GENF (dpa) — Endlich Urlaub: Hotels sind voll und damit kehren Unsit­ten wie das Beset­zen von Sonnen­lie­gen am frühen Morgen zurück. Und das könnte in diesem Jahr beson­ders proble­ma­tisch werden.

Wer kennt nicht die Geschich­ten von frühmor­gens am Hotel­pool: Sobald die Anlage öffnet, stürzen Dutzen­de Urlau­be­rin­nen und Urlau­ber los und beset­zen mit Handtü­chern Sonnenliegen.

Bloß erstmal die besten Plätze sichern, dann gemüt­lich frühstü­cken oder gar nochmal ins Bett. Haupt­sa­che, das Terri­to­ri­um ist abgesteckt, auch wenn man erst Stunden später zum Sonnen­ba­den kommt. «Handtuch­krieg» heißt das. Das Phäno­men ist zwar uralt, aber in diesem Jahr könnte es beson­ders viel Ärger auslösen.

«Die Menschen haben durch die Corona-Pande­mie lange auf ihren Urlaub gewar­tet und haben vielleicht noch mehr als vorher das Gefühl, sie müssten alles aus dem Urlaub heraus­ho­len», sagt Touris­mus-Exper­te Alexis Papathan­as­sis. «In vielen Urlaubs­län­dern gibt es aber einen Fachkräf­te­man­gel in der Hotel­le­rie, da wird es Einschrän­kun­gen bei den Dienst­leis­tun­gen geben. Wenn die Leute deshalb schon unzufrie­den sind, gewin­nen kleine Ärger­nis­se wie besetz­te Sonnen­lie­gen zusätz­lich an Bedeu­tung.» Papathan­as­sis, Rektor der Hochschu­le Bremer­ha­ven und Profes­sor für Betriebs­wirt­schafts­leh­re, Wirtschafts­in­for­ma­tik und Touristik/Seetouristik, hat das Phäno­men erforscht.

Einsatz der Pool-Polizei

Der Frühsport in Badelat­schen gehört auf Ferien­in­seln wie Mallor­ca oder Tenerif­fa auch 2022 zu den Badefe­ri­en. Ein Hotel auf Tenerif­fa hat deshalb einen «Pool-Sheriff» im Einsatz, wie es in einem Video auf TikTok zeigt: Der räumt die reser­vier­ten Sonnen­lie­gen morgens wieder leer, weil Reser­vie­run­gen vor zehn Uhr in der Anlage verbo­ten sind. Unter­legt ist der Sheriff-Einsatz mit einem Lied von Bonnie Tyler «Holding out for a Hero» — «Ich warte auf einen Helden». Das Hotel reagier­te damit auf das Video einer Urlau­be­rin, die eine Aufräum­ak­ti­on dort gefilmt hatte. «Klasse, ich habe so die Nase voll von Leuten, die die Regeln missach­ten und niemand unter­nimmt etwas!», schrieb jemand zum Video der Urlauberin.

Für Hotels ist das Ganze ein kniff­li­ges Problem. Sie wollen ja rundum zufrie­de­ne Gäste — dazu gehören auch die, die sich morgens an dem Run auf die Sonnen­lie­gen betei­li­gen. Ferien­ver­an­stal­ter und Hotel­ket­ten reagie­ren zugeknöpft auf Anfra­gen, wie sie damit umgehen. «Zum Thema „Reser­vie­ren von Pool-Liegen“ gibt es keinen Leitfa­den oder derglei­chen von Accor», teilt die gleich­na­mi­ge Hotel­ket­te mit.

Der Reise­an­bie­ter Tui sagt, in seinen Hotels gebe es meist genügend Sonnen­lie­gen für alle. Das Perso­nal stelle auch gerne zusätz­li­che Liegen auf oder helfe, Liegen freizu­räu­men, die augen­schein­lich nicht mehr genutzt werden, so Sprecher Aage Dünhaupt. In manchen Hotel­an­la­gen könne man sich gegen Geld auch eine luxuriö­se­re Liege mit eigenem Sonnen­dach reser­vie­ren, das werde immer belieb­ter. Bei Club Med gebe es auch meist genügend Liegen, sagt eine Spreche­rin. In kleine­ren Anlagen sei es unter­sagt, Liegen zu reservieren.

Wissen­schaft­li­cher Ansatz

Touris­mus­exper­te Papathan­as­sis befass­te sich 2019 zusam­men mit Stepha­nie Boecker in einem wissen­schaft­li­chen Sammel­band mit dem Handtuch-Krieg. Sie werte­ten Dutzen­de Online-Quellen und Nutzer­kom­men­ta­re aus und führten Inter­views mit 28 Touris­ten. Sie kamen zu dem Schluss, dass viele Urlau­ber wegen der Medien­be­rich­te mit einer Sonnen­lie­gen-Knapp­heit gerade­zu rechnen. Sie würden sich deshalb von vornher­ein auch Liegen am Pool reservieren.

«Das ist ein bisschen wie mit dem Klopa­pier-Hamstern zu Beginn der Corona-Pande­mie», sagt Papathan­as­sis. «Leute hören, dass angeb­lich etwas knapp ist, und verhal­ten sich dann so, dass es wirklich knapp wird.» Zudem gingen viele Leute davon aus, dass alle anderen genau­so denken wie sie selbst. Ein Bedürf­nis nach Routi­ne und Sicher­heit werde auch als Grund für die Beset­zung von Liegen genannt.

Die Deutschen und ihr Ruf

Briten verun­glimp­fen Deutsche gerne als «beach towel briga­de» — Strand­hand­tuch-Briga­de. Vor Jahren hat eine briti­sche Braue­rei das in einem Werbe­spot verulkt: Während ein Pulk beleib­ter Deutscher aufge­regt zum Pool rennt, schleu­dert ein cooler Brite eine Handtuch­gra­na­te aus dem Fenster. Sie springt wie ein flacher Stein über den Pool, landet auf einer Sonnen­lie­ge und das Handtuch entrollt sich elegant mit einer Bierdo­se darin.

Auch die Schwei­zer Flugge­sell­schaft Swiss nahm die Deutschen mit einer Werbe­ak­ti­on aufs Korn. Sie schick­te Schau­spie­ler in den bunten Unifor­men der Schwei­zer­gar­de, die eigent­lich den Vatikan bewacht, 2016 an den Strand von Palma de Mallor­ca, um die von Deutschen reser­vier­ten Liegen zu bewachen und dazu kühle Geträn­ke zu reichen.

Die Club Med-Spreche­rin sagt: «Je mehr deutsche Gäste, desto mehr Liegen werden reser­viert — im Club Med Kamari­na ist das Verbot sogar der einzi­ge Hinweis im Resort, der auch auf Deutsch übersetzt wurde.» Das Klischee, dass es immer nur die Deutschen sind, stimmt aber nicht: Die Briten seien auch «erbit­ter­te Akteu­re im Handtuch­krieg», schrieb die Hotel­ket­te Accor in ihrem Magazin. Papathan­as­sis und sein Team machten auch Franzo­sen, Griechen und Briten als Liegen-Beset­zer aus.

Angst vor Konfron­ta­ti­on an der Sonnenliege

Viele Menschen scheu­en sich, besetz­te Liegen selbst zu räumen. Das passie­re «aus Angst vor einer Konfron­ta­ti­on mit einem wüten­den Sonnen­lie­gen-Blockie­rer», schrie­ben Papathan­as­sis und sein Team. Das führe aber zu Frust. Die meisten Leute fänden deshalb klare Regeln, die wie auf Tenerif­fa auch durch­ge­setzt werden, gut. Für manche sei das Spekta­kel um besetz­te Liegen auch amüsant. Sie «sehen ihren Urlaub durch die Aufre­gung einer Konfron­ta­ti­on berei­chert», heißt es.

Papathan­as­sis findet, dass Thema werde künst­lich aufge­bauscht. «Ich forsche auch zu Steuer­hin­ter­zie­hung und Geldwä­sche, oder Alkohol und Krimi­na­li­tät bis zu sexuel­ler Gewalt in der Touris­mus­bran­che. Das sind wirklich skanda­lö­se Themen, die man angehen müsste — aber die größte Resonanz gibt es bei Handtuch-Kriegen. Dabei ist das ein Thema, dass nun wirklich keine Top-Priori­tät im Touris­mus­sek­tor hat.»

Von Chris­tia­ne Oelrich, dpa