BERLIN (dpa) — Angesichts steigen­der Infek­ti­ons­zah­len wurden Rufe immer dring­li­cher, die Pande­mie stärker einzu­däm­men. Nun soll es eine Reihe von Vorga­ben geben — und zwar einheit­lich. Doch es gibt auch Kritik.

Die geplan­te Corona-Notbrem­se mit verbind­li­chen Regeln für den Kampf gegen die dritte Welle der Pande­mie in ganz Deutsch­land hat im Bundes­tag zu einem hefti­gen Schlag­ab­tausch geführt.

Die Opposi­ti­on kriti­sier­te am Mittwoch vor der entschei­den­den Abstim­mung im Plenum unter anderem erheb­li­che Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen. Vizekanz­ler Olaf Scholz (SPD) vertei­dig­te die Neure­ge­lun­gen, die zu mehr Verständ­lich­keit und größe­rer Unter­stüt­zung bei den Bürgern beitra­gen sollten. Mit den Änderun­gen des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes soll sich an diesem Donners­tag auch noch der Bundes­rat befassen.

Scholz sagte: «Was wir brauchen, ist Klarheit und Konse­quenz.» Es solle festge­legt werden, dass bei Überschrei­ten hoher Infek­ti­ons­wer­te etwas getan werden müsse, und zwar «überall in Deutsch­land und immer und in jedem Fall». Es gehe nicht um einen Dauer­zu­stand, sondern darum, die Pande­mie zu überwin­den. Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) warb für Zustim­mung zu den Plänen, die der Reduzie­rung von Kontak­ten dienen sollen: «Die Lage ist ernst, sehr ernst.» Er sagte: «Wenn wir Leid vermei­den können, sollten wir es vermei­den.» 5000 Menschen lägen derzeit mit Covid-19 auf Inten­siv­sta­tio­nen: «Tendenz weiter steigend, bei sinken­dem Alter der Patien­ten.» Zwei Drittel aller Ausbrü­che fänden derzeit im priva­ten Bereich statt.

Die Notbrem­se soll bundes­weit verbind­li­che Regeln für schär­fe­re Corona-Gegen­maß­nah­men festle­gen — mit konkre­ten Vorga­ben bei hohen Infek­ti­ons­zah­len. Dazu gehören weitge­hen­de Ausgangs­be­schrän­kun­gen von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr, Schul­schlie­ßun­gen und stren­ge­re Bestim­mun­gen für Geschäf­te. Gezogen werden soll die Notbrem­se, wenn in einem Landkreis oder einer Stadt die Zahl der gemel­de­ten Neuin­fek­tio­nen pro 100 000 Einwoh­ner binnen sieben Tagen an drei Tagen hinter­ein­an­der über 100 liegt. Fürs Umschal­ten auf Fernun­ter­richt in Schulen soll ein Wert von 165 gelten. Die Regelun­gen sollen bis Ende Juni gelten.

Linke-Frakti­ons­chefin Amira Mohamed Ali sagte: «Ja, es geht um Leben und Tod.» Das Pande­mie­ge­sche­hen müsse dringend einge­dämmt werden. Die Bundes­re­gie­rung versu­che aber, Grund­rech­te «praktisch im Vorbei­ge­hen» einzu­schrän­ken und ihre Befug­nis­se auszu­wei­ten. Unver­hält­nis­mä­ßig sei, dass ab einem Inzidenz­wert 100 Ausgangs­sper­ren kommen sollten, Kinder aber bis zu einem Wert von 165 zur Schule gehen. «Woher haben Sie eigent­lich diese Zahlen? Würfeln Sie die aus?»

Die FDP bekräf­tig­te ihre Drohung, gegen Ausgangs­be­schrän­kun­gen Verfas­sungs­be­schwer­de einzu­le­gen. Diese seien «keine geeig­ne­ten Maßnah­men», sagte Gesund­heits­exper­tin Chris­ti­ne Aschen­berg-Dugnus. «Sie schrän­ken nur in unzuläs­si­ger Weise die Grund­rech­te ein und treiben die Menschen in den priva­ten Bereich.» Die Alter­na­ti­ven zur «Bundes-Notbrem­se» seien gestei­ger­tes Impfen und Testen sowie eine besse­re Aufklä­rung über Kontaktvermeidung.

AfD-Frakti­ons­chef Alexan­der Gauland sprach von einem «Angriff auf die Freiheits­rech­te, den Födera­lis­mus wie den gesun­den Menschen­ver­stand». Die Regie­rung habe in der Impfstoff­be­schaf­fung versagt und versu­che nun, die Opposi­ti­on durch morali­schen Druck zur Zustim­mung zu bewegen. Kriti­ker würden nicht ernst genom­men. «Sie können nicht das halbe Volk zu Queru­lan­ten machen», sagte er mit Verweis auf Menschen, die am Mittwoch in Berlin gegen die Corona-Politik demonstrierten.

Die Grünen forder­ten dagegen schär­fe­re Regeln gegen die dritte Corona-Welle als nun geplant. «Insge­samt reichen diese Maßnah­men nicht aus, um tatsäch­lich eine Trend­um­kehr hinzu­be­kom­men», sagte Gesund­heits­exper­tin Maria Klein-Schmeink. Sie warf Union und SPD vor: «Sie handeln zu spät, zu unwirk­sam.» Die Grünen wollten sich bei der Abstim­mung über den Entwurf enthalten.

Unions­frak­ti­ons­chef Ralph Brink­haus warb eindring­lich um Zustim­mung: «Dieses Gesetz ist ein Gesetz fürs Leben.» Der CDU-Politi­ker räumte ein, dass die Einschrän­kun­gen etwa vielen Händlern schwer zu schaf­fen machen. Wenn ihn die Krise um den Schlaf bringe, denke er aber vor allem an Menschen, die krank gewor­den seien. «Und ich denke an die Menschen, die sterben.» Er hätte ein härte­res und schär­fe­res Gesetz bevor­zugt, aber nun sei es wichtig, den Kompro­miss zu verabschieden.

Die neuen Regelun­gen könnten frühes­tens ab diesem Samstag greifen. Bevor das gesche­hen kann, müssen sie am Donners­tag den Bundes­rat passie­ren. Zudem muss Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er das Gesetz unter­zeich­nen. Es ist offen, ob das am Donners­tag gesche­hen wird, weil das Gesetz — wie jedes andere auch — im Präsi­di­al­amt erst geprüft wird. Die Veröf­fent­li­chung im Bundes­ge­setz­blatt könnte mögli­cher­wei­se noch am selben Tag wie die Unter­zeich­nung erfolgen.

Es könnte also sehr schnell gehen: Als der Bundes­rat im März 2020 das Geset­zes­pa­ket zu den Corona-Hilfen abseg­ne­te, unter­zeich­ne­te Stein­mei­er es zwei Stunden später. Noch am Abend dessel­ben Tages wurde die Regelung im Bundes­ge­setz­blatt veröf­fent­licht. Damit die Notbrem­se greift, muss die Sieben-Tage-Inzidenz an drei Tagen über 100 liegen. Diese drei Tage sollen nach dem jüngs­ten Entwurf nun auch schon die drei Tage unmit­tel­bar vor Inkraft­tre­ten des Geset­zes sein.