die Konsum­stim­mung ist im Keller», sagte ein HDE-Sprecher. Hinzu komme, dass sich die eigenen Einkom­mens­er­war­tun­gen im Vergleich zum Vormo­nat verschlech­tert hätten und somit weniger Spiel­raum für Konsum­ak­ti­vi­tä­ten oder den Ausbau von Erspar­nis­sen bestehe. Erst vor kurzem hatte eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge des Verban­des ergeben, dass inzwi­schen mehr als ein Viertel der Bevöl­ke­rung (27 Prozent) große Angst hat, mit dem Geld nicht mehr auszukommen.

Licht und Schat­ten im Textilhandel

Beson­ders hart traf die Kaufzu­rück­hal­tung im Juni den Textil­han­del. Dessen Umsät­ze lagen sogar um 10,1 Prozent unter dem Vorjah­res­ni­veau. Doch relati­vier­te der Sprecher des Handels­ver­ban­des Textil Schuhe Leder­wa­ren (BTE), Axel Augus­tin, den Rückgang etwas. Der Juni 2021 sei wegen der Nachhol­ef­fek­te nach dem monate­lan­gen Lockdown im Modehan­del sehr umsatz­stark gewesen. Die Latte für die Branche habe deshalb sehr hoch gelegen. Dennoch räumte auch Augus­tin ein: «Im Moment ist die Konsum­stim­mung relativ schlecht. Die Leute halten sich auch beim Kauf von Beklei­dung zurück.»

Die Unter­schie­de in der Branche sind nach seinen Worten aller­dings groß. Vergleichs­wei­se gut sei die Situa­ti­on in mittel­stän­di­schen Modehäu­sern und Fachge­schäf­ten, deren eher gut situier­te Kunden kaum oder gar nicht unter den aktuel­len Preis­stei­ge­run­gen litten. Je mehr die Kunden eines Händlers jedoch ihr Geld zusam­men­hal­ten müssten, desto eher bestehe die Gefahr, dass auf den Beklei­dungs­kauf verzich­tet werde. Juli und August seien im Modehan­del aber ohnehin umsatz­schwa­che Monate. «Entschei­dend wird der Septem­ber. Da werden wir sehen, wie die Verbrau­che­rin­nen und Verbrau­cher reagie­ren. Ob sie zurück­schre­cken, wenn ein neuer Mantel ohne Rabatt gekauft werden muss», sagte er.

Im Lebens­mit­tel­han­del wird wieder auf den Cent geachtet

Im Lebens­mit­tel­han­del lagen die Umsät­ze im Juni real um 7,2 Prozent unter dem Vorjah­res­ni­veau. Super­märk­te und Discoun­ter hatten in der Pande­mie davon profi­tiert, dass viele Veran­stal­tun­gen und Kneipen­be­su­che ausfie­len und häufig im Homeof­fice gearbei­tet wurde. Um es wenigs­tens zu Hause schön zu haben, griffen viele Menschen 2020 und 2021 beim Lebens­mit­tel­ein­kauf tiefer in die Tasche. Man gönnte sich etwas. Vor allem den Super­märk­ten bescher­te dies kräfti­ge Umsatzzuwächse.

Doch das ist vorbei. Jetzt wird wieder auf den Cent geschaut. Nach Daten des Markt­for­schers GfK wird häufi­ger zu Sonder­an­ge­bo­ten gegrif­fen, es wird öfter beim Discoun­ter geshop­pt und statt Marken­ar­ti­kel liegen gerne wieder die Eigen­mar­ken der Handels­ket­ten in den Einkaufs­wa­gen. Auf den einen oder anderen Einkauf werde auch schlicht verzich­tet, um Geld zu sparen, beobach­te­ten die Marktforscher.

Ende des Höhen­flu­ges im Onlinehandel

Und selbst der Inter­net­han­del, der in der Corona-Pande­mie geboomt hatte, musste nach Angaben des Statis­ti­schen Bundes­am­tes zuletzt eine Umsatz­ein­bruch hinneh­men. Mit einem Rückgang von 15,1 Prozent gegen­über Juni 2021 wurde den Angaben zufol­ge das stärks­te Minus binnen Jahres­frist seit 1994 verzeich­net. Für den Stell­ver­tre­ten­den Haupt­ge­schäfts­füh­rer des E‑Com­mer­ce-Branchen­ver­ban­des bevh, Martin Groß-Alben­hau­sen, ist diese Entwick­lung aller­dings auch ein Zeichen dafür, was für eine große Rolle der Online­han­del inzwi­schen im Alltag spielt. «So normal der E‑Commerce für die Menschen gewor­den ist, so wenig kann er sich der weitrei­chen­den Störung des Konsum­kli­mas, wenn nicht der Gesamt­wirt­schaft, entzie­hen», sagte Groß-Alben­hau­sen kürzlich.

Von Friede­ri­ke Marx, Matthi­as Arnold und Erich Reimann, dpa