WARSCHAU (dpa) — Die ersten Antritts­be­su­che der neuen Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock waren eher Wohlfühl­ter­mi­ne. In Warschau dürfte es dagegen um eine Reihe von Konflikt­the­men gehen.

Die neue deutsche Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock steht an diesem Freitag in Warschau vor ihrem bislang heikels­ten Antritts­be­such. Für den Vormit­tag ist ein Treffen der Grünen-Politi­ke­rin mit ihrem polni­schen Kolle­gen Zbigniew Rau geplant.

Dabei dürfte neben der sich zuspit­zen­den Ukrai­ne-Krise und der Situa­ti­on der Migran­ten an der polnisch-belarus­si­schen Grenze auch die umstrit­te­ne deutsch-russi­sche Gas-Pipeline Nord Stream 2 ein wichti­ges Thema sein.

Die ersten Statio­nen ihrer Antritts­be­su­che dürften für die amtie­ren­de Grünen-Chefin Baerbock eher Wohlfühl­ter­mi­ne gewesen sein. In Paris beschwor sie am Donners­tag mit ihrem franzö­si­schen Kolle­gen Jean-Yves Le Drian die deutsch-franzö­si­sche Freund­schaft. In Brüssel tausch­te sie sich mit dem EU-Außen­be­auf­trag­ten Josep Borrell und Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg aus. Europa sei «Dreh- und Angel­punkt der deutschen Außen­po­li­tik», sagte Baerbock.

Anschlie­ßend traf die erste Frau an der Spitze des Auswär­ti­gen Amtes den US-Klima­be­auf­trag­ten John Kerry, EU-Klima­kom­mis­sar Frans Timmer­mans und EU-Innen­kom­mis­sa­rin Ylva Johans­son. Baerbock holt die Zustän­dig­keit für inter­na­tio­na­len Klima­schutz aus dem Umwelt- in ihr Minis­te­ri­um. Auch deshalb dürften ihr die Treffen mit den Kerry und Timmer­mans wichtig gewesen sein. Die wichtigs­ten Konflikt­the­men in Warschau:

Rechts­staat­lich­keit in der EU

Baerbock hatte schon zu Beginn ihrer Antritts­rei­se auf die Einhal­tung der Rechts­staat­lich­keit in der EU gepocht. Voraus­set­zung für ein starkes und geein­tes Europa sei, «dass wir als EU unsere Grund­wer­te ernst nehmen und die Regeln, die wir uns gemein­sam gegeben haben, auch durch­set­zen». Ohne Ungarn und Polen zu nennen, ergänz­te sie: «Gerade bei Rechts­staat­lich­keit und Menschen­rech­ten können wir nicht zulas­sen, dass Europas Funda­men­te wegbröckeln.»

In der EU gibt es seit Jahren Streit mit den Regie­run­gen von Ungarn und Polen, weil sie sich ausweis­lich etlicher Gerichts­ur­tei­le nicht an EU-Recht halten. Kriti­ker werfen Warschau und Budapest vor, die Justiz entge­gen der EU-Standards zu beein­flus­sen. So baut Polens natio­nal­kon­ser­va­ti­ve PiS-Regie­rung das Justiz­sys­tem um. Die EU-Kommis­si­on hat wegen der Refor­men Vertrags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen die Regie­rung in Warschau eröffnet.

Die umstrit­te­ne Gas-Pipeline Nord Stream 2

Angesichts der Ukrai­ne-Krise gerät auch die neue Ampel-Regie­rung wegen der umstrit­te­nen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 immer stärker unter Druck. Warschau lehnt die Gasröh­re strikt ab. Baerbock hatte im Wahlkampf in einem Inter­view gesagt: «Ich halte diese Pipeline nach wie vor für falsch, aus klima­po­li­ti­schen Gründen, aber vor allem auch geostra­te­gisch.» Zwar steht auch die FDP dem Projekt skeptisch gegen­über, die SPD ist dagegen offener. Eine Zwick­müh­le für Baerbock.

Der Chef der CDU/C­SU-Gruppe im Europa­par­la­ment, Daniel Caspa­ry, sagte der Deutschen Presse-Agentur vor dem Besuch Baerbocks in Warschau: «Man darf dennoch gespannt sein, welchen Tonfall Annale­na Baerbock in Polen anschlägt.» Konflikt­the­men seien reich­lich vorhan­den. «Ich bin gespannt, welche Zusagen die Nordstream-2-Gegne­rin Baerbock ihrem polni­schen Kolle­gen machen wird, oder ob ihre öffent­li­chen Aussa­gen dazu auf einmal verges­sen sind.»

Plakat­ak­ti­on mit Reparationsforderungen

Für Diskus­si­ons­stoff dürfte eine drasti­sche Plakat­ak­ti­on in Warschau sorgen, mit der polni­schen Repara­ti­ons­for­de­run­gen für Kriegs­schä­den Nachdruck verlie­hen werden soll. Die Poster zeigen Ex-Kanzle­rin Angela Merkel, Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er und den deutschen Botschaf­ter in Warschau, Arndt Freytag von Loring­ho­ven, in einer Reihe mit Adolf Hitler und dem NS-Propa­gan­da­mi­nis­ter Joseph Goebbels. Auf den Postern prangt neben den Logos rechts­na­tio­na­ler Medien auch das Zeichen des polni­schen Kultur­mi­nis­te­ri­ums. Eine regie­rungs­na­he Stiftung hat das Projekt gefördert.

Das Auswär­ti­ge Amt in Berlin bezeich­ne­te die Darstel­lun­gen als «diffa­mie­rend». Kurz vor dem Baerbock-Besuch war Verstim­mung spürbar. Denn auch die natio­nal­kon­ser­va­ti­ve Regie­rungs­par­tei PiS setzt erneut auf schar­fe antideut­sche Töne: Führen­de PiS-Vertre­ter unter­stel­len der neuen Ampel-Regie­rung aus SPD, Grünen und FDP, sie wolle aus der EU ein «Viertes Reich» machen.

Deutsche Minder­heit in Polen

Insbe­son­de­re die rund 300.000 Angehö­ri­gen der deutschen Minder­heit in Polen seien Leidtra­gen­de der anti-deutschen Plakat­kam­pa­gne und gerie­ten in diesem politi­schen Klima unter Druck von rechts­po­pu­lis­ti­schen Angrif­fen, kriti­sier­te der CDU-Innen­po­li­ti­ker Chris­toph de Vries. Der Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te teilte der dpa mit, er habe Baerbock in einem Brief auf die «zuneh­mend besorg­nis­er­re­gen­de Situa­ti­on der deutschen Minder­heit aufmerk­sam gemacht und sie gebeten, das Thema bei den anste­hen­den Regie­rungs­ge­sprä­chen mit der gebote­nen histo­ri­schen Sensi­bi­li­tät, aber auch klar zu adressieren».

Die Deutschen wollten enge und freund­schaft­li­che Bezie­hun­gen zu Polen pflegen, sagte de Vries. Wer wie Polen — beispiels­wei­se in der Migra­ti­ons­kri­se an der Grenze zu Belarus — Solida­ri­tät von den europäi­schen Partnern einfor­de­re und zu Recht auch erhal­te, dürfe aber im eigenen Land keine Diffa­mie­rungs­kam­pa­gnen gegen EU-Nachbar­staa­ten dulden.