Grün-Schwarz oder Ampel? Die sieges­trun­ke­nen Ökos formu­lie­ren erste Bedin­gun­gen. In der bestürz­ten CDU gibt es gleich Ärger über die Neuauf­stel­lung. Die FDP will sich als zweiter Wahlsie­ger beloh­nen. Die SPD hofft. Nur Kretsch­mann lässt sich nicht blicken.

Nach dem histo­ri­schen Sieg der Grünen bei der Landtags­wahl in Baden-Württem­berg wird Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann von mehre­ren Seiten heftig umwor­ben. Die schwer geschla­ge­ne CDU bemüht sich mit verein­ten Kräften um eine Neuauf­la­ge der grün-schwar­zen Koali­ti­on in ihrer einsti­gen Hochburg. Partei und Frakti­on seien sich einig, dass man sich anstren­gen wolle, die Grünen von einer Fortset­zung zu überzeu­gen — ohne die eigenen Werte aufzu­ge­ben, hieß es am Montag am Rande der ersten Frakti­ons­sit­zung in Stutt­gart. Dagegen warben SPD und FDP um ein Ampel-Bündnis mit den Grünen. «Die CDU ist deutlich abgewählt, niemand will eine Neuauf­la­ge von Grün-Schwarz», sagte SPD-Partei- und Frakti­ons­chef Andre­as Stoch.

Bei der CDU gab es aller­dings gleich die erste Macht­pro­be bei der Neuauf­stel­lung. Frakti­ons­chef Wolfgang Reinhart wollte sich am Montag gleich für drei weite­re Jahre im Amt bestä­ti­gen lassen. Nach massi­vem Druck aus den eigenen Reihen zog der 64-Jähri­ge seinen Plan zurück. Nun wurde Reinhart nur solan­ge gewählt, bis klar ist, ob eine Koali­ti­on mit den Grünen zustan­de kommt. Reinhart sieht sich wie CDU-Landes­chef Thomas Strobl als Brücken­bau­er zu Kretsch­mann. Als langfris­ti­ger Nachfol­ger im Frakti­ons­vor­sitz wird CDU-General­se­kre­tär Manuel Hagel (32) gehan­delt. Die CDU will unbedingt vermei­den, neben der AfD in der Opposi­ti­on zu landen.

Die Grünen stell­ten derweil erste Bedin­gun­gen für eine Koali­ti­on auf. «Es geht um Klima­schutz, Innova­tio­nen und Zusam­men­halt. Aber auch um Vertrau­en und Verläss­lich­keit», sagte Grünen-Landes­chef Oliver Hilden­brand der dpa. Die Sondie­run­gen begin­nen am Mittwoch mit der CDU, am Freitag geht es nachein­an­der mit SPD und Libera­len weiter. «Wir gehen ohne Vorfest­le­gun­gen und Automa­tis­men in die Gesprä­che», stell­te Hilden­brand klar. Sie dienten auch dazu zu sehen, ob die Chemie stimmt. Es brauche eine «Vertrau­ens­kul­tur».

FDP-Frakti­ons­chef Hans-Ulrich Rülke warb für eine Ampel: «Vertrau­en und Verläss­lich­keit, das können wir bieten.» Zum Wettlauf mit der CDU um eine Koali­ti­on mit den Grünen erklär­te der 59-Jähri­ge: «Wir sind in jeder Bezie­hung fortschritt­li­cher als die CDU.» Rülke erhielt Unter­stüt­zung von ungewohn­ter Seite. Die Grüne Jugend im Südwes­ten erklär­te, «die Plan- und Visions­lo­sig­keit der CDU» disqua­li­fi­zie­re sie als erneu­ter Koali­ti­ons­part­ner. «Wir wollen eine progres­si­ve Regie­rung», sagte Sarah Heim, Spreche­rin der Grünen Jugend. Dafür brauche es Mehrhei­ten jenseits der CDU.

In der Union gibt es auf Bundes­ebe­ne Diskus­sio­nen um den richti­gen Umgang mit der Stärke der Grünen. Während die CSU eine «Brand­mau­er» zu den Ökos errich­ten will, sagte der CDU-Chef Armin Laschet, er werde sich nicht in die Neuauf­stel­lung der Südwest-CDU einmi­schen. «Ich traue der baden-württem­ber­gi­schen CDU zu, dass sie das gut lösen wird.» CSU-Landes­grup­pen­chef Alexan­der Dobrindt hatte dagegen erklärt, die Grünen seien im Südwes­ten schon weit ins Unions­mi­lieu vorge­drun­gen. «Ich rate deshalb, sich deutlich stärker inhalt­lich mit den Grünen ausein­an­der­zu­set­zen, Unter­schie­de deutlich zu machen, Brand­mau­ern einzuziehen.»

ERGEBNIS: Die Grünen schaf­fen 32,6 Prozent — das beste Ergeb­nis auf Landes- und Bundes­ebe­ne jemals. Das ist ein Plus von 2,3 Punkten im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren. Die CDU fällt um 2,9 Punkte auf 24,1 Prozent — das ist das schlech­tes­te Ergeb­nis in seiner ehema­li­gen Hochburg. Die SPD unter­bie­tet ihr ohnehin schon schwa­ches Ergeb­nis von 2016 noch mal und landet bei 11,0 Prozent, ein Minus von 1,7 Punkten. Immer­hin schaf­fen es die Sozial­de­mo­kra­ten damit noch auf Rang drei. Knapp dahin­ter liegt die erstark­te FDP mit 10,5 Prozent (plus 2,2 Punkte). Größter Verlie­rer ist die AfD, die 336 000 Stimmen einbüßt und nur noch 9,7 Prozent erreicht — 5,4 Punkte minus. Und zuletzt: Die Linke macht im Südwes­ten einfach keinen Stich und verpasst erneut mit 3,6 Prozent den Einzug in den Landtag. Die Wahlbe­tei­li­gung lag mit 63,8 Prozent um 6,6 Punkte unter dem Wert von 2016.

KOALITIONEN: Kretsch­mann hatte am Sonntag­abend erklärt, er wolle eine «verläss­li­che und stabi­le Koali­ti­on». Rechne­risch wären das Grün-Schwarz und Ampel gleicher­ma­ßen. Die Grünen hatten der CDU zuletzt vorge­hal­ten, beim Klima­schutz ein «Klotz am Bein» gewesen zu sein. Ob das aber mit der FDP in einer Ampel besser würde, ist nicht gesagt. Klar ist nur: Sowohl die CDU als auch SPD und FDP wollen unbedingt in die Regie­rung. Das dürfte den Grünen bei ihren inhalt­li­chen Forde­run­gen in die Karten spielen. Gegen Grün-Schwarz spricht, dass Grüne, SPD und FDP im Bund gerne zeigen würden, dass es auch eine Mehrheit jenseits der Union geben kann. «Die Chancen stehen 50:50», sagt ein führen­der Grünen-Mann. Und Frank Brett­schnei­der, Politik­ex­per­te von der Uni Stutt­gart-Hohen­heim, meint: «Die CDU müsste mehr zulas­sen beim Klima­schutz und auch bei den Ministerposten.»

Eine Neuauf­la­ge von Grün-Rot ist knapp nicht möglich. Rechne­risch könnte damit die neu gegrün­de­te Klima­lis­te Grünen und SPD eine Regie­rungs­bil­dung vermas­selt haben. Die neue Partei kam auf 0,9 Prozent der Stimmen. Dazu sagte Grünen-Landes­chef Hilden­brand: «Das kann man so sehen, ist aber auch ein bisschen Zahlen­spie­le­rei.» Wichtig sei, dass deutlich gewor­den sei, dass die Grünen die Klima­schutz-Partei seien. «Die Bäume sind für die Klima­lis­te nicht in den Himmel gewachsen.»

CDU-PERSONAL: Die einzi­ge echte Leidtra­gen­de des Debakels ist erstmal Susan­ne Eisen­mann. Die 56 Jahre alte Spitzen­kan­di­da­tin übernahm die Verant­wor­tung und wird bei der Suche nach einer Koali­ti­on mit den Grünen keine Rolle spielen. Ob die Kultus­mi­nis­te­rin im Falle von Grün-Schwarz noch mal ins Kabinett darf, ist eher unsicher. Sie gehört nach ihrer krachen­den Nieder­la­ge in ihrem Wahlkreis in Stutt­gart gegen Verkehrs­mi­nis­ter Winfried Hermann nicht mal dem nächs­ten Landtag an. Da geht es Innen­mi­nis­ter Strobl auch nicht viel besser, er unter­lag in Heilbronn klar der Grünen Susan­ne Bay und verpass­te ebenfalls den Einzug ins Parla­ment. Da der 60-Jähri­ge aber die letzte Hoffnung der CDU ist, die Grünen von einer Fortset­zung von Grün-Schwarz zu überzeu­gen, bleibt er erstmal ungeschoren.

Nach Ansicht von Ex-Minis­ter­prä­si­dent Günther Oettin­ger muss die CDU jünger und weibli­cher werden, um an alte Erfol­ge im Südwes­ten anknüp­fen zu können. «Kretsch­mann war und ist das Zugpferd der Grünen. Aber zu glauben, das Problem wäre erledigt, wenn Kretsch­mann geht, wäre leicht­sin­nig und falsch», sagte er der «Stutt­gar­ter Zeitung» und den «Stutt­gar­ter Nachrichten».

HOCHBURGEN: Das beste Ergeb­nis überhaupt holte die Grüne Muhte­rem Aras im Wahlkreis Stutt­gart I. Die Landtags­prä­si­den­tin schaff­te 44,8 Prozent. Silber errang die Grüne Nese Erikli in Konstanz mit 42,1 Prozent, und Bronze ging an Wissen­schafts­mi­nis­te­rin There­sia Bauer in Heidel­berg mit 41,7 Prozent. Kretsch­mann gewann in Nürtin­gen mit immer­hin noch 38,8 Prozent. Der SPD-Abgeord­ne­te Stefan Fulst-Blei holte zwar in Mannheim I das beste Ergeb­nis (21,7 Prozent) aller Genos­sen, aber gewon­nen haben auch diesen Wahlkreis die Grünen. SPD-Spitzen­kan­di­dat Andre­as Stoch gelang in Heiden­heim mit 20,2 Prozent der Einzug ins Parlament.

Die AfD, die 2016 in Mannheim und Pforz­heim siegreich war, hatte diesmal das Nachse­hen. Bernd Grimmer schaff­te in Pforz­heim aber mit 15,8 Prozent das beste Ergeb­nis für die Rechts­po­pu­lis­ten. Der Student Felix Herkens von den Grünen nahm ihm das Direkt­man­dat ab. Bei den Libera­len war Erik Schwei­kert im Wahlkreis Enz mit 16,9 Prozent am erfolg­reichs­ten — noch vor FDP-Frakti­ons­chef Rülke, der in Pforz­heim 16,1 Prozent hinlegte.