BERLIN/MÜNCHEN (dpa) — Künst­li­che Intel­li­genz, die Glück­wunsch­kar­ten, Gedich­te oder Sachtex­te schreibt — und dabei verblüf­fend mensch­lich klingt. Schulen und Unis berei­tet das Sorgen. Wird ChatGPT das Lernen verändern?

Durch­bruch, Meilen­stein, Zeiten­wen­de — diese Worte hört man immer wieder, wenn Fachleu­te über ChatGPT sprechen. Mit dem Chatbot kann man sich im Inter­net nicht nur unter­hal­ten. Er verfasst mithil­fe Künst­li­cher Intel­li­genz (KI) auf Komman­do auch Aufsät­ze, Gedich­te, Briefe und alle mögli­chen anderen Texte — und begeis­tert dabei mit seinen Fähig­kei­ten. Lehren­den an Hochschu­len und Schulen gibt das zu denken. Steht das Ende schrift­li­cher Hausar­bei­ten bevor?

Diese Entwick­lun­gen werden die Schule verän­dern, wie die Präsi­den­tin der Kultus­mi­nis­ter­kon­fe­renz (KMK), Berlins Bildungs­se­na­to­rin Astrid-Sabine Busse (SPD), jüngst dem Infor­ma­ti­ons­dienst «Bildung.Table» sagte. ChatGPT sei zwar noch sehr neu. «Aber das ist jetzt in meinem Fokus – ganz, ganz vorne.» Noch im Januar wollte sich eine KMK-Kommis­si­on nach Angaben eines Sprechers mit dem Thema Künst­li­che Intel­li­genz beschäftigen.

Auch der Deutsche Hochschul­ver­band verfolgt die Fortschrit­te bei ChatGPT und anderen KI-Anwen­dun­gen genau. Erkennt­nis­se, ob und in welchem Ausmaß Studie­ren­de schon heute mit dem Textge­ne­ra­tor arbei­te­ten, lägen zwar nicht vor, sagt Sprecher Matthi­as Jaroch. «Es wäre jedoch lebens­fremd, nicht davon auszu­ge­hen, dass Studie­ren­de ChatGPT nutzen oder nutzen werden.»

GEW warnt vor Gefahren

Der bayeri­sche Realschul­leh­rer­ver­band sieht das ähnlich: «Dass diese Entwick­lun­gen Schüle­rin­nen und Schülern verbor­gen bleiben, ist ein Irrglau­be», meint der Digital­be­auf­trag­te Ferdi­nand Stipber­ger. Es liege auf der Hand, dass diese Chatbots wie ChatGPT bei den Hausauf­ga­ben verwen­de­ten. Die Exper­tin Anja Bensin­ger-Stolze von der Schul­ge­werk­schaft GEW sieht darin eine große Gefahr: Schüle­rin­nen und Schüler lernten nicht mehr, Bezüge herzu­stel­len, wenn sie KI-generier­te Texte einfach abtipp­ten, um die Hausauf­ga­be abhaken zu können, meint sie.

Kreati­vi­tät und kriti­sches Denken — das könnte nach Ansicht von Bildungs­fach­leu­ten auf der Strecke bleiben — und gerade letzte­res ist auch beim Umgang mit Künst­li­cher Intel­li­genz wie ChatGPT wichtig. «Auch wenn das Modell bereits sehr gut funktio­niert, gibt es noch immer des Öfteren falsche Antwor­ten, die gleich­zei­tig aller­dings sehr überzeu­gend klingen», erläu­tert die Infor­ma­tik­pro­fes­so­rin Iryna Gurevych von der Techni­schen Univer­si­tät Darmstadt.

Fragt man ChatGPT zum Beispiel nach Olaf Scholz heißt es: «Er ist der Bundes­fi­nanz­mi­nis­ter und Vizekanz­ler der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land im Kabinett Merkel IV.» Und Bundes­kanz­le­rin ist demnach immer noch Angela Merkel.

Woran das liegt, kann ChatGPT auf Nachfra­ge selbst erklä­ren: «Mein Wissens­stand bezieht sich auf die Zeit bis zu Septem­ber 2021, daher kann ich nicht auf aktuel­le Entwick­lun­gen nach diesem Datum einge­hen», erläu­tert der Chatbot und gibt gleich einen wichti­gen Tipp: «Es ist wichtig zu beach­ten, dass es immer möglich ist, dass meine Antwor­ten nicht mehr auf dem aktuel­len Stand sind, und es ist ratsam, diese Infor­ma­tio­nen zu überprü­fen und zu verifizieren.»

Infor­ma­tik­pro­fes­so­rin: «Das ist ein lernen­des System»

Doch eins steht fest: ChatGPT wird mit der Zeit besser werden. «Das ist ein lernen­des System», sagt Infor­ma­tik­pro­fes­so­rin Katha­ri­na Morik von der Techni­schen Univer­si­tät Dortmund. Künftig wird es besse­re Versio­nen und auch andere sprach­ge­wand­te KI geben, die Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten werden also steigen. Und darauf werden die Lehren­den reagie­ren müssen, findet Morik. «Wir können nicht mehr davon ausge­hen, wenn jemand einen schönen Text als Zusam­men­fas­sung für die Litera­tur schreibt, dass er die Litera­tur verstan­den hat.»

Müsste man Studie­ren­den, Schüle­rin­nen und Schülern also verbie­ten, sich von Künst­li­cher Intel­li­genz helfen zu lassen? Spick­zet­tel und Abschrei­ben ist in Prüfun­gen schließ­lich auch nicht erlaubt. Vorstö­ße in diese Richtung gibt es anders­wo bereits. Die Schul­be­hör­de von New York habe ChatGPT zum Beispiel auf ihren Servern sperren lassen, erzählt GEW-Exper­tin Bensin­ger-Stolze. KMK-Präsi­den­tin Busse hält Verbo­te dagegen nicht für sinnvoll. «Die Frage muss doch eher sein, welche Kompe­ten­zen braucht es, um Künst­li­che Intel­li­genz sinnvoll nutzen zu können», sagte sie «Bildung.Table».

Plädoy­er für mündli­che Prüfungen

«Wir dürfen solche techno­lo­gi­schen Innova­tio­nen weder katego­risch ableh­nen noch verbie­ten. Viel wichti­ger sind klare Regeln und ein sinnvol­ler, geziel­ter Umgang mit KI», findet auch Stipber­ger vom bayeri­schen Realschul­leh­rer­ver­band. Damit Schüle­rin­nen und Schüler das lernen könnten, müssten aber auch die Lehrkräf­te entspre­chen­de Fortbil­dun­gen erhalten.

Vielleicht biete die Debat­te um ChatGPT auch die Chance, neue Prüfungs­me­tho­den in den Schulen auszu­pro­bie­ren, sagt Bensin­ger-Stolze. Mehr kriti­sche Refle­xi­on und Inter­pre­ta­ti­on, weniger reines Abfra­gen von Wissen. Auch an den Hochschu­len werde es künftig mehr darum gehen, gelern­tes Wissen auf andere Aufga­ben zu übertra­gen, prognos­ti­ziert Morik. «Und wir müssen mündli­che Prüfun­gen machen.»

Von Irena Güttel, dpa