Hilft gegen die Ausbreitung des Coronavirus nur die erneute Schließung von Läden, Schulen und Restaurants? Am Mittwoch beraten Bund und Länder wieder, weitere Einschränkungen sind so gut wie sicher. Ein radikaler Vorschlag kommt aus dem Süden.
STUTTGART (dpa/lsw) — Vor der neuen Bund-Länder-Runde zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie sorgt der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) mit dem radikalen Vorschlag für einen strengen, aber kurzzeitigen Lockdown für Aufsehen. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende fordert bei einer weiteren Verschärfung der Lage einen gut einwöchigen Lockdown in Deutschland. Während Teile der Wissenschaft seine Idee untermauern, stößt Strobl bei seinem baden-württembergischen Koalitionspartner, der Opposition und sogar in den eigenen Reihen auf breite Skepsis und Ablehnung.
«Wenn die Zahlen sich weiter so entwickeln, dann müssen wir Maßnahmen in den Blick nehmen, etwa, dass wir auch einmal für eine Woche alles dicht machen, dass von Freitag bis Sonntag die Woche drauf gar nichts mehr geht», sagte Strobl dem Nachrichtenportal «The Pioneer» (Dienstag). Auf die Frage, ob die Schließung auch Schulen, Kitas und Geschäfte betreffen würde, sagte Strobl: «Alles heißt alles.» Das bedeute auch Einschränkungen im Grenzverkehr.
Damit könne man das Infektionsgeschehen zum Stillstand bringen, argumentierte Strobl, ohne auf Details einzugehen. Der Vorteil dieser «sehr, sehr harten» Lösung wäre die zeitliche Begrenzung. Der CDU-Politiker betonte aber auch, dann wären ein Weihnachtsgeschäft und eine gemeinsame Weihnachtszeit mit der Familie wieder möglich.
Auf breiten Zuspruch für seinen Vorschlag kann Strobl zunächst nicht hoffen. Aus Regierungskreisen in Stuttgart hieß es am Dienstag, es werde wegen des Lernerfolgs aus den Monaten März und April weiter alles daran gesetzt, Schulen, Kitas und die Wirtschaft unter Pandemiebedingungen in Betrieb halten zu können. Zudem würden nach der neuen Bund-Länder-Runde am Mittwoch «erhebliche Maßnahmen zu Kontakten der Menschen in Alltag und Geschäft» erwartet, hieß es weiter. Dem Vorschlag Strobls stehe man skeptisch gegenüber.
Gegenwind bekommt Strobl auch aus den eigenen Reihen. «Unser Land in einen kompletten Lockdown zu versetzen und alles dichtzumachen und herunterzufahren, hätte nicht nur wirtschaftlich, sozial und bildungspolitisch verheerende Folgen», sagte die CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im kommenden März, Susanne Eisenmann. «Es wäre derzeit auch nicht verhältnismäßig.» Das Land müsse «zielgerichtet agieren und reagieren.» Ein einwöchiger sogenannter Lockdown (englisch wörtlich für: Ausgangssperre) hätte nach Überzeugung der Landeskultusministerin aber nur einen kurzen, zeitweisen Effekt. «Das Virus verschwindet deshalb ja nicht.»
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sprach von einem «medialen Schnellschuss» des Ministers. Die Video-Konferenz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten der Länder sei der richtige Ort, um die nächsten Schritte zu beraten und über Maßnahmen zu entscheiden. Kopfschütteln auch bei der SPD: «Offensichtlich hat der Innenminister überhaupt nichts aus den folgenschweren Grenzschließungen im Frühjahr gelernt», kritisierte deren Fraktionschef Andreas Stoch. «Das Virus kennt keine Grenze und überträgt sich auch nicht von Nation zu Nation.»
Die FDP warnt ebenfalls vor einem Lockdown: «Das hätte fatale Folgen für unsere Wirtschaft», sagte Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Für den rechtspolitischen Sprecher der Fraktion, Nico Weinmann, wäre eine Schließung von Schulen, Kitas, Gastronomie, Einzelhandel und den Grenzen nicht verhältnismäßig und wahrscheinlich verfassungswidrig. «Er wird vor den Gerichten kaum Bestand haben», sagte Weinmann.
Bei den Gesprächen am Mittwoch will das Kanzleramt nach «Bild»-Informationen für mögliche weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens werben. Im Gegensatz zum Lockdown im Frühjahr sollten Schulen und Kitas jedoch weiter geöffnet bleiben, außer in Regionen mit katastrophal hohen Infektionszahlen, berichtete die Zeitung am Montagabend. Auch der Einzelhandel solle mit neuen Einschränkungen offen bleiben. Laut «Bild» will das Kanzleramt vor allem bei Gastronomie und Veranstaltungen hart vorgehen.
Dagegen hält die Göttinger Forscherin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation einen befristeten Lockdown durchaus für sinnvoll: «Wenn man den Lockdown kurz und konzertiert macht, ist es für alle gut», sagte sie dem Deutschlandfunk. «Für die Menschen, für die Wirtschaft, für die Gesundheit, für unser Sozialleben.» Es reiche nicht aus, wenn sich 70 Prozent der Leute ein wenig zurücknähmen und 30 Prozent der Menschen nicht. Insofern werde es ohne eine konzertierte Aktion enorm schwierig, die Fallzahlen wieder herunterzubekommen.
Inzwischen rechnen fast zwei Drittel der Deutschen nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur damit, dass es wegen der dramatisch steigenden Corona-Infektionszahlen wieder zu Schließungen von Geschäften, Restaurants oder Schulen kommen wird. Demnach sagten 63 Prozent, dass sie einen solchen Lockdown erwarten. Nur 23 Prozent glauben nicht daran, 13 Prozent machten keine Angaben. Einer weiteren Umfrage zufolge hält gut jeder zweite Deutsche die geltenden Auflagen zur Eindämmung der Pandemie für angemessen.
Ein sogenannter Lockdown (englisch wörtlich für: Ausgangssperre) umfasst weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Zur Bekämpfung der ersten Corona-Welle hatten Bund und Länder beschlossen, Schulen und Kitas zu schließen sowie Kultur- und Sporteinrichtungen für die Öffentlichkeit zu sperren. Die meisten Gaststätten, Läden und Dienstleister durften keine Kundschaft empfangen, Zusammenkünfte etwa in Kirchen oder Sportvereinen waren verboten. Ansammlungen von mehr als zwei Personen unterschiedlicher Haushalte waren über Wochen nicht zulässig.